Von Vielfalt und ungewöhnlichen Sportarten
Jährlich wird am 27. Mai von der Charta der Vielfalt zum Deutschen Diversity Day aufgerufen. An diesem Tag soll das Engagement für Vielfalt sichtbarer gemacht werden. Auch im Sport gilt: Vielfalt hat eine Vielzahl an Dimensionen, die eine Rolle spielen. Mitarbeiter*innen des Vereins congrav new sports e.V. aus Halle, Träger des Großen Sterns des Sports in Gold 2021, erklären, wie sie diese Vielfalt in ihrem Vereinsalltag mitdenken.

27.05.2025

Immer häufiger hört und liest man von Diversität und Vielfalt, ob im Arbeitsleben, der Kulturszene oder der Politik. Einerseits wird Vielfalt gefeiert, für mehr Diversität geworben. Andererseits gibt es gesellschaftliche und politische Gruppen, die Überforderung zeigen, sich zunehmender Vielfalt erwehren oder diese unter Druck setzen. Auch der Sport in Sachsen-Anhalt bewegt sich in diesem Spannungsfeld. Was bedeutet es in der Praxis, Diversität zu fördern? Und wer meint was, wenn von „Diversität“ die Rede ist?
Robert Saß vom Halleschen Verein congrav new sports e.V. verbindet Positives mit dem Begriff: „Ich würde Diversität oder Vielfalt als Chance verstehen, als Potential, und weniger als Hürde. Wenn man es dann geschafft hat, möglichst viele Menschen oder Personengruppen abzuholen, dann hat man dafür einen Mehrwert in der Gesellschaft“, erklärt Robert. Er und seine Kollegin Lina tauschen sich anlässlich des Deutschen Diversity Tages mit dem Landessportbund Sachsen-Anhalt (LSB) zum Thema Vielfalt aus. Congrav bietet mit seinen Projekten „Trendsportring“ oder „Halle rollt!“ nicht nur eine vielfältige und ungewöhnliche Auswahl an Sportarten an, sondern denkt als Verein mehrere Vielfaltsdimensionen mit, um für alle Menschen offen und zugänglich zu sein. Robert organisiert Angebote, an denen man ohne eigenes Material teilnehmen kann. Lina koordiniert Sportangebote für queere junge Menschen. Vereins- und Vorstandsmitglied Pauline leitet eine Wheelchair-Motocross Gruppe. Solches Engagement soll an dem bundesweiten Aktionstag sichtbarer werden.
Der Aktionstag verdeutlicht auch die Bandbreite dessen, was Vielfalt meint. Viele denken bei „Diversität“ an ethnisch-kulturelle Vielfalt und Menschen aus verschiedenen Ländern. Andere denken an unterschiedliche Religionen oder verbinden es mit geschlechtlicher Vielfalt. Diversität meint all diese Dimensionen und noch mehr: auch Alter, körperliche und geistige Fähigkeiten, soziale Herkunft oder sexuelle Orientierung gehören dazu. All diese Aspekte überlappen einander und wirken zusammen. Diversität zu fördern bedeutet, Voraussetzungen zu schaffen, dass Menschen unabhängig von ihren Merkmalen und Voraussetzungen gleichberechtigt an allen Teilen der Gesellschaft teilhaben können - auch im Sport.
„Vielfalt im Sport? Da gibt es Luft nach oben“
Bei congrav, einem Stützpunktverein im Programm „Integration durch Sport“, sehen sie den Mehrwert von Vielfalt im Sport und schaffen niedrigschwellige Sportangebote. Damit binden sie diejenigen ein, die häufig außen vor bleiben. Robert berichtet: „Angefangen hat der Verein vor über 20 Jahren mit Rollsport-Workshops, wo der erste Move von Zugänglichkeit gewesen ist, dass man Workshop Material bereitstellt. Dass man skaten kann als junger Mensch, ohne dass ich mir ein Skateboard leisten kann. Da hat man angefangen, und es gibt immer wieder einen neuen Aspekt, den man bedenken kann.“ Viele Gruppen haben Hürden, die der Teilnahme am regulären Sport im Weg stehen. Für die einen sind es die Kosten für Vereinsmitgliedschaft oder Sportgeräte. Für andere sind es Spielberechtigungen, vorgeschriebene Sportklamotten, Diskriminierungserfahrungen. Lina erzählt von Umkleiden für Frauen und Männer, Wettkampfklassen für Frauen und Männer. Menschen, die sich in solchen binären Strukturen nicht wohl fühlen oder wiederfinden, die versucht congrav mit seinen Sportangeboten anzusprechen. Die Zugänge zu schaffen, das ist eine Aufgabe von Vereinen, sagt Lina, „weil die meist mehr Möglichkeiten haben als die Einzelpersonen, die den Sport machen wollen.“ Braucht es das heutzutage noch? Robert von congrav gibt sich nicht mit dem Status quo zufrieden, „weil es nach wie vor Menschen gibt, die diese Zugänge nicht haben, oder die sich nicht sicher fühlen oder denen dieser Zugang nicht gewährt wird. Und deswegen würde ich sagen, es ist immer noch Luft nach oben und man kann immer noch Menschen abholen.“
Jugger, Bikepolo, Kendama...
Congrav versucht alle Dimensionen von Diversität mitzudenken und einladende Angebote zu schaffen: kostenlos, barrierearm, in Leichter Sprache, genderinklusiv. Im Verein lernen sie dabei stets dazu und entwickeln sich noch weiter, um Hürden abzubauen und verschiedene Zielgruppen anzusprechen. Dabei spielen die Sportarten und Bewegungsformen, die sie anbieten, eine zentrale Rolle: Angebote wie Parkour oder Slacklining finden in öffentlichen Räumen statt. Für Tischfußball muss man nicht besonders stark oder ausdauernd sein. Beim Jugger und Bikepolo sind die Teams geschlechter-gemischt. Sportarten wie Kendama oder Quadball werden häufig übersehen, doch können Menschen ansprechen, die sich mit den klassischen Sportarten nicht identifizieren. „Das ist auch eine Möglichkeit, dass wir Sportarten sichtbar machen, um Interessen zu wecken, von denen nie jemand was wusste“, erklärt Robert. Diese Trendsportarten brechen oft mit herkömmlichen Sportstrukturen und sprechen dadurch neue Zielgruppen an. „Da ist auch der Gegenentwurf zu konventionellen Sportstrukturen, dass man nicht wöchentlich zum fixen Training muss, sondern sich frei entscheiden kann, jetzt gehe ich hin oder jetzt nicht. Das muss nicht für jeden was sein, aber es ist ein Gegenentwurf, der seine Daseinsberechtigung hat“, meint Robert.
Vielfalt als Herausforderung und Lernprozess
All diese Aspekte mitdenken, auf die verschiedenen Menschen und ihre Bedarfe Rücksicht nehmen, die unterschiedlichen Perspektiven miteinbeziehen – diese Aufgabe fordert viel Energie und birgt das Risiko der Überforderung. Auch bei congrav gibt es herausfordernde Momente und Kritik für bestehende Angebote. „Das gehört zu dem Lernprozess dazu, zu dem man bereit sein sollte, aber der sich am Ende lohnt, wenn man Angebote schafft, die den Leuten Freude bereiten“, so Robert.
Lina stimmt ihm zu: „Ich würde Diversität schon als Herausforderung anerkennen, aber genauso wie alles andere. Es ist einfach Teil der Arbeit und muss gemacht werden. Das stelle ich gar nicht in Frage.“ Es motiviert, dass man nicht alleine in den Bemühungen ist, sagt Lina zudem: „Ich glaube, es ist wichtig, nicht immer nur zu schauen, wo fehlt noch was, sondern auch zu feiern was da ist. Es gibt andere Organisationen, Vereine, die genau das machen, was wir auch machen. Und dann fühlt es sich so an, als ziehen wir nicht alleine an dem Strang, sondern es sind viele da, die mitziehen.“
Weiterführende Informationen zum Thema Vielfalt:
DOSB Vielfalts-Monat Mai
Charta der Vielfalt
Vielfalt im LSB Sachsen-Anhalt:
Auch der LSB setzt sich für mehr Vielfalt und gleichberechtigte Teilhabe im Sport ein. Zu diesem Zweck arbeiten eine Reihe von Programmen und Projekten daran, Vereine zu unterstützen, Bildungsmaßnahmen durchzuführen und Antidiskriminierungsarbeit zu fördern:
- Event-Inklusionsmanager*innen im Sport
- Integration durch Sport
- Sport bewegt Demokratie
- Mentoring im Sport: Gezielte Förderung für Vielfalt
- Gemeinsam STARK (bis Ende 2024)
Text: LSB Sachsen-Anhalt/Nina Kolarzik
Hintergrund:
Das Bundesprogramm „Integration durch Sport“ wird mit Mitteln des Bundesministeriums des Innern und für Heimat und durch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge sowie durch den DOSB gefördert. Der LSB Sachsen-Anhalt erhält zudem eine projektbezogene Förderung durch das Ministerium für Inneres und Sport des Landes Sachsen-Anhalt.