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Den nächsten Schritt schon gegangen

Geflüchtete zu Übungsleiterinnen und Übungsleitern? Bei Grün-Weiss Harburg ist das Normalität, denn Integration wird wie selbstverständlich mitgedacht.

DOSB Redaktion
DOSB Redaktion

17.12.2024

Von Frank Heike (Text) und Frank Molter (Fotos)

 

Es ist Susanne Boy anzumerken, dass sie auf den Weg Rigates und Capitals stolz ist. Nur: an die große Glocke hängen will sie ihre Entwicklung eigentlich ungern. So ist man nicht hier im Hamburger Süden, beim SV Grün-Weiss Harburg von 1920, da, wo Hamburg erstaunlich hügelig wird  - und es seit Jahrzehnten schon sehr bunt ist.

Manche Sportangebote für Kinder und Jugendliche werden zur Hälfte von Menschen besucht, die ihre Wurzeln anderswo haben. Wie Rigate, 18 Jahre alt, und ihr vier Jahre jüngerer Bruder. Sie kamen vor sechs Jahren aus Eritrea. Susanne Boy sagt: „Wir kennen es hier gar nicht anders und empfinden es als normalen Alltag.“ Über die Initiative „Sinstorf hilft“ lernte sie vor Jahren die heutige Übungsleiterin Rigate beim gut besuchten Kinderturnen kennen. Ihr Urteil stand schnell fest: „Ihr Bruder hat schon lange Fußball bei uns gespielt. Ich habe sie gefragt, ob sie nicht vielleicht bei uns Übungsleiterin werden möchte. Sie war sofort Feuer und Flamme und ist eine unglaublich engagierte junge Frau. Ein Mädchen mit viel Kraft. Dann sagte ihr Bruder, ,ich will auch!' und hat die Gruppenhelfer-Ausbildung gemacht.“ Etwas schüchtern hören die beiden zu. Aber wem wäre es nicht etwas unangenehm, mit so viel Lob überschüttet zu werden?  

Susanne Boy, 57 Jahre, gelernte Betriebswirtin und in der Personalführung zuhause, verwaltet GWH seit sechs Jahren hauptamtlich und mit großem Einsatz auch über die normale Arbeitszeit hinaus.

Eines haben sich die Grün-Weißen nicht nur bezogen auf Rigate und Capital auf die Fahne geschrieben – sie wollen nicht nur Vereinsmitglieder mit Migrationsgeschichte aufnehmen. Sondern auch Ehrenamtler formen. Das „läuft“, wie Susanne Boy sagt: „Wir reden nicht so viel drüber. Auch andere Jungs wie Capital bewerben sich. Oft hören wir: ,ich habe zwar keinen Schein, aber ich würde gern Trainer werden.' Da rennen sie bei uns offene Türen ein. Wir versuchen dann gemeinsam mit dem HSB die Kinder und Jugendlichen auszubilden. Der Vorstand mit unserem Ersten Vorsitzenden Rainer Bliefernicht unterstützt diese Initiative sehr. Und unsere Integrationsbeauftragte Ema Mae Damisch hilft aktiv, sollten Anträge ein Problem darstellen.“

Für Capital und seine große Schwester in ihren „Grün-Weiß“- Trainingsjacken bedeutet der Verein längst Heimat, Freundschaft und gern übernommene Verantwortung. Capital geht in die neunte Klasse der Lessing-Schule. Er sagt: „Ich bin wegen meiner Schwester gekommen. Sie hat viel erzählt. Das hat mir gefallen. Ich war ein paar Mal dabei. Ich hatte vorher ein Praktikum im Kindergarten gemacht. Ich mochte es, mit den Kindern zu spielen und ihnen etwas beizubringen.“ Rigate geht in die elfte Klasse der Goethe-Schule. Sie nimmt ihre Tätigkeit als Übungsleiterin im Kinderturnen sehr ernst. Die Überprüfung der Teilnehmerliste gehört natürlich auch dazu. Susanne Boy assistiert lachend: „Wir haben Teilnehmerlisten mit 50 Kindern, dann sind aber wiederum auch nur zehn da und zwischendurch wieder alle.“

GW Harburg ist im Stadtteil so gut vernetzt, dass Susanne Boy es fast vergisst aufzuzählen:  Kirchen, Hilfegruppen, Stadtteilbüros, Migrantische Selbstverwaltung und der  Harburger Integrationsrat sind Partner. Sie erklärt: „Wir haben Multiplikatoren und sind mit vielen Aktiven im Kontakt. Gerade entsteht ein neues Tanzprojekt; Tanzen und gesellschaftliche Themen mit Sozialkritik gemischt. Wir sind im sechsten Jahr der HSB-Förderung, es gibt immer wieder neue Ideen, die umgesetzt werden wollen.“

Nicht einmal Werbung für die vereinseigenen integrativen Sportangebote sei nötig in diesem Klub mit etwa 2500 Mitgliedern: „Die Menschen kommen auf uns zu – würden wir werben, könnten wir sie gar nicht unterbringen auf unserem begrenzten Platz. Gerade der Eltern-Kind-Bereich ist sehr gut belegt.“

Auf ein weiteres Projekt weist sie hin. Es ist die „Communauté francophone au sud de l'elbe avec Grün-Weiss Harburg“, die einzige frankophone Gemeinschaft südlich der Elbe. Monatlich treffen sich immer samstags über die französische Sprache verbundene Menschen zum gemütlichen Frühstück und sozialem Austausch mit der ganzen Familie im GWH-Vereinshaus. Die französischsprachige Übungsleiterin Charlotte Lefebvre kümmert sich dabei mit Sprach-, Sport- und Tanzangeboten um die Kinder. „Wir freuen uns, dass immer mehr französischsprachige Menschen den Weg zu uns finden“, sagt Susanne Boy.

Wohin könnte es noch gehen, wie könnte ein „noch mehr“ an Eingliederung aussehen? Sie antwortet: „Wir brauchen mehr Leute im Ehrenamt. Leute wie Rigate, Capital, Ema Mae oder Charlotte. Das ist die Zukunft. Dazu möchte ich, dass wir uns weiter in den Abteilungen öffnen. Im Tennis oder der Leichtathletik haben wir für die Integration noch Luft nach oben.“  

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