Kardinal Lehmann: "Der Sport zeigt, dass ein gemeinsames Ziel Barrieren überwinden lässt."

Die Unruhen in den Vororten von Paris haben die Diskussion über die Notwendigkeit einer ausgewogenen und tief greifenden Integrationsarbeit auch in Deutschland wieder in Gang gesetzt. Die Frage, ob solchen Krawalle auch in Deutschland möglich sind, beschäftigt viele Menschen. Der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, der Mainzer Kardinal Lehmann, äußert sich in einem Interview zu den Herausforderungen der Integrationsarbeit und den Chancen und Möglichkeiten der Zusammenarbeit von Kirche und Sport.

Karl Kardinal Lehmann (Foto: Bistum Mainz)
Karl Kardinal Lehmann (Foto: Bistum Mainz)

   Kardinal Lehmann, der Deutsche Sportbund und die Kirchen in Deutschland stellen sich der zunehmenden Aufgabe der Integration von Zuwanderern in die Gesellschaft. Wo sehen Sie dabei künftig die Schwerpunkte?

 

Kardinal Lehmann: Gerade der Mannschaftssport ist in besonderer Weise geeignet, Integration zu fördern. Hier kommt es auf jeden und jede im Team an. Das sportliche Miteinander steht im Mittelpunkt und verbindet über Nationalitätsgrenzen – und auch über andere Grenzen – hinweg. Wir haben im Bereich der Jugendarbeit eine besondere Chance, denn das Verständnis füreinander zu fördern, das beginnt schon in frühester Zeit. Daneben kann der Sport auch für einen emotionalen Ausgleich sorgen. Wer sich sportlich, fair und im Team „abreagiert“, der braucht keine Schlägerei oder ähnliches, um Emotionen auszuleben. Echte Freude und körperlicher und emotionaler Einsatz gehören zum Sport ebenso wie das Verarbeiten von Niederlagen, das Zusammengehörigkeitsgefühl und der Trost in der Gruppe.

 

 

   Gemeinschaftliche Anstrengungen von Kirchen und Sport bei der Integrationsarbeit spielen dabei künftig eine tragende Rolle. Können sie das an einem Beispiel auf lokaler Ebene konkretisieren?

 

Kardinal Lehmann: Ich denke neben anderen an die kirchlichen Sportvereine der DJK. Alleine im Bistum Mainz sind über 15.000 Mitglieder aktiv, bundesweit sind es 2004 weit über eine halbe Million gewesen. Hier wird vorbildliche Arbeit geleistet und zwar in unterschiedlichen Sportarten und Sparten. Wenn es uns gelingt, das kirchliche Profil dieser Vereine und den sportlichen Aspekt zu verbinden, ohne in die ein oder andere Richtung auf diesem Gebiet eine „Schlagseite“ zu bekommen, dann sind wir auf einem guten Weg.

 

 

   Die Kirchen in Deutschland haben für die bessere Integrationsarbeit die „Woche der ausländischen Mitbürger“ installiert. Können sie die Ziele dieser Initiative erläutern?

 

Kardinal Lehmann: Wir leben in unserem Land mit vielen Menschen Tür an Tür, die aus unterschiedlichsten Nationen, Herkunftsorten und mit ihren je eigenen Geschichten zu uns kommen. Eine „Woche der ausländischen Mitbürger“ soll einladen, dieses Miteinander zu nutzen, um mehr voneinander zu erfahren, dabei den anderen besser kennenzulernen und so auch Verständnis für die Mitmenschen zu wecken. Dies darf sich freilich nicht auf eine Aktionswoche beschränken. Sie soll Impuls sein, im Alltag das Miteinander zu fördern. Es kann nicht um eine Gleichmacherei gehen. Es soll ein wechselseitiger Austausch vom je eigenen Standpunkt aus stattfinden. Das fördert den Dialog. Wenn wir miteinander ins Gespräch kommen, erfahren wir eher, wo Vorbehalte sind und wo der Schuh drückt. So können vorhandene Probleme vielleicht besser bewältigt werden, bevor sie eskalieren (vgl. die Ereignisse dieser Tage in Frankreich).

 

 

   Wie können Kirche und Sport gemeinsam den Integrationsgedanken künftig noch wirksamer in die Schulen und Verein tragen?

 

Kardinal Lehmann: Wir haben die Erfahrung gemacht, dass Kinder weitaus unvoreingenommener miteinander umgehen als Erwachsene dies bisweilen tun. So können Verständnis füreinander und Integration nicht früh genug anfangen.Die Sportvereine – ich sprach beispielhaft von der DJK – können hier einen wichtigen Dienst tun; aber auch Pfarrgemeinden, Kindergärten und Schulen, viele weitere Einrichtungen und Gruppen sind miteinander gefordert. Es gibt viele gelungene Beispiele, wie Kinder und Jugendliche ganz selbstverständlich miteinander umzugehen lernen – auch über Sprach- und Nationengrenzen hinweg.

 

 

   Was können die Kirchen vom Sport bei der Integrationsarbeit lernen, und was der Sport von den Kirchen?

 

Kardinal Lehmann: Für beide gilt: Es kommt auf ein faires Miteinander an, um Erfolg zu haben. Die Kirche ist von frühester Zeit an Weltkirche, d.h. für sie gibt es eigentlich keine Ausländer. Wir erleben hier, dass wir in bunter Vielfalt und Verschiedenheit miteinander leben, ohne Vereinheitlichung und ohne das je Eigene, vor allem die eigene Tradition und Herkunft, aufzugeben oder zu verleugnen. Der Sport – gerade der Mannschaftssport – zeigt auf seine Weise, dass ein gemeinsames übergeordnetes Ziel Barrieren überwinden lässt.


  • Karl Kardinal Lehmann (Foto: Bistum Mainz)
    Karl Kardinal Lehmann (Foto: Bistum Mainz)