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Der Sport als Botschafter für den Frieden

Am 6. April ist der „Internationale Tag des Sports für Entwicklung und Frieden“. Ein wichtiges Thema, das in weltpolitisch unsicheren Zeiten zusätzliche Bedeutung erfährt. Die Erwartungen an den Sport sind mitunter groß: Er steht für Werte wie Respekt, Teamgeist und Fairplay. Doch ist der Sport auch ein Botschafter für den Frieden? Unbedingt, wie der Vereinsvorsitzende Silvio Klawonn beim Besuch der Kampfsportgemeinschaft (KSG) Jodan Kamae in Zeitz erzählt.

DOSB Redaktion
DOSB Redaktion

04.04.2025

Die KSG "Jodan Kamae" Zeitz ist Stützpunktverein im Programm "Integration durch Sport" in Sachsen-Anhalt.

In der Klinkerhalle beginnt gleich das Training. Auf den roten und grünen Matten spielen bereits einige der Kinder. Dann versammeln sich vier Übungsleiter, die Sportler*innen stellen sich am Rand der Matten in einer Reihe auf. Ein paar Kinder kommen zu spät, sie stellen Hausschuhe und Trinkflaschen ab und stürmen dann zu der Reihe. Einem Jungen knotet Silvio den Gürtel über dem Anzug. Einen anderen fragt er, ob er etwas gegessen hat oder ob der Ramadan noch andauert. Dann wird es ganz still. Alle knien sich gemeinsam hin, auf ein Signal hin verbeugen sie sich. Zeigen Respekt voreinander und Ehrfurcht vor der Halle, wie Silvio erklärt. Danach beginnt die Erwärmung mit einigen Runden Floorball. Alle rennen fröhlich und ehrgeizig dem Ball nach.

Sport kann friedliches Zusammenleben stärken
Doch eigentlich ist nicht Floorball die Hauptsportart des Zeitzer Vereins, sondern Ju-Jutsu. Silvio Klawonn ist der Vorsitzende der KSG Jodan Kamae und führt bei dem Besuch durch das Programm „Integration durch Sport“ des Landessportbund Sachsen-Anhalt durch die Halle. Er erzählt von Neuanfängen zu Wendezeiten und Schwierigkeiten beim Hochwasser 2013, von Ju-Jutsu-Wettkämpfen und Workshops an Schulen.
Anlass des Besuches ist der Internationale Tag des Sports für Entwicklung und Frieden, der seit 2013 immer am 6. April begangen wird. Der Gedenktag fällt auf den 6. April, weil an diesem Tag 1896 die ersten Olympischen Sommerspiele der Neuzeit eröffnet wurden. Nicht nur für Leistung und Gesundheit, auch für gesellschaftliche Aspekte ist Sport ein wichtiges Werkzeug: das Potential des Sports, Menschen zusammenzubringen, friedliches Zusammenleben, Fairplay, Teamgeist, Respekt und einen gleichberechtigten Umgang zu stärken, wird an dem Tag gewürdigt. Soziale Integration ist 2025 das Thema: Sport als Mittel um eine inklusivere und gerechte Gesellschaft zu inspirieren, aber auch den Sport zugänglicher für Randgruppen zu machen.

„Wir kämpfen nicht gegen Gegner, sondern mit Partnern!“
Dieser Ansatz ist bei „Integration durch Sport“ sowie der Arbeit seiner Stützpunktvereine sichtbar. Doch wie passt eine Kampfsportart zum Frieden, fragen wir Silvio. Er schmunzelt. „Da passt jede Sportart rein, wenn es um Frieden geht“, sagt er. „Im Sport gibt es eine Auseinandersetzung, es geht grundsätzlich auch ums Gewinnen wollen und ums Verlieren können. Und es geht um den Wettstreit von dem, was wir selber in der Lage sind zu tun. Und das ist ein Kampf, den du immer mit dir selber ausfichtst, nicht mit einem anderen. Der andere ist eine Hilfestellung, die mir zeigt, wo meine Reserven und Defizite liegen, wo ich noch trainieren muss. Das ist nicht mein Gegner, das ist mein Lehrer.“
Schon zuvor betont Silvio, dass Kampfsportler*innen das Gegenüber nicht als Gegner betrachten, während er erklärt, wie sie den Sportler*innen neben Bewegungen auch Werte beibringen: „Wenn ich heute einem meiner Schüler zeige, wie er einen Wurf ausübt, da gibt es die reine Bewegungsfolge, mit eindrehen, abwerfen und so weiter. Aber du kannst den Wurf auf verschiedene Art und Weise ausüben. Die alten Krieger haben in der Wurfphase den anderen losgelassen, damit der sich beim Aufprall das Genick bricht. Heute dagegen gilt: wer geworfen wird muss fallen können, und wer wirft muss fangen können. Du musst den anderen schützen, du bist für ihn verantwortlich, dass er sich nicht verletzt. Und das fordert ein hohes Maß an Respekt, an Kontrolle, die du deinem Partner - wir kämpfen ja nicht mit Gegnern, sondern mit Partnern -entgegenbringen musst.“ Die Sportart bringt also eine Anleitung zu einem Miteinander auf Augenhöhe mit, und lehrt an erster Stelle die Verteidigung, nicht den Angriff.
Zudem betont Silvio wiederholt die Gemeinschaft: „Ich kann nicht für mich alleine trainieren, ich brauch jemanden, der mir hilft, mit mir die Bewegungen übt, beim Werfen auf mich aufpasst oder sich werfen lässt, das geht nur zusammen. Und es geht nur zusammen, wenn wir friedfertig sind.“ Alle mit einzubeziehen, das Bewusstsein, dass die Person selbst und nicht ihre Herkunft wichtig sind, das kann man lernen, sagt Silvio. Und das beobachtet er auch in der Sporthalle: „Hier bei uns auf der Matte trainieren Nationalitäten, die sich in ihrer Heimat die Köpfe einschlagen. Und hier ist das nicht mehr so. Ist das jetzt nur, weil ich sage ihr habt das nicht zu machen, oder warum ist das so? Weil es keinen Grund gibt. Die sitzen hier, Arm in Arm, und wissen, dass das einfach kleine Kinder sind“.

Jodan Kamae – Vereinsname ist Programm
Der Sport ist ein Werkzeug, dem sich viele Seiten bedienen, ein friedliches Miteinander ist dabei kein Selbstläufer. Jodan Kamae nutzt jedoch das verbindende Element. Der Name des Vereins steht für: aufrecht durchs Lebens gehen, gerecht sein, sich für Schutzbedürftige einzusetzen. Diese Haltung wird an vielen Stellen gefordert. Der kleine Junge, dem Silvio den Gürtel zugeknotet hat, kommt aus der Ukraine. Ein Jugendlicher, den Silvio stolz als ihr größtes Talent bezeichnet, kommt aus Afghanistan. Es gibt Kinder, die aus Kriegsgebieten geflüchtet sind und denen man ein Trauma noch anmerkt, erzählt er. Beim Stresstraining, einer Methode, bei der die Kinder im Dunklen zu Blitzlichtern und lauter Musik Aufgaben bekommen, haben manche Kinder die Halle verlassen müssen. Beim oberkörperfreien Training der Jungen wollten manche ihr Shirt nicht ausziehen, weil ihr Rücken von Folter vernarbt ist und sie sich schämen. In solchen Situationen steht die Gruppe zusammen, zeigt, dass sie einander unterstützen und wertschätzen. Silvio weiß, dass der Sport die Probleme nicht auflösen kann und sie keine Trauma-Psychologen sind. Doch er bietet Raum: „Es gibt welche, die wollen darüber reden. Es gibt welche, die möchten, können aber noch nicht. Und es gibt welche, die können nicht und die wollen nicht. Für Jugendliche ist der Sport ein Probierraum. Die müssen probieren, hilft mir das, tut mir das gut? Und wenn ja, dann mach. Und wenn nein, dann quäl dich nicht.“

Harai Goshi ist ein Harai Goshi, überall auf der Welt!
Der Verein mit inzwischen über 400 Mitgliedern ist beliebt in Zeitz, die vielfältigen Angebote sprechen viele an. Die offene, inklusive und integrative Haltung wird aktiv kommuniziert. Als 2015/16 viele Geflüchtete nach Deutschland kamen, kamen sie auch zur KSG. Für Silvio war stets selbstverständlich: „Die wussten, hier ist eine Willkommenskultur, das hat für uns noch nie eine Rolle gespielt woher man kam. Denn diese Kampfsportsprache, die ist international. Ein Harai Goshi ist ein Harai Goshi, das ist in der ganzen Welt so. Also die Verständigung geht ganz schnell. Hier geht es nicht darum wie du sprichst, wie du aussiehst, wen du liebst, da geht es nur um das gemeinsame Sporttreiben.“ Doch mit der Menge an Menschen gab es auch Schwierigkeiten, gelegentlich interkulturelle Spannungsfälle. Der Verein holte sich und gab selbst Unterstützung, schuf Raum für Begegnungen und kommunizierte seine offene Haltung. Doch sowohl innerhalb als auch außerhalb des Vereins gefiel das nicht allen. Der Verein wurde attackiert, einige Mitglieder verließen die KSG. Für Silvio jedoch stand die Integration der Neuen in Zeitz außer Frage. Sein Vorstand steht hinter ihm, der Verein bestätigt in einem neuen Leitbild 2021 diese diverse, offene, integrative Haltung. Diese tragen sie über das Training in der Halle hinaus, mit Angeboten für Familien, Gewaltpräventionsmaßnahmen an Schulen, oder Hausaufgabenbetreuung. Am Ju-Jutsu gefällt Silvio am meisten, dass es so vielseitig ist - das ist auch Jodan Kamae. Sie übernehmen Verantwortung in Zeitz, bekommen Unterstützung auf verschiedenen Ebenen - unter anderem durch „Integration durch Sport“ für ihre integrative Arbeit.

Beim Floorball geht es währenddessen lebhaft zu. Bei einem Jungen löst sich der Verband über eine Schürfwunde am Schienbein. Ein Trainer legt einen neuen Verband an. Als der Junge zurück aufs Feld stürmen will, hält ihn der Trainer zurück. Den alten Verband wegräumen? Hände waschen? Der junge Kämpfer trottet los, erledigt das Gesagte, und kehrt dann auf die Matte zurück. Das Kampfsporttraining steht noch bevor.

 

Text: LSB Sachsen-Anhalt/Nina Kolarzik

Hintergrund:
Das Bundesprogramm „Integration durch Sport“ wird mit Mitteln des Bundesministeriums des Innern und für Heimat und durch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge sowie durch den DOSB gefördert. Der LSB Sachsen-Anhalt erhält zudem eine projektbezogene Förderung durch das Ministerium für Inneres und Sport des Landes Sachsen-Anhalt.

Weitere Informationen zum Verein und Thema:

Sport, Integration und Wertevermittlung - Landessportbund Sachsen-Anhalt e. V.
International Day of Sport for Development and Peace | United Nations

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