Marina Reider – Starthelferin in Weißwasser

„Es war schon eine ganz schöne Umstellung am Anfang“, erinnert sich Marina Reider. Seit 11 Jahren lebt die ehemalige Leistungssportlerin in Deutschland, wohnt im etwa 24000 Einwohner zählenden Weißwasser in der Oberlausitz. Dort trainiert sie als „Integration durch Sport“-Starthelferin drei Mal die Woche etwa ein Dutzend 10-15-Jährige in der Leichtathletik-Abteilung des SG Boxberg. Außerdem betreut Marina Reider noch einmal wöchentlich eine Leichathletik AG in einer Schule, an der etwa 20 Erstklässler teilnehmen.

Die Stadt Weißwasser in Sachsen - Hier der Wasserturm als Wahrzeichen (Foto: Stadt Weißwasser)
Die Stadt Weißwasser in Sachsen - Hier der Wasserturm als Wahrzeichen (Foto: Stadt Weißwasser)

Sie selbst hat bis zur Geburt ihres dritten Sohnes aktiv an Wettkämpfen teilgenommen, hält wahrscheinlich noch immer einen Sachsenrekord im Dreisprung. In Marina Reiders Leben vergeht aber nach wie vor kaum ein Tag ohne Sport: Unter der Woche trainiert sie die Kinder und Jugendlichen, am Wochenende geht es auf Wettkämpfe, bei denen ihre Schützlinge auch regelmäßig auf dem Siegerpodest landen. Vor fünf Jahren etwa las sie in der Zeitung vom Programm „Integration durch Sport“. Der SG Boxberg bewarb sich und wurde schließlich auch gefördert.

 

Von Asien nach Europa - Von Duschanbe nach Weißwasser

 

Wer nicht aus Weißwasser kommt, kennt die sächsische Kreisstadt vermutlich nicht. Wenn doch, dann höchstwahrscheinlich einer Skurrilität wegen: Sie war Heimat des DDR-Eishockey-Rekordmeisters SG Dynamo Weißwasser (heute die „Lausitzer Füchse“), der die Meisterschaft nur gegen einen Konkurrenten zu verteidigen hatte: den EHC Dynamo Berlin, die heutigen „Eisbären“. Mehr Clubs waren nämlich nicht in der Liga. Bevor Marina Reider in die Lausitz kam, war die tadschikische Hauptstadt Duschanbe ihr Zuhause. Dort leben mehr als 540 000 Menschen. Klar, dass es da Unterschiede gibt.

 

Wie groß die Anpassungsleistung ist, die Marina Reider – wie jeder Aussiedler – vollbringen musste, ist wohl kaum zu ermessen. Am Anfang stand der Spracherwerb, das alte Zuwanderungsgesetz setzte keine Sprachkenntnisse voraus. „Sonst hätte ich vielleicht gar nicht nach Deutschland kommen können“, vermutet sie. Aber die deutsche Sprache hat Marina Reider schnell erlernt, schon der Kinder wegen. „Mir blieb gar nichts anderes übrig. Wir waren kaum angekommen, da wurden die Kinder krank. Das hieß, mit dem Wörterbuch zum Arzt gehen. Das ist natürlich kein Zustand. Verwandte, die uns hätten helfen können, als Dolmetscher oder so, hatten wir nicht. Es war wie ein Sprung ins kalte Wasser für mich, aber so habe ich die Sprache sehr schnell erlernt.“

 

Die Suche nach Arbeit gestaltete sich für die Diplom-Sportlehrerin schwierig: Auch als ihre Deutschkenntnisse fürs Unterrichten gut genug sind, kann sie nicht in ihren Beruf zurück. Die bundesdeutschen Behörden erkennen ihr Diplom nicht an (ein Schicksal, das sie mit vielen Aussiedlern und Migranten sowie Ex-DDR-Bürgern teilt). Aber Marina Reider gab nicht auf, hilft mittlerweile bei der Ausbildung angehender Physiotherapeuten. Geholfen hat ihr der Sport: „Mein Mann und ich sind einfach auf die Sportplätze gegangen, haben für uns trainiert. Wir kannten ja niemanden, wussten nicht was es für Verein gibt und so weiter. Ein bisschen Angst war auch dabei, bei soviel Unbekanntem auf einmal.“

 

Kennenlernen auf dem Sportplatz

 

Über 20 Aussiedlerkinder aus der Wohnanlage nahmen sie einfach mit, trainierten „wild“ mit ihnen. „Dass wir da nicht versichert sind und solche Sachen wussten wir ja gar nicht“, sagt Marina Reider. Aber die Sachsen sind ein aufgeschlossenes Völkchen, und so dauerte es nicht lange, bis man mit Einheimischen ins Gespräch kam, die ihre Runden drehten. „Die haben uns dann gesagt, dass wir doch einfach mal in den Verein kommen sollen, uns umsehen.“ Auch die Lokalpresse war schnell da, machte Fotos und schrieb eine Geschichte.

 

Marina und ihr Mann zauderten nicht lange, wurden recht schnell Vereinsmitglieder. Über einige Sachen allerdings hat sich die mittlerweile 36-Jährige aber schon gewundert. „Es ist für uns eben schwer zu verstehen, dass wir für Sport bezahlen sollen. In Duschanbe habe ich als Leistungssportlerin quasi eine Art Extra-Gehalt bekommen. Jetzt sollte ich auf einmal Mitgliedsbeiträge dafür zahlen, dass ich trainiere und sportliche Leistungen erbringe.“

 

Bis die Kinder in den Verein kamen, dauerte es denn auch seine Zeit. Viele Eltern hatten genau das von Marina Reider geschilderte Verständnisproblem. Zudem ist das Geld meist knapp, gerade bei frisch zugewanderten Familien, da diese anfangs in der Regel Sozialhilfe beziehen. „Wenn man dann vielleicht noch einen ganzen Jahresbeitrag auf einmal entrichten soll, dann kann man schon unsicher werden“, wirbt Marina Reider um Verständnis für die Skepsis, die bei Aussiedlern gegenüber dem Vereinssport anfänglich oft herrscht. Wer gut überlege sollte diese Vorbehalte aber schnell überwinden, findet sie. „Das wird sonst eindeutig am falschen Ende gespart.“

 

Für die Zukunft wünscht sich Marina Reider vor allen Dingen, dass sie auch weiterhin mit der Unterstützung von „Integration durch Sport“ rechnen kann. Ihr ist durchaus bewusst, dass es in Zeiten knapper öffentlicher Kassen keine Tabus beim Sparen gibt und der Zuzug von Aussiedlern rückläufig ist. Aber auch die öffentliche Hand dürfe nicht am falschen Ende sparen, findet die engagierte Frau.


  • Die Stadt Weißwasser in Sachsen - Hier der Wasserturm als Wahrzeichen (Foto: Stadt Weißwasser)
    Die Stadt Weißwasser in Sachsen - Hier der Wasserturm als Wahrzeichen (Foto: Stadt Weißwasser)