Für den Anfang ganz schön weit gekommen
Wie beim ETSV in Billwerder das Gleisdreieck in die Integrationsarbeit mit einbezogen – und dazu nicht nur der Sport genutzt wird.

13.12.2024

Von Frank Heike (Text) und Frank Molter (Fotos)
Zwischen dem Gleisdreieck in Billwerder und der großzügigen Sportanlage des ETSV 1924 Hamburg liegen nur geschätzte 200 Meter. Doch diese überschaubare Entfernung fühlt sich für manche Bewohnerinnen und Bewohner manchmal unüberwindlich an. Denn es liegt etwas Trennendes zwischen dem Versprechen auf Bewegung und den eigenen vier Wänden: Die Haltestelle „Mittlerer Landweg“. Hier stoppt die S-Bahn auf ihrem Weg von und nach Bergedorf (oder weiter, Alumühle).
„Oft stellen wir fest, dass wir und der Sportplatz gar nicht bekannt sind. Wenn wir im Gleisdreieck zu Besuch sind und erzählen, dass wir hier Fußball spielen, hören das viele zum ersten Mal“, sagt Moritz Lenzen. Der 37 Jahre alte Steuerberater, hier in Billwerder geboren und aufgewachsen, beim ETSV sportlich sozialisiert, sitzt ehrenamtlich als Kassenwart im Vorstand der Eisenbahner. Vorurteilsfrei fügt er an: „Dabei sind wir nur 200 Meter entfernt, auf der anderen Seite der Bahn. Manche kennen nur den Weg vom Gleisdreieck zur Bahn. Die 100 Meter weiter zum Sportplatz kennen viele nicht mehr. Dabei ist bei uns jeder herzlich willkommen.“
Der Sportplatz des ETSV Hamburg liegt im schon ländlich wirkenden Hamburger Osten mit großen Flurgrundstücken, alten Bauernkaten und weiten Feldern. Man merkt an der guten Luft, dass die City weit weg ist. Die Eisenbahner sind ein kleiner Verein, bekannt für seine Fußballer in der Oberliga; sie wollen sich nun aber auch wieder verstärkt um andere Abteilungen und Aufgaben kümmern. Moritz Lenzen sagt: „Wir sind durch unsere etwas abgelegene Lage eigentlich ein Dorf. Dadurch haben wir eine besondere Stellung als Dorfverein.“
Zu einer nicht ganz neuen, aber inzwischen längst identifizierten und akzeptierten Herausforderung gehört die Integrationsarbeit. Seit 2017 gibt es das Gleisdreieck. Zunächst war es mit 2500 Bewohner*innen die größte Unterkunft für Geflüchtete in Hamburg. Inzwischen ist das Gelände umgewidmet und soll ein Vorzeigeprojekt sozialen und gemischten Wohnungsbaus werden: Bewohner*innen, die direkt nach dem Bau eingezogen sind, treffen neu Hinzugekommene. Hier sieht der ETSV erhebliches Potential – für beide Seiten.
Seit Anfang des Jahres kümmert sich vereinsseitig Anika Janusch als Integrationsbeauftragte um das Thema; ein Job, der vom Hamburger Sportbund (HSB) gefördert wird. Die 47 Jahre alte Fluggeräte-Bauerin sagt: „Das Gleisdreieck war eine reine Flüchtlingsunterkunft, die jetzt zum sozialen Wohnraum wird. Wir versuchen, mit „Fördern und Wohnen“ zusammenzuarbeiten, indem wir Angebote direkt vor Ort anbieten. Samstags findet im Gleisdreieck zum Beispiel immer Basteln für Kinder statt. Um Zusammenhalt zu erreichen, haben wir außerdem ein kleines Blumenbeet gestaltet. Das pflegen die Kinder selbst. Wir bieten dort auch Boxen an. Und Yoga, um Menschen zu inspirieren und aus dem Gleisdreieck in unser Vereinsleben zu holen.“
Damit skizziert sie einen Schritt, von dem die Eisenbahner in Billwerder überzeugt sind – zur „Kundschaft“ zu gehen, hier: zum Gleisdreieck, das uns bei einem Abstecher wie ein Vorzeigeprojekt vorkommt, denn hier stehen keine Container, sondern schmucke Mehrfamilienhäuser. Dazwischen viel Grün. Und Spielplätze. Aber das ist nur ein Blick von außen. Es gab und gibt Konflikte zwischen alten und neuen Bewohner*innen.
Das ist nicht Moritz Lenzens und Anika Januschs Thema. Die beiden fördern ein geben und nehmen. Wie das funktioniert? Sie antwortet: „Durch die Angebote dort und bei uns. Demnächst bieten wir Hiphop an, oder jetzt schon Yoga, mal vor Ort am Gleisdreieck, mal hier am Sportplatz. Nach dem Motto: ,Kommt hierher, seht euch das an, wir beißen nicht, sondern freuen uns.'“ An diesem Nachmittag haben sich 20 Kinder und Eltern zum Turnen in der Halle auf dem Vereinsgelände getroffen. Auch das Angebot für die Älteren, „Tanzen und Turnen“, wird gut angenommen. Es gibt einen festen Kern.
Sport im Quartier, gleichermaßen Sport auf eigenen Anlagen, das ist ein Gleichklang, den der ETSV anstrebt. Dabei kommt bei den Auswärtsangeboten viel Hilfe von „Fördern und Wohnen“: „Ich habe von ihnen eine feste Wohnung bekommen, in der ich das Basteln anbieten kann“, erläutert Anika Janusch. „Sie helfen auch beim Verteilen von Werbung.“
Beide betonen, dass der im Stadtteil hervorragend vernetzte Verein (nicht zuletzt durch Anika Januschs Arbeit) noch in den Kinderschuhen stecke, was die Integration durch Sport angeht. Aber Ideen sind da viele, etwa bei Sommerfesten direkt im Gleisdreieck für die Vereinsarbeit zu werben oder Flyer mehrsprachig zu erstellen und zu verteilen. Noch etwas anderes treibt Moritz Lenzen um: „In unserer Abteilung Boxen ist der Trainer selbst ein Geflüchteter, der im Gleisdreieck wohnt und viele Menschen dort kennt. Wir suchen dringend solche Trainer*innen beim ETSV, ob beim Boxen, Fußball oder für andere Sportarten. Das ist ein Modell für die Zukunft.“