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Mit dem Linienbus ins Glück

Wie Samer Ismailat den Verein „St. Pauli Bats“ zu einem Integrationsklub umgebaut hat – und welche Rolle dabei ein ausgedientes Gefährt auf vier Rädern spielt.

DOSB Redaktion
DOSB Redaktion

12.12.2024

Von Frank Heike (Text) und Frank Molter (Fotos)


„Fußball für alle! Wer will mit? Essen umsonst und ein Ball zu gewinnen!“ Samers Stimme hallt über den Innenhof des Containerdorfs in Hammerbrook. Wer könnte zu diesem Angebot schon nein sagen? 

Es sind die letzten Tage der Hamburger Sommerferien. Samer Ismailat hat sich wieder auf den Weg gemacht, um an zwei Stellen junge Migranten aufzusammeln und mit ihnen Sport zu treiben – wobei das längst nicht alles ist.

Nach der Bewegung in der Hitze des Sommertages (Fußball, Basketball, Badminton) essen abends zehn zufriedene Kinder Linsen, Pommes, Chicken Nuggets, wie auf den Fotos zu sehen ist, die er uns schickt. Dass es dieses Festmahl in einem Terrassen-Restaurant nahe den Landungsbrücken gibt – es gehört einem Freund Samers – rundet den gelungenen Tag ab, der zunächst mit einer kleinen Enttäuschung beginnt: Denn als Samer sich zur Mittagszeit in St. Pauli ans Steuer des Busses setzt, erwartet er volle Bänke, Stimmengewirr, Vorfreude. Letzteres wird er auch spüren, aber der Bus füllt sich am ersten Stopp in der Nordkanalstraße nur vorsichtig.

Als wir in der Unterkunft Rothenburgsort ankommen, warten da zum Glück schon einige Kinder, andere trommelt Samer durch seine Rufe in verschiedenen Sprachen zusammen. So entstehen zwei Mannschaften gemischter Herkunft – Hammerbrook gegen Rothenburgsort – und es kann losgehen, mit Samer als Schiedsrichter. Als umsichtigen Helfer hat er den 17-Jährigen Reza aus Afghanistan an seiner Seite, der in St. Georg das Gymnasium besucht. Elfte Klasse.

Man kann die Geschichte Samer Ismailats und des Vereins „St. Pauli Bats“ nicht erzählen, ohne auf das ungewöhnliche Gefährt zu kommen, das er fährt: Es ist ein älterer Linienbus, mit den Logos der „Bats“ bemalt („Bleib dran!“) und innen mit Sportartikeln und Büchern vollgepackt. Hinter dem Erwerb des Busses aus Spenden und einer ziemlich teuren, einjährigen Busfahrer-Ausbildung, die Samer gemacht hat, stand eine simple Erkenntnis: „Für viele Geflüchtete ist der Weg von der Unterkunft zum Sportplatz zu lang und kompliziert. Deswegen fahren wir hin und holen sie ab. Wir hatten uns zunächst in Unterkünften aufgeteilt und Betreuer hin- und hergeschickt. Das wurde zu mühsam. Das Zurückbringen war stressig. Mit dem Bus ist alles leichter geworden und wir erreichen noch mehr Kinder in Hamburgs Randgebieten.“

Daraus ist etwas gewachsen, dass man getrost als Erfolgsgeschichte bezeichnen kann, denn dank eingeworbener Mittel fahren Samer und seine Mitstreiter*innen nicht nur junge Geflüchtete zum Fußballplatz, sondern auch ins Freibad, in nahegelegen Freizeitparks oder zu den Towers. Ohne, dass es sie oder ihre Familien etwas kostet. 

Bedanken würde sich nur selten jemand, sagt Samer, aber „man sieht es einem Kind an, wie es sich auf ein Stück Pizza oder auf einen Döner freut. Und an den heißen Sommertagen, als ich hier reinlief und 10-15 mittellose Kinder ins Schwimmbad fuhr: Diese Augen sagen mehr als ein Danke.“ 

Bewegung ist ein Aspekt unter vielen: Respektvoll miteinander umgehen, Vorurteile abbauen, gemeinsam Erfolge feiern und so immer mehr auf die persönliche Habenseite bringen. Samer sagt: „Wir beschäftigen sie nicht nur. Wir zeigen ihnen Wege auf, ihre Biografie zu schreiben, wir lassen sie Bücher lesen und nacherzählen. Sie können malen oder zeichnen. Wir haben für jedes Kind das Passende.“ Dazu gehört auch, sie für die Sportvereine in ihren Wohngebieten zu begeistern. 

Samer ist 1990 aus dem Libanon nach Deutschland geflohen, hat sich im Nordwesten einen Namen als Basketball-Spielmacher verdient. Bis in die zweite Liga schaffte er es; stolz durfte er sich „Profi“ nennen. Als Streetworker in Hamburg ging es weiter. 

Mit der Gründung der Bats 2016, zunächst als Basketballverein, dann als Klub, dem die Integration durch Sport am Herzen liegt, hat er eine neue Leidenschaft und Herausforderung gefunden. Doch weil das Vereinsprojekt noch zu wenig Geld für eine hauptamtliche Tätigkeit abwirft, arbeitet er aktuell auf vier Jobs. Nur so kann er gemeinsam mit seiner Freundin, die Lehrerin ist, genug erwirtschaften, um der gemeinsamen Tochter eine schöne Kindheit zu ermöglichen, wie er beschreibt. Das kann schon mal anstrengend sein.

Der 41-Jährige ist jedoch niemand, der sich in düsteren Prognosen ergeht – Samer denkt groß. Klug und clever sind die Bats beim Einwerben von Spenden und Fördergeldern; so gehören sie seit diesem Jahr auch zum Kreis der Stützpunktvereine des Hamburger Sportbunds (HSB) im Bundesprogramm „Integration durch Sport“. Daraus soll mehr werden: Samer Ismailat schwebt vor, aus der Idee mit dem auffälligen Linienbus ein deutschlandweites Franchise zu machen: Frankfurt, Berlin, Köln.

Das ist Zukunftsmusik. Ein Jahr läuft das Bus-Projekt der St. Pauli Bats nun. „Alle arbeiten ehrenamtlich“, sagt Samer und fügt an: „Wir suchen fünf bis sechs Sponsoren, die uns mit fünfstelligen Summen jährlich unterstützen. Dann können wir Festangestellte beschäftigen und Unterkünfte anfahren, wo die Kinder viel weniger rauskommen.“

Im Hintergrund schießt ein Junge vom Team Hammerbrook barfuß so hart aufs Tor, dass das Gitter wackelt. Der Ball ist ziemlich flau. Samer Ismailat nimmt eine Luftpumpe und pumpt den Ball ohne Worte auf.

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