Integratives Kickboxen beim Polizeisportverein Karlsruhe
Ein Good-Practice Beispiel in Kooperation mit „Jugendliche ohne Grenzen in Deutschland" e.V.

23.07.2025

Immer mehr Sportvereine in Nordbaden zeigen ein hohes Interesse an der Etablierung neuer Sportangebote, um mehr Menschen mit Flucht- oder Migrationserfahrung in die Vereine und in die Gesellschaft zu integrieren. Diese erfreuliche Tendenz zeigt, dass der organisierte Sport sich seiner Wirkmacht als Förderer von Integration, Teilhabe und gesellschaftlichen Zusammenhalts bewusst(er) geworden ist. Jedoch schrecken noch viele Vereinsvertreterinnen und -vertreter vor den Hürden zurück, die eine Etablierung neuer Sportangebote für diese Zielgruppe nach sich ziehen können. Von kulturellen Unterschieden über Sprachbarrieren bis hin zu organisatorischen und finanziellen Herausforderungen – die Integration von geflüchteten Menschen sowie Menschen mit Migrationserfahrung in den Sportverein erfordert kreative Lösungen, Sensibilität und oftmals auch Frustrationstoleranz.
Mohammad Rahimi, Vorsitzender des Vereins „Jugendliche ohne Grenzen in Deutschland“ (JOGD) und Bernd Dahlinger, Trainer für Kickboxen beim Polizeisportverein Karlsruhe (PSV) haben sich dieser Herausforderung angenommen und liefern einen Einblick, welche Chancen und Herausforderungen ihnen bei der Umsetzung eines Kickbox-Angebots für Menschen mit Flucht- und Migrationserfahrung begegnet sind.
Ein Good-Practice Beispiel, das anderen Vereinen eine Richtung zeigen kann und Mut machen soll, Ideen und Vorhaben anzugehen.
Redaktion: Vielen Dank, dass ihr euch die Zeit genommen habt, um über das Kickbox-Projekt beim PSV zu berichten. Mohammad, wie kam es zu der Idee, Kampfsport für Menschen mit Flucht- und Migrationserfahrung anzubieten?
Mohammad: Ich habe jahrelang selbst Thaiboxen trainiert, unter anderem in der Schweiz und in Deutschland. Durch den Sport habe ich mich recht schnell in die Gesellschaft eingefunden, ich habe neue Freunde gefunden, die Sprache gelernt und dadurch auch die Kultur besser verstanden und mich schnell integriert. Ich habe gedacht, wenn ich so gute Erfahrung gemacht habe, vielleicht können viele andere, die in einer ähnlichen Situation sind, wie ich es war, auch einen so hohen Nutzen aus der Gemeinschaft im Sportverein ziehen.
Ich weiß sehr gut, wie es sich anfühlt, wenn man in einer neuen Gesellschaft ankommt, wenn man keine Freunde hat, sich einsam fühlt und nicht weiß, wie die gesellschaftlichen Gepflogenheiten sind; wie die Dinge ablaufen oder welche Möglichkeiten man hat, Teil der neuen Gesellschaft zu werden. Deswegen war ein kostenloses Sportangebot eine Idee, um Menschen mit Flucht- und Migrationserfahrung beim Ankommen zu unterstützen. Beim PSV konnten wir dann ein zehnmaliges Kickbox-Training als Pilotprojekt starten, das einmal wöchentlich stattfand. Mit dem Projekt sollte in erster Linie ein niedrigschwelliger Zugang zum Sport und in das Vereinsleben geschaffen werden.
Redaktion: Wie war es für euch mit der Gruppe zu trainieren? Welche positiven Erfahrungen und Erlebnisse hattet ihr? Welche Herausforderungen sind euch begegnet?
Bernd: Es war super neue, sehr nette Leute kennenzulernen und auch spannend etwas über ihre Lebensgeschichte zu erfahren. Ich freue mich, dass auch nach dem Projekt der Kontakt zu einigen Teilnehmenden bestehen bleiben wird. Es war eine Gruppe mit völlig neuen Leuten, mit und ohne Kampfsporterfahrung. Da war es natürlich herausfordernd, die unterschiedlichen Fähigkeiten und Konditionslevel herauszuarbeiten. Dadurch habe ich persönlich auch festgestellt, dass ich eigene Erwartungen und Denkmuster hinterfragen oder auch anpassen muss. Letztendlich war das Training aber für alle Beteiligten sehr lehrreich und darauf kommt es ja an!
Mohammad: Ich habe das Projekt auch als sehr positiv empfunden. Besonders hat mir die Energie von uns allen gefallen. Alle haben sich Mühe gegeben, was Neues zu lernen. Diejenigen, die noch keine Idee von Martial Arts hatten, haben nun einen Einblick bekommen und diejenigen, die an ihren Fähigkeiten gezweifelt haben, haben herausgefunden, dass sie so viel mehr können! Ich mag unsere Gruppe! Es war großartig, alle waren sehr freundlich und es herrschte immer eine gute Stimmung.
Eine Herausforderung wiederum war die unregelmäßige Teilnahme an dem Kickbox-Angebot, was unterschiedliche Gründe hatte wie Terminkollisionen, Erreichbarkeit der Trainingshalle, krankheits- oder verletzungsbedingt oder auch fehlende Motivation. Vor allem letzteres ist denke ich ein großer Knackpunkt und erfordert viel Kreativität und Sensibilität, um die Sportlerinnen und Sportler besser anzuspornen.
Bernd: Genau! Die unregelmäßige Teilnahme erschwert entsprechend auch die Planbarkeit der Trainingseinheiten. Es war schwer eine Einheit auf die vorherige aufzubauen, da wir nicht wussten, wer bei den nächsten Trainings mit welchen Kenntnissen und Fähigkeiten dabei sein wird.
Redaktion: Bernd, welchen Mehrwert ziehst du als Trainer für den Verein aus dieser Erfahrung heraus?
Bernd: Es gab innerhalb des Vereins viele Rückfragen zu der Gruppe sowie zu den Zielen und Absichten des Angebots. Daraus ergaben sich interessante Gespräche zu dem großen Themenfeld Integration, das ja sehr komplex und vielschichtig ist. Entscheidend ist, dass es kein mustergültiges Rezept für Integration gibt. Wie Mohammad schon gesagt hat, diente das Projekt als niedrigschwelliger Zugang zum Sport in einer vertrauteren, kleineren Gruppe. Es ist also nichts „Exklusives“ für eine bestimmte Personengruppe, sondern eine Art Schutzraum für Menschen, die aufgrund von sprachlichen Barrieren oder kulturellen Hintergründen gewisse Hemmungen haben, Sport in einem Verein nachzugehen. Vielen Menschen aus verschiedenen Herkunftsländern ist die deutsche Vereinslandschaft bzw. das Konstrukt des organisierten Sports auch gar nicht bekannt und wird nicht als etwas gesehen, wodurch Teilhabe, Freundschaft und Mitwirkung ermöglicht werden kann. Mit dem Projekt sollten also nicht nur sportliche Fähigkeiten gestärkt werden, sondern auch Wissen über die Angebote und die Funktionsweise eines Vereins vermittelt werden.
Durch das Projekt fand eine vereinsinterne thematische Vernetzung mit Trainerinnen und Trainern sowie Teilnehmenden von anderen Angeboten statt. Aber auch mit anderen Vereinen oder Gyms stehen wir in Kontakt, um aus unseren Erfahrungen heraus, bestehende Angebote besser bewerben zu können.
Redaktion: Wie wird es nun nach dem Projekt weitergehen?
Mohammad: Das Projekt wird erstmal nicht fortgeführt, da meine zeitlichen Kapazitäten nicht ausreichen. Ich freue mich aber, dass einige Teilnehmenden die Möglichkeit haben im Polizeisportverein weiter zu trainieren. Und selbst diejenigen, die eine andere Sportart in einem anderen Verein ausprobieren möchten, haben nun einen Einblick bekommen, was Vereine sind und haben die Möglichkeit, sich in anderen Vereinen besser zurechtzufinden.
Bernd: Richtig! Einige Teilnehmende werden Mitglieder beim Polizeisportverein, mit wieder anderen besuchen wir gemeinsam andere Vereine und Kurse, um ein passendes Sportangebot zu finden. Den Kontakt mit den Teilnehmenden des Projekts werden wir in jedem Fall aufrechterhalten und sie regelmäßig zu Trainingseinheiten einladen.
Redaktion: Noch eine abschließende Frage: Was kann der organisierte Sport eurer Meinung nach tun, um Integration noch mehr voranzutreiben?
Mohammad: Wenn mehr Projekte wie dieses angeboten werden würden, wäre das sicherlich hilfreich für viele Menschen mit Flucht- oder Migrationserfahrung, um in der neuen Umgebung besser ankommen zu können. Idealerweise ist dies dann auch ein Angebot, das zwei oder drei Mal die Woche stattfindet. Wenn man dort dann auch Sportausrüstung gestellt bekommt, steigert das definitiv die Motivation. Das erfordert aber sowohl personelle als auch finanzielle Ressourcen, die nicht jeder Verein einfach mal so übrig hat. Es gibt aber Unterstützungsmöglichkeiten wie beispielsweise „Integration durch Sport“, wodurch solche Ideen und Vorhaben umsetzbar gemacht werden können.
Bernd: Ich denke aber auch, dass es bereits schon viele und sehr gute Sportangebote gibt, die auch Personen mit Migrations- und Fluchterfahrung ansprechen - nur erfahren sie nichts davon. Es müssten Wege gefunden werden, um interessierte Menschen auf die bestehenden Sportmöglichkeiten in Vereinen hinzuweisen.
Redaktion: Sehr gute und spannende Anregungen! Vielen Dank für eure Einblicke und eure Zeit!