"Integration muss bereits im Kindergarten beginnen", Interview mit Prof. Christian Pfeiffer

Prof. Christian Pfeiffer ist Direktor des Kri­mi­no­lo­gischen Forschungs­insti­tuts Nieder­sachsen in Hannover. Von 2000 bis 2003 be­klei­dete der Professor für Rechts­wissen­schaf­ten das Amt des Justiz­ministers in Hannover. Pro­fessor Pfeiffer be­schäftigt sich unter anderem mit Jugend­kri­mi­na­lität und -gewalt, mit inner­fami­liärer Ge­walt und Straf­fälligkeiten bei ethnischen Min­der­hei­ten.

Prof. Chris­tian Pfei­ffer (Foto: KFN - Kri­mi­no­lo­gisches For­schungs­insti­tut Nie­der­sachsen e.V.)
Prof. Chris­tian Pfei­ffer (Foto: KFN - Kri­mi­no­lo­gisches For­schungs­insti­tut Nie­der­sachsen e.V.)

   Junge männliche Spätaussiedler sind gemessen am Bevölkerungsanteil besonders häufig in Gewalttaten und Drogendelikte involviert. Wo sehen Sie die Ursachen dafür?

 

Prof. Christian Pfeiffer: Für diesen Zustand ist ein Geflecht von Ursachen verantwortlich. Zum einen sind junge männliche Spätaussiedler in ihren Familien relativ häufig durch Gewalt vorbelastet. Nicht selten werden die Kinder geschlagen und auch Alkohol spielt eine Rolle. Vor diesem Hintergrund wachsen die Opfer wenn sie älter werden in die Täterrolle hinein. Zum anderen ist es vielen Familien nicht gelungen, sich im Arbeitsmarkt zu integrieren. Sie leben von der Sozialhilfe und geraten auf die Verliererstraße. In den Köpfen jedoch wachsen deutsche Ansprüche, die sich nicht erfüllen. Dadurch entsteht eine hohe Frustration, die Straftaten begünstigt. Ein weiterer entscheidender Faktor ist im kulturellen Hintergrund der Spätaussiedler zu sehen. In den Köpfen der Jungen leben vielfach Jahrhunderte alte Vorstellungen von der Dominanzrolle der Männer fort, die ihnen auch von ihren Vätern vorgelebt wird. Junge Spätaussiedler sind dadurch häufiger als einheimische Alterskollegen von extremen Macho-Vorbildern geprägt.

 

   Gibt es Unterschiede bei der Integration von Spätaussiedlern aus der ehemaligen Sowjetunion und anderen Ländern?

 

Prof. Christian Pfeiffer: Es gibt sehr deutliche Unterschiede. Als Beispiel möchte ich Polen aufführen. Wenn Polen nach Deutschland kommen, dann fragen sie als erstes nach der katholischen Gemeinde. Über die Kirche finden Sie in der Regel schnell Anschluss zu deutschen Mitbürgern. Aussiedler aus der ehemaligen Sowjetunion dagegen haben die Tendenz sich vor allem mit Ihresgleichen zusammenzuschließen und bilden eher Enklaven.

 

   Wie sieht es mit der Entwicklung der Ausländerkriminalität über die letzten Jahre hinweg aus?

 

Prof. Christian Pfeiffer: Insgesamt lässt sich ein großer Rückgang der Ausländerkriminalität in den letzten 10 Jahren von 27 Prozent aller Tatverdächtigen auf 19 Prozent feststellen. Das Problem ist, dass die Bevölkerung glaubt, es hätte einen Anstieg auf 37 Prozent gegeben. Zudem sind auch die Statistiken mit Vorsicht zu genießen, denn sobald Ausländer in ein Delikt involviert sind, dann steigt auch die Wahrscheinlichkeit, dass es zu einer Anzeige kommt. Im Hinblick auf die Aussiedler ist zu ergänzen, dass hier die Dominanz der männlichen zu den weiblichen Tatverdächtigen weit stärker ausgeprägt ist als bei Deutschen oder auch bei Ausländern.

 

   Wo müssten Ihrer Meinung nach integrative Maßnahmen ansetzen und welche Rolle spielt der Sport bei der Integration?

 

Prof. Christian Pfeiffer: In Deutschland wird ein wesentlicher Integrationsfaktor stark vernachlässigt: Integration muss bereits im Kindergarten beginnen. Die ausländischen Kinder, die in deutschen Kindergärten integriert sind, sprechen in der Regel perfekt deutsch, haben Anschluss zu deutschen Kindern, werden auf deutsche Kindergeburtstage eingeladen und haben auch später in der Schule keine Probleme. Die Realität in deutschen Kindergärten ist jedoch häufig so, dass eine Vielzahl von Aussiedler in einem Kindergarten unter sich bleiben, russische Bücher lesen und von Anfang an eine Außenseiterrolle spielen. In Kanada verläuft die Integration über die Kindergärten vorbildlich. Dort werden die Kinder mit Migrationshintergrund im Gegensatz zu Deutschland möglichst gleichmäßig auf die Einrichtungen verteilt.

Wenn die Integration über die Kindergärten besser funktionieren würde, dann könnte auch der Sport noch wirksamer zur Integration beitragen. 12 Prozent der Jugendlichen in den Gefängnissen kommen aus Aussiedlerfamilien, in unseren Sportvereinen wird diese Quote dagegen bei weitem nicht erreicht. Türkische Gruppen treffen sich zumindest in eigenen Gruppen zum Fußballspielen. Die Integration der Aussiedler in deutsche Sportvereine ist jedoch nur ansatzweise gelungen. Dabei bietet der Sport die große Chance, junge Menschen aus unterschiedlichen Kulturen und ethnischen Gruppen zusammenzuführen.


  • Prof. Chris­tian Pfei­ffer (Foto: KFN - Kri­mi­no­lo­gisches For­schungs­insti­tut Nie­der­sachsen e.V.)
    Prof. Chris­tian Pfei­ffer (Foto: KFN - Kri­mi­no­lo­gisches For­schungs­insti­tut Nie­der­sachsen e.V.)