„Der Begriff ,Fremdenfeindlichkeit' trifft nicht“

Sheila Mysorekar, Journalistin und Vorsitzende der Neuen deutschen Medienmacher, hält Redakteure mit Migrationsgeschichte ebenso für unverzichtbar wie einen bedachten Umgang mit Sprache.

Sheila Mysorekar, Vorsitzende der Neuen deutschen Medienmacher setzt sich für ethnische Vielfalt in deutschen Medien ein. (Foto: privat)
Sheila Mysorekar, Vorsitzende der Neuen deutschen Medienmacher setzt sich für ethnische Vielfalt in deutschen Medien ein. (Foto: privat)

Die Neuen Deutschen Medienmacher setzen sich für kulturelle Vielfalt in Deutschlands Medien ein. Welche Vielfalt bilden die NDM selbst ab?
 
Wir sind ein offener Verein, wer unsere Ziele unterstützt, kann gerne mitmachen. Natürlich hat die Mehrheit unserer Mitglieder einen sogenannten Migrationshintergrund, eine Migrationsgeschichte. Es gibt zum Beispiel relativ viele türkischdeutsche Mitglieder, die aber nicht die Mehrheit bilden. Im Übrigen sind auch einige Herkunftsdeutsche dabei.

Inwiefern repräsentieren Sie sogenannte Ethnomedien?

Wir haben mit solchen Medien wenig zu tun, sie sind nicht unser Beritt. Wir sind Journalisten überwiegend deutscher Nationalität, die in deutschen Medien arbeiten.

Gibt es keine Berührungspunkte? Eine Zeitung wie „Hürriyet“ etwa wird ja stark konsumiert, sie spielt für Integration keine kleine Rolle.

Bestimmt ist es interessant und wichtig, wie solche Medien funktionieren. Wir kennen  natürlich auch entsprechende Kollegen, teilen bestimmte Themen und sitzen manchmal nebeneinander auf Podiumsdiskussionen. Aber das ist nun mal nicht unser Thema. Was im Übrigen den Konsum dieser „Ethnomedien“ angeht: Der scheint nach den wenigen Untersuchungen zu dem Thema sehr generationenabhängig zu sein.

Für mediale Repräsentanz

Die Journalistin Sheila Mysorekar arbeitet bei der Deutschen Welle. Sie ist Vorsitzende der Neuen Deutschen Medienmacher (NDM). In dem Zusammenschluss von etwa 450 Medienakteuren wirken etwa ZDF-Moderatorin Dunja Hayali, ARD-Aktuell-Redakteurin Marjan Parvand und der Berliner Journalistikprofessor Joachim Pätzold mit. Die NDM, mit Geschäftsstelle in Berlin, fördern ethnische Vielfalt in deutschen Medien: inhaltlich, aber auch personell. So unterstützen sie Ausbildungsprogramme für Journalisten und Journalistinnen mit Zuwanderungsgeschichte und unterhalten ein Mentorensystem, um sie in den Beruf einzuführen.


Junge Mitglieder aus Zuwandererfamilien nutzen Ethnomedien seltener als ältere.

Natürlich tendieren selbst eingewanderte Menschen dazu, ihre vertrauten Medien zu konsumieren – so wie Sie sich vermutlich ab und zu die „Süddeutsche“ oder so anschauen würden, wenn Sie in ein anderes Land gingen. Aber das ändert sich bei den Folgegenerationen. Eine Studie von ARD und ZDF zum Konsum elektronischer Medien durch Migranten hat gezeigt, dass sich die unter 25-Jährigen da nicht von Herkunftsdeutschen unterscheiden. Ein 18-Jähriger Kölner türkischer Abstammung schaut genauso „Germany's next Topmodel“ wie gleichaltrige Herkunftsdeutsche (siehe „Thema des Monats“ vom 27. Juli, d. Red.).

Lieber Jurist als Journalist

Zu Ihrem Beritt: Journalisten mit Migrationshintergrund sind in deutschen Redaktionen unterrepräsentiert. Warum?

Ein Grund ist sicher, dass die meisten Journalisten, auch die Herkunftsdeutschen, einen bildungsbürgerlichen Hintergrund haben. Das ist ein schichtspezifischer Beruf, der in den Arbeiterhaushalten, aus denen viele Menschen mit Migrationsgeschichte kommen, oft nicht in Betracht gezogen wird. Und wenn es bei Migranten um Abitur und Studium geht, dann oft um Jura, Medizin, Ingenieurswesen. Um Handfestes eben – im Journalismus kann man ja mitnichten sicher sein, dass man mal ordentlich verdient.

Sicherheit zuerst?

Genau. Jenseits dessen kommen wie gesagt auch die meisten deutschstämmigen Journalisten aus bildungsbürgerlichen Verhältnissen, aber für Menschen mit Migrationsgeschichte ist soziale Herkunft eben nur einer von mehreren hemmenden Faktoren. In diesem Beruf sind ja etwa auch Connections entscheidend: Es ist schwierig ein Volontariat zu bekommen, wenn man keine Praktika gemacht hat, und wie kriegt man Praktika am ehesten? Dadurch dass die Eltern jemanden kennen, was in Einwandererfamilien natürlich seltener ist.

Beim Integrationsgipfel im Bundeskanzleramt Anfang des Jahres sagten Sie in einer Rede, es gehe um „Diskurshoheit“ . Was meinen Sie genau?

Über manche Themen wird immer nur aus einer Perspektive geredet. Einfach weil sich nicht alle auf gleiche Weise öffentlich dazu äußern können. Zum Beispiel, wenn es darum geht, wie man Menschen bezeichnet.

Sie haben mal ironisierend von „Migrationsvordergrund“ statt „-hintergrund“  gesprochen.

Ich war schon alles Mögliche: „Ausländerin“, „Bildungsinländerin“, „Mitbürgerin mit Migrationshintergrund“. Die Bezeichnungen ändern sich, aber immer ist es die Mehrheitsgesellschaft, die den Diskurs bestimmt.

Sind diese Begriffe nicht eher in Politik und Wissenschaft verwurzelt als in den Medien?

Aber dort schlagen sie sich nieder. Nehmen Sie die Asyldebatte Ende der Achtziger. Angeblich gab es zu viele Asylbewerber, woraus in Zeitungen „Das Boot ist voll“ wurde. Diese Debatte haben nicht Asylbewerber, haben nicht mal Migranten mitbestimmt, sondern Leute, die sich damit eigentlich nicht auskannten. Diskurshoheit heißt also, dass nicht alle möglichen Blickwinkel in Betracht gezogen werden, sondern nur einer.

Liegt das auch daran, dass es so wenige Journalisten mit Migrationshintergrund gibt?

Es ist ja nicht so, dass es sie gar nicht gäbe. Es gibt sie und sie suchen auch Jobs. Aber ich glaube, dass viele Redaktionen nicht nach ihnen suchen. Sie empfinden da kein Manko, wie sie es inzwischen etwa empfänden, wenn in diesen Redaktionen nur Männer säßen. Ähnliches gilt übrigens für Volontärskurse: Ausbildern ist zu wenig bewusst, dass unter ihren Schülern Menschen mit Migrationshintergrund sein sollten.

„Die Privaten waren witzigerweise Vorreiter“

Trotz allem hat sich der mediale Diskurs verändert: Es ist nicht mehr von „Ausländern“ die Rede, und Deutschland wird als Einwanderungsland betrachtet.

Es hat sich sicher eine Menge getan, auf jeden Fall bei den Sendern, und da witzigerweise gerade bei den Privaten. Sie waren die Vorreiter.

Indem sie Moderatoren anstellten, um Migranten anzusprechen.

Für Privatsender ist es eben wichtiger, auf eine veränderte Zielgruppe zu reagieren. Wenn in diesem Land ein Fünftel der Bevölkerung Migrationshintergrund hat, kann ein Sender wie RTL nicht an ihnen vorbeisenden. Wobei auch die Öffentlich-Rechtlichen umgedacht haben. Das ZDF zum Beispiel bemüht sich sehr um Veränderung, hinter wie vor der Kamera. Aber es gibt immer noch Dinge, an denen wir und andere sich stören, unter anderem in der Wortwahl.

Zum Beispiel?

„Fremdenfeindlichkeit“. Das trifft nicht, es geht nicht um „Fremde“. Wir reden von Deutschen beziehungsweise Menschen, die hier zuhause sind und ethnischen Minderheiten angehören. Wenn die angefeindet werden, sollten wir von „Rassismus“ sprechen.

Für mich bezog sich „Fremde“ immer auf die verzerrte Perspektive des Aggressors, die man in diesem Moment als verzerrt entlarvt.

Sie sind aber herkunftsdeutsch. Wenn jemand angefeindet wird, der hier in dritter Generation lebt, weil er als fremd empfunden wird, dann finde ich es ganz wichtig klarzumachen, dass er nicht fremd ist, sondern nur einen anderen Namen und vielleicht schwarze Haare trägt. „Fremdenfeindlichkeit“ markiert einen Unterschied, den es nicht gibt, und ich will diese Perspektive des Aggressors nicht übernehmen. In England oder Frankreich wird Rassismus auch genau so genannt.

Als wie aufgeklärt empfinden Sie die Sportressorts?

Ein interessantes Thema. Auf der einen Ebene sagt man, beim Sport seien alle gleich und verweist auf die ethnisch gemischte Fußallnationalmannschaft. Auf der anderen Seite gibt es die Diskussion wie bei der EM, wer die Nationalhymne mitsingt und wer nicht. Es ist entscheidend, wie solche Themen abgehandelt werden: Wie werden deutsche Sportler mit Migrationshintergrund betrachtet? Stehen sie in einer Art Bringschuld?

Wie werden sie denn betrachtet Ihrer Einschätzung nach?

Von der „Frankfurter Rundschau“ natürlich anders als von „Bild“.

Wobei die „Bild“-Zeitung sicher abweicht von dem, was weite Teile der deutschen Presse als sozial verträglich betrachten.

Sie ist Teil der deutschen Presse, und zwar der auflagenstärkste. Mein zugegeben relativ oberflächlicher Eindruck ist im Übrigen der, dass auf den Sportseiten etwas anders über bestimmte Dinge berichtet wird als im Politikressort. Ich finde es zum Beispiel problematisch, wie schwarze Sportler manchmal beschrieben werden – dieser Vergleich mit Gazellen bei Läufern.

Ohwei, solche Vergleiche ziehen doch nur noch die ganz Unberührbaren.

Aber man findet sie, und in Radio und Fernsehen zumal. Wir werden es bei den Olympischen Spielen bestimmt erleben.

(Quelle: DOSB / Das Interview führte Nicolas Richter)


  • Sheila Mysorekar, Vorsitzende der Neuen deutschen Medienmacher setzt sich für ethnische Vielfalt in deutschen Medien ein. (Foto: privat)
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