Cricket für alle
Wie Cricket Hamburg e.V. den indischen Nationalsport in alle Himmelsrichtungen Hamburgs exportiert

16.12.2025

Ein Text von Frank Heike
Die simple Antwort auf eine einfache Frage heißt: „Siggi!“ Rebekka Hönnicke und Anika Janusch überlegen keine Sekunde. Mit Cricket hatten weder der SV Eidelstedt im Westen noch der ETSV im Osten der Stadt viel zu tun. Sicher, da war rudimentäres Wissen, dass das Schlagballspiel mit dem Bowler und dem Batter zu den größten der Welt gehört und Milliarden umsetzt. Doch weder in Hönnickes SVE noch in Januschs ETSV besetzte Cricket eine Hauptrolle. Doch dann kam Siggi.
Siggi ist Siegfried Franz. Ein 79 Jahre alter Cricket-Nerd, der über verschlungene biografische Pfade zu seinem, dem Lieblingssport eines ganzen Subkontinents gekommen ist. Mehr als 20 Jahre schon schiebt Franz die Entwicklung in unserer Stadt an: „Ich kann nicht still sitzen!“ Erst als Schatzmeister, dann Präsident des Bundesverbandes, nun seit drei Jahren als Präsident von Cricket Hamburg e.V. Nimmermüde, freundlich, in stetem Austausch mit allen Stakeholdern. Schon sieht er durch die Bewerbung für Olympische Spiele ganz neue Möglichkeiten am Horizont.
Doch der Reihe nach.
Sein Ursprungsgedanke war, Cricket nicht mehr nur in Harburg blühen zu lassen – sondern in ganz Hamburg. Beim Harburger TB ist Cricket nämlich seit Jahren etabliert. Dort spielen 150 Menschen. Kinder und Jugendliche werden vor allem durch die Hallenvariante („modified Cricket“) angelockt; der Reiz des Neuen (wer schließlich hat den Korkball schon einmal mit dem Bat geschlagen?) hat beim HTB Dutzende Kinder zum Cricket gebracht. Franz' Idee war, nun gezielt Vereine im Osten und Westen der Stadt anzusprechen – im Norden ist das Angebot durch den THCC Rot-Gelb in Osdorf abgedeckt.
Ende 2024 traf er Rebekka Hönnicke. Die Abteilungsleiterin Freizeitsport war sofort Feuer und Flamme. Der SVE begann im April 2025 mit einem Hallen-Cricket-Projekt bis zu den Sommerferien, das dann bis Jahresende verlängert wurde. Auch die Integrationsbeauftragte Anika Janusch hatte er Anfang 2025 rasch am Haken. Beim ETSV begann das Projekt im zweiten Jahresquartal. 25 junge Menschen waren es jeweils, die kamen. Geworben wurde mit Flyern, bei Instagram und Facebook, auf der vereinseigenen Homepage. Anika Janusch machte das Projekt zudem durch eine Bergedorfer Whatsapp-Gruppe bekannter und hängte Plakate in einem Restaurant indischer Betreiber in Lohbrügge auf – das fruchtete. Als ihr zwölf Jahre alter Sohn einmal mitgespielt hatte, war er begeistert und blieb.
Die Ausrüstung kam von Cricket Hamburg e.V., die Trainer auch: Muhammad Ishtiaq beim ETSV und Gaurav Singh beim SVE. Ihr fachmännisches und zugewandtes Training sei das Salz in der Suppe gewesen. In Eidelstedt ließ Rebekka Hönnicke die Interessierten erst in der Halle des Goethe-Gymnasiums üben, ab 1. Januar 2026 kommt eine zweite Zeit in der Halle Franzosenkoppel hinzu. Anika Janusch schloss die städtische Halle auf dem ETSV-Vereinsgelände auf.
Beide Maßnahmen finanzierte der Hamburger Sportbund (HSB) durch das bundesweite Programm „Integration durch Sport“ (IDS). Der SVE ist dem Cricket-Fachverband inzwischen beigetreten und eröffnet zum Jahresbeginn eine breitensportlich orientierte Abteilung.
Platzprobleme könnten dem ähnlich orientierten ETSV einen Strich durch die Rechnung machen. Auf Sicht soll Cricket in Hamburg nämlich aus der Halle aufs Feld geführt werden. Der ETSV hat sich deswegen schon beim nahen BFSV Atlantik 97 erkundigt. Dort in Neu-Allermöhe West wäre genug Raum. Anika Janusch und Moritz Lenzen aus dem Vereinsvorstand sind bereit, ihre Cricketkinder dorthin „abzugeben“. Denn gerade da, wo Baseballanlagen stehen (wie bei Atlantik), könnte Cricket in einem sharing-Modell draußen gedeihen.
Siggi Franz meint, dass sich diese Anfangs-Schwierigkeiten legen werden. Sieben Hamburger Vereine mit 59 Teams bieten Cricket derzeit in verschiedenen Spielweisen an. Stadtweit zehn vorzeigbare Cricketanlagen sind sein Ziel. Er sieht die Dinge lösungs-, nicht problemorientiert und berichtet von Projekten in den Stadtteilschulen Poppenbüttel und Oldenfelde. Dort bieten Lehrerinnen mit indischem Hintergrund Cricket-AGs an. Er will auch an Kinder herankommen, die keinen Migrationshintergrund haben: „Cricket in Hamburg besteht zu 99,9 Prozent aus Menschen mit Migrationshintergrund.“ Das möchte er aufbrechen und auch alteingesessene Hamburgerinnen und Hamburger für diesen fairen Sport begeistern.
Siegfried Franz ist vom Potential des Crickets überzeugt: „Wir werden weitere Vereine ansprechen. Wir wollen Geflüchteten aus Afghanistan und Pakistan helfen, ihren Nationalsport spielen zu können und haben Hörbehinderte im Blick, für die Cricket der geeignete Sport ist, denn es wird mit Handzeichen gearbeitet.“ Dem Mann gehen die Ideen nicht aus.