Sprache ist nie neutral
Ob auf dem Spielfeld, in der Umkleide oder beim Vereinsfest – Sprache ist allgegenwärtig. Sie kann motivieren, verbinden, aber auch verletzen und ausschließen. Um unseren Vereinen bei diesem komplexen Thema eine fachliche Hilfestellung zu geben - wie wir im Sportalltag unbeabsichtigt ausschließen und was wir dagegen tun können - haben wir mit Sprachwissenschaftlerin Dr. Sina Lautenschläger von der Arbeitsstelle für linguistische Gesellschaftsforschung (AlGf) der Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg gesprochen.

14.05.2025

Frau Dr. Lautenschläger, warum ist das Thema „Sprache und Diskriminierung“ gerade im Kontext von Sportvereinen so wichtig?
Sprache ist überall – fast alles, was wir tun, hat mit Sprache zu tun. Und meistens funktioniert der Austausch ganz reibungslos. Das liegt daran, dass wir auf bestimmte kommunikative Routinen zurückgreifen können. Wenn wir zum Beispiel unsere Hausärztin aufsuchen, wissen wir in der Regel ziemlich genau, was passieren wird, wer was fragt, wie wir antworten – das entlastet unser Gehirn enorm. Aber genau in dieser Routine liegt auch eine Gefahr: Wir denken nicht mehr aktiv über das nach, was wir sagen. Wir übernehmen Redewendungen, weil sie „immer schon so gesagt wurden“, ohne zu hinterfragen, welche Wirkung sie haben können.
Ein Beispiel: In gemischtgeschlechtlichen Sportgruppen ist oft ein Geschlecht in der Überzahl – häufig sind das Jungen oder Männer. Wenn Trainerinnen oder Trainer dann etwa sagen „Gut gemacht, Jungs!“, ist das zwar gut gemeint, macht aber die Mädchen in der Gruppe sprachlich unsichtbar. Es ist ein vergleichsweise harmloses Beispiel, aber es zeigt sehr deutlich, wo es Änderungsbedarf gibt. Gerade in emotional aufgeladenen Spielsituationen oder unter Zeitdruck greifen wir schnell auf solche Routinen zurück, ohne darüber nachzudenken. Gleichzeitig gibt es im Sport klare Machtverhältnisse – Übungsleitende haben Weisungsbefugnis – und es geht um Körper und körperliche Leistung. Und an Körpern lesen wir oft Merkmale ab, die wir unbewusst mit bestimmten Gruppen verknüpfen. Wenn wir gegenüber dieser Gruppe Vorurteile haben, übertragen wir sie auf das Individuum – das ist Diskriminierung.
Was verstehen Sie unter sprachlicher Diskriminierung – und wie zeigt sie sich konkret im Vereinsalltag?
Sprachliche Diskriminierung ist sprachliche Gewalt. Gemeint ist damit jedes sprachliche Handeln, das eine Person herabwürdigt und ihren Handlungsspielraum einschränkt. Die deutlichste Form sind Beleidigungen, die dann zu Diskriminierung werden, wenn sie sich auf gruppenbildende Merkmale wie zum Beispiel Geschlecht, Hautfarbe, Religion, Alter oder sexuelle Orientierung beziehen. Das Spektrum ist sehr breit: Es gibt kaum eine menschliche Eigenschaft, die nicht potenziell diskriminierend verwendet werden kann. Aber auch weniger offensichtliche Formen wie das bewusste Ignorieren oder Übergehen von Personen – etwa, wenn eine Spielerin beim Aufwärmen regelmäßig nicht angesprochen wird oder ihre Vorschläge vom Trainer übergangen werden – können ebenso verletzend sein. Diese Art von sprachlichem Ausschluss ist oft subtil, aber nicht weniger wirksam. Zwischen diesen beiden Polen – von offener Beleidigung bis zu Schweigen – gibt es viele Abstufungen, die wir im Workshop beleuchten.
Welche Rolle spielt Sexismus dabei – und wie äußert er sich sprachlich?
Sexismus liegt immer dann vor, wenn Menschen aufgrund ihres Geschlechts benachteiligt oder anders behandelt werden. Sprachlich äußert sich das auf sehr vielfältige Weise: durch sexistische Beleidigungen, stereotype Zuschreibungen oder durch die sprachliche Unsichtbarmachung eines Geschlechts. Ein aktuelles Beispiel ist der Fall der Schiedsrichterin Fabienne Michel, die bei einem Fußballspiel sexistischen Fangesängen ausgesetzt war – eine besonders deutliche Form sprachlicher Gewalt. Aber auch scheinbar harmlose Aussagen wie „Mädchen werfen halt nicht so weit“ oder das eingangs erwähnte „Gut gemacht, Jungs!“ in gemischten Teams tragen dazu bei, dass Frauen und Mädchen sprachlich an den Rand gedrängt werden. Solche Aussagen spiegeln gesellschaftliche Rollenzuschreibungen wider und können das Selbstbild und das Zugehörigkeitsempfinden der Betroffenen nachhaltig beeinflussen.
Viele Menschen sagen: „Das war doch gar nicht böse gemeint.“ Warum kann Sprache trotzdem verletzen?
Weil das, was wir meinen, nicht immer das ist, was beim Gegenüber ankommt. Beim sprachlichen Miteinander können das „So-Meinen“ und das „So-Wirken“ auseinanderklaffen. Und das hängt wiederum davon ab, wer etwas wann, wie und zu wem sagt. Dazu kommen gesellschaftliche Muster, die wir oft unbewusst übernehmen. Wenn jemand einer Kugelstoßerin nach dem Wettkampf sagt, sie habe „beim Kugelstoßen gut ausgesehen“, ist das vermutlich nett gemeint. Aber das Kompliment kann die Wirkung verfehlen – weil es den Fokus nicht auf ihre Leistung legt, sondern auf ihre äußere Erscheinung. Frauen werden gesellschaftlich häufiger nach ihrem Aussehen bewertet – auch im Sport. Dadurch wird die sportliche Leistung unsichtbar gemacht oder abgewertet.
Was können Sportvereine tun, um sprachlich sensibler zu werden?
Der erste Schritt ist, sich bewusst zu machen, dass Sprache immer Wirkung hat – und nicht neutral ist. Wenn wir lernen, unsere Sprache zu reflektieren und versuchen, andere Perspektiven nachzuvollziehen, können wir viel bewirken. Vereine, in denen sich alle willkommen fühlen – unabhängig von Geschlecht, Herkunft, körperlichen Fähigkeiten oder sexueller Orientierung – sind lebendiger, vielfältiger und erfolgreicher. Sprache spielt dabei eine zentrale Rolle.