Türkischer Außenminister Gül zu seinen Landsleuten in Deutschland: Wenn Ihr hier glücklich werden wollt, dann müsst Ihr euch vollständig integrieren.

Bei seinem Besuch in Deutschland Mitte November 2005 hat der türkische Außenminister Abdullah Gül seine in Deutschland lebenden Landsleute aufgefordert, sich stärker in die deutsche Gesellschaft zu integrieren. In einem Interview mit der Berliner Zeitung vom 21. November sagte Gül, die Türken in Deutschland machten einen Fehler, wenn sie sich nur für das politische Geschehen in der Türkei interessieren. „Es nützt nichts, wenn man hier türkisches Fernsehen schaut und weiß, was in der Türkei los ist. Sie müssen verstehen, was hier passiert, was in ihrer Straße abläuft, damit sie das auch ihren Kindern weitergeben können, “ so der Außenminister.

Hier das gesamte Interview im Wortlaut:

 

   Herr Außenminister, Ihr Regierungschef Recep Tayyip Erdogan hat angekündigt, dass die Türkei die Integration der hier lebenden Türken aktiv unterstützen will. Was ist damit gemeint?

Außenminister Gül: Ich habe mich bei diesem Besuch auch mit den Vertretern der türkischen Gemeinschaft getroffen. Und ich habe ihnen gesagt: Sie leben jetzt hier, Ihre erste Heimat ist jetzt Deutschland. Damit Sie hier glücklich werden können, müssen Sie sich vollständig integrieren. Das erste, was dazu gehört, ist sehr gut Deutsch zu lernen. Die soziale, wirtschaftliche und politische Teilnahme ist ebenfalls sehr wichtig.

 

   Mit welchen Maßnahmen wollen Sie dabei helfen?

Außenminister Gül: Das Wichtigste ist, eindeutig Position zu beziehen. Ich habe den Leuten gesagt, dass sie einen Fehler machen, wenn sie sich zu sehr mit der Politik in der Türkei beschäftigen. Es nützt nichts, wenn man hier türkisches Fernsehen schaut und weiß, was in der Türkei los ist. Sie müssen verstehen, was hier passiert, was in ihrer Straße abläuft, damit sie das auch ihren Kindern weiter geben können. Natürlich muss auch die deutsche Regierung dabei helfen.

 

   Wie?

Außenminister Gül: Sie muss die Integration unterstützen. Zum Beispiel das Thema Bildung ist sehr wichtig. Die Menschen dürfen nicht das Gefühl bekommen, ausgegrenzt zu werden. Ich habe Frau Merkel gesagt, wie wichtig es ist, dass sich auch ihre Regierung so einlässt. Sie selbst hat das sehr begrüßt. In den letzten fünf Jahren hat es eine sehr positive Veränderung in der türkischen Gemeinschaft gegeben. Ideologien verlieren an Bedeutung. Man merkt das in allen Bereichen, wie zum Beispiel in Moscheen. In der Türkei dürfen Frauen in öffentlichen Einrichtungen kein Kopftuch tragen.

 

   Was halten Sie vom Kopftuch-Verbot, das immer mehr deutsche Bundesländer einführen?

Außenminister Gül: Meine persönliche Meinung ist, dass die Religionsfreiheit sehr wichtig ist. Jeder muss seine Religion so ausleben können, wie er möchte. Das gilt genauso für Sikhs, Hindus, Christen und Juden wie für Muslime.

 

   Also sollte eine muslimische Lehrerin in der deutschen Schule Kopftuch tragen dürfen?

Außenminister Gül: Meine Meinung dazu habe ich gerade gesagt. Aber das sind Entscheidungen, die die deutschen Behörden selbst treffen müssen.

 

   Wäre es denkbar, dass es hier zu Ausschreitungen kommt wie in den französischen Vorstädten?

Außenminister Gül: Ich kann mir das auf keinen Fall vorstellen. Die Unterschiede zwischen der türkischen Gesellschaft hier und dem, was es in Frankreich gibt, sind sehr groß. Die Menschen, die dort randalieren, stammen aus früheren französischen Kolonien, Ländern, mit denen Frankreich Krieg geführt hat. Zwischen uns gibt es keine solche Geschichte. Die Türken hier kommen aus einer Demokratie, die sich auf dem Weg in die EU befindet.    Wenn Sie in der Türkei jemanden fragen, welche Fußball-Mannschaft er nach der türkischen am meisten bejubelt, sagen 90 Prozent: Die deutsche.

 

   Herr Außenminister, bei Ihrem Berlin-Besuch haben Sie Kanzlerin Angela Merkel getroffen. Haben Sie Ihre Differenzen über die EU-Kandidatur der Türkei ausräumen können?

Außenminister Gül: Man muss vergessen, was vor den Wahlen gesagt wurde. Es ist klar, dass die Vereinbarungen, die beim Beginn der EU-Beitrittsverhandlungen am 3. Oktober getroffen wurden, gelten. Wir haben darüber geredet und waren uns einig, dass dieser Prozess weiter läuft und zum Erfolg gebracht werden soll. Wenn es dann so weit ist, werden die Völker in Europa und in der Türkei entscheiden müssen, was passiert. Aber erst dann und nicht heute.

 

   Sie haben Gerhard Schröder als besonderen Freund der Türkei bezeichnet. Was erwarten Sie von Merkel?

Außenminister Gül: Herr Schröder war wirklich ein guter Freund und ein großer Unterstützer der Türkei. Ich glaube, dass auch Frau Merkel eine gute Freundin sein wird.  Welcher türkische Premier und welcher deutsche Kanzler könnten die Bedeutung unserer Beziehungen ignorieren?

 

   Was macht Sie so sicher?

Außenminister Gül: Allein letztes Jahr haben vier Millionen deutsche Touristen die Türkei besucht. In Deutschland leben drei Millionen Türken, von denen fast eine Million einen deutschen Pass haben. Wenn Sie die wirtschaftlichen, gesellschaftlichen, künstlerischen Leistungen dieser Menschen betrachten, ist offenkundig, wie wichtig die Beziehungen sind.