„Der Junge kommt überall durch“

Béla Réthy moderiert den großen Fußball im ZDF, auch bei der WM in Brasilien. Gespräch über die Rückkehr in eine alte Heimat und das Verhältnis zwischen Journalismus und kultureller Vielfalt.

Reporter Béla Réthy beim DFB-Pokal, Finale Borussia Dortmund - FC Bayern München; Übertragung aus dem Olympia-Stadion in Berlin (Quelle: ZDF, Jürgen Detmers)
Reporter Béla Réthy beim DFB-Pokal, Finale Borussia Dortmund - FC Bayern München; Übertragung aus dem Olympia-Stadion in Berlin (Quelle: ZDF, Jürgen Detmers)

Sie sind als Sohn ungarischer Eltern in São Paolo aufgewachsen, bevor Ihre Familie 1968 nach Deutschland kam. Ist Ihnen Ihre bunte Biografie beruflich zugute gekommen?

Das würde ich schon sagen. Als ich mit etwa 23 beim ZDF als Praktikant anfing, durfte ich natürlich erstmal nur kleine Sachen machen. Dann bekam ich plötzlich Aufträge für Geschichten in Spanien oder Portugal. Das lag daran, dass ich die Sprachen beherrschte beziehungsweise im Fall von Spanien zumindest verstand. Dadurch bildete sich eine Art Image: Der Junge kommt überall durch. Man hat mich dann nach Polen oder Norwegen geschickt, und wenn ich sagte, ich kann die Sprachen nicht, hieß es: Egal, Du machst das schon. Man hat mir also einen Stempel aufgedrückt, der in dem Zusammenhang nicht nachteilig war und meine Karriere beschleunigt hat.

Begleitet Sie dieses Image immer noch?

Ich bin nach wie vor gefragt, wenn etwas im brasilianisch-portugiesischen Sprachraum anliegt. Die anderen Sprachen, also Englisch, Französisch, Spanisch sprechen auch viele Kollegen, da habe ich längst kein Monopol. Mit Portugiesisch ist im Moment aber mehr als genug zu tun. Nach der Fußball-WM kommt ja noch Olympia 2016 in Rio.

Werden Sie da auch vor Ort sein?

Ja. Bei Olympia kommentiere ich immer Hockey. Und weil das nicht allzu viele Spiele sind, kann ich zwischendurch ein bisschen die Kollegen unterstützen.

Einmal ZDF, immer ZDF

Neulich, beim Champions-League-Finale, klang Brasilien durch. Hatte etwa Real Madrids Portugiese Fábio Coentrão den Ball, näselte Béla Réty das „ão“, wie er es gelernt hat in São Paolo. Dorthin waren einst seine aus der ungarischen Heimat nach Wien geflohenen Eltern weitergezogen, kurz nach seiner Geburt im Jahr 1956. Als er 12 war, kehrte die Familie nach Europa zurück und ließ sich in Wiesbaden nieder. Réthy, studierter Publizist, kam Anfang der 80er Jahre zum ZDF, wo er vom Nebenjobber, Praktikanten und freien Mitarbeiter zum Redakteur wurde. Fußball war bald sein Schwerpunkt: erste Dienstreise 1983 nach San Sebastián (Vorbericht zum Gastspiel des HSV im Europacup-Halbfinale), erste Live-Übertragung 1991 (U16, Deutschland gegen Irland), erstes großes Endspiel 1996 (EM, Deutschland gegen Tschechien). Bei Olympischen Spielen moderiert er Hockey-Übertragungen.

 

Wie ist generell Ihre heutige Beziehung zu Ungarn und Brasilien?

Ungarn ist sehr lebendig für mich. Auch wenn ich nicht ständig hinfahre, bin ich im Bilde, was dort vor sich geht und interessiere mich sehr dafür. Mit meiner Mutter rede ich auch Ungarisch, das fällt ihr leichter als Deutsch. Nach Brasilien ist der Kontakt nie abgerissen, und in den vergangenen Jahren war ich regelmäßig dort: Drei-, viermal beruflich und 2007 zum letzten Mal privat, für eine längere Reise. Wenn ich dort ankomme, bin ich anfangs etwas unsicher, weil ich die Sprache so selten praktiziere. Aber nach ein paar Tagen bin ich drin und spreche nach Aussage meiner Gesprächspartner akzentfrei. 

Speicherort Nase

Es gibt im Vorfeld der WM intensive Debatten über die Veränderungen in Brasilien. Wie erleben Sie das Land im Vergleich zu früher?

Natürlich nehme ich Veränderungen wahr, aber die Lebensart und die Wesensart der Menschen empfinde ich genauso wie damals. Ich mache ja viel über Gerüche fest. In Brasilien merke ich das zum Beispiel, wenn ich über einen Markt gehe und die Früchte rieche. Das hat einen speziellen Touch für mich.

Der Geruchssinn ist Ihr Speicher?

Ich finde das angenehm. Ich steige in São Paolo aus dem Flugzeug und weiß: Ich bin in Brasilien. 2011 waren wir zu Dreharbeiten dort, für Porträts über die damalige Weltfußballerin Marta und etwas später über den berühmten Sòcrates, der dann leider sechs Wochen später gestorben ist. Damals hatten wir auch in Santos zu tun, das liegt 60 Kilometer von São Paolo entfernt an der Küste, als Kind war ich da oft mit der Familie übers Wochenende. Bei diesen Dreharbeiten hatte ich eine Art déjà-vu: Da war so ein Meeres- und Fischgeruch, kombiniert mit Benzin und Hafen- und Stadtgerüchen. Ein ganz spezifisches Gemisch, das mich in die Kindheit versetzt hat.

Ist eine WM in Brasilien vor diesem persönlichen Hintergrund etwas Besonderes für Sie?

Emotional ist das sicher speziell, aber die Arbeit selbst wird sich nicht unterscheiden von anderen Großereignissen. Das läuft ab wie im Alltag: Vorbereitung im Hotel, rausfahren ins Stadion, moderieren. Wobei die Reiselogistik in diesem Jahr eine Herausforderung wird. Ich kommentiere in der Vorrunde Spiele in sieben Stadien und sechs Städten, zwischen denen teilweise vier, fünf Flugstunden liegen. Das ist schon extrem. Im Übrigen hänge ich noch ein bisschen Urlaub dran, da ist dann Raum für Persönliches.

Respektlos ist nicht im Repertoire

Stichwort Moderieren: Das deutsche Team steht für kulturelle Vielfalt und ist zugleich nationales Symbol. Macht das Ihren Job bisweilen heikel, wenn man zum Beispiel an die Stimmung rund um Spiele gegen die Türkei denkt?

Nein. Ich bemühe mich immer um weitestgehende Objektivität, aber ein Stück emotionale Parteilichkeit für die deutsche Nationalmannschaft sollte dabei sein. Das hat nichts mit Despektierlichkeit gegenüber anderen Kulturen oder Nationalitäten zu tun, ich bin halt Dienstleister für einen deutschen Sender – umgekehrt machen es die Kollegen ja genauso. Mit der eigenen Mannschaft mitzugehen, gehört im Sport dazu, solange der Respekt gewahrt bleibt und hörbar wird.

Fällt es Ihnen nie schwer, diese Balance zu halten?

Wenn Sie im normalen Leben respektvoll mit anderen Menschen und Kulturen umgehen, müssen Sie sich bei der Reportage nicht umstellen. Was ich nicht im negativen Repertoire habe, werde ich auch in solchen Momenten nicht rauskramen – es ist einfach nicht präsent. Das bringt auch der Beruf mit sich.

Wie meinen Sie das?

Im Journalismus wird man im Lauf von 30 Berufsjahren mit allen Arten von Kultur, Religion, Mentalität et cetera konfrontiert. Ich bin 150 bis 180 Tage im Jahr auf Reisen, das ist sehr förderlich für das Grundverständnis: Man kommt man raus aus der eigenen Suppe und sieht, dass die Menschen anderswo die Dinge genauso gut erledigen. Nur eben auf ihre Weise.

Wann und wie haben Sie eigentlich Deutsch gelernt?

Erst nachdem ich nach Deutschland gekommen war. Das dauerte ungefähr ein halbes Jahr, als Kind geht das ja relativ schnell. Außerdem hat mir der Sport geholfen. Ich war schon in Brasilien total fußballinteressiert, und in Wiesbaden gab es hinter dem Haus meiner Eltern einen Platz, auf dem die Jungs aus der Nachbarschaft spielten. Da habe ich dann mitgemacht – ich wurde damals überall mit offenen Armen empfangen, das muss ich sagen.

Und so lernten Sie Fußballdeutsch?

Nein, während des Spiels fand nur nonverbale Kommunikation statt. Aber danach haben mich die anderen Kinder zu sich nach Hause eingeladen. Das hat meine Integration in den Alltag nochmal sehr beschleunigt.

Interview: Nicolas Richter


  • Reporter Béla Réthy beim DFB-Pokal, Finale Borussia Dortmund - FC Bayern München; Übertragung aus dem Olympia-Stadion in Berlin (Quelle: ZDF, Jürgen Detmers)
    Reporter Béla Réthy beim DFB-Pokal, Finale Borussia Dortmund - FC Bayern München; Übertragung aus dem Olympia-Stadion in Berlin (Quelle: ZDF, Jürgen Detmers)