weiß-Sein als Privileg im Sport

Sport verbindet Menschen. Diesen Anspruch und diese Haltung transportiert der LSB Niedersachsen in unterschiedlichen Programmen, Projekten und Papieren. Sport kann jedoch ebenso trennen und ausgrenzen. Da rassistische und menschenfeindliche Ideologien auch in die Sportwelt hineinwirken, braucht es Räume für Austausch und Reflexion. In diesem Sinne setzten sich Anfang September Vereinsengagierte im Workshop „Critical Whiteness“ mit Rassismus, Kolonialismus und Privilegien weißer Menschen auseinander. Im Interview gibt die Referentin Tinka Greve Einblicke in ein herausforderndes, emotionales und hochaktuelles Arbeitsfeld.

Bildungsreferentin Tinka Greve
Bildungsreferentin Tinka Greve

LSB: Welchen Bezug haben Sie zum Thema Critical Whiteness / kritisches weiß-Sein und inwieweit wirkt sich das auf Ihre Arbeit aus?

Ich positioniere mich selbst als weiße Frau. Und immer, wenn ich über Rassismus lerne oder spreche, habe ich im Hinterkopf, dass ich als weiße Person eine gänzlich andere Perspektive habe als z.B. BIPoC (Black, Indigenous and People of Color). Ich habe also im System Rassismus keine „neutrale“ Position, sondern eine weiße und damit eine privilegierte. Außerdem ist es mir wichtig, mich zu fragen, inwieweit ich selbst rassistisch handle oder gehandelt habe. In meiner Arbeit versuche ich Menschen aus der Dominanzgesellschaft für ihre weißen Privilegien zu sensibilisieren. Diese Privilegien zeigen sich beispielsweise auf dem Arbeitsmarkt, bei der Jobsuche oder auch im Sportverband. Es sind unverdiente Vorteile. In meinen Workshops versuche ich weißen Menschen aufzuzeigen, dass sich ihre Lebenswirklichkeit zum Teil sehr von der Lebenswirklichkeit von Menschen unterscheidet, die von Rassismus betroffen sind. Und Workshops, in denen nur weiße Personen lernen, können dabei helfen, weißen Emotionen wie Schuld oder Scham zum Thema Rassismus Raum zu geben.

LSB: Weshalb ist die Auseinandersetzung mit dem Thema auch für den organisierten Sport wichtig?

Ganz einfach: weil Rassismus unsere gesamte Gesellschaft durchdringt. Demnach sind Sportverbände, Sportvereine und die Personen, die in diesen Organisationen wirken, Teil des Systems. Leitungspositionen sind aktuell in den wenigsten Fällen von nicht-weißen Personen besetzt. Jedoch ist es wichtig, dass der organisierte Sport die Diversität der Gesellschaft, in der wir leben, abbildet – auf allen Ebenen. Es braucht auch Schwarze Trainerinnen und Trainer und Vereine, die sich klar gegen Rassismus positionieren. Das ist Teil einer diskriminierungskritischen Auseinandersetzung. Nur dann können sich von Rassismus betroffene Menschen in den Sporträumen sicher fühlen und müssen nicht mit der ständigen Angst zum Training gehen, dort wieder „Othering“-Erfahrungen ausgesetzt zu sein. Damit meine ich die Erfahrung, als „anders“ stigmatisiert zu werden – entweder als Vertreterin einer bestimmten Gruppe oder als Ausnahme von der vermeintlichen Regel. Dies kann extrem kräftezehrend und zermürbend sein, wie auch die Olympische Ruderin Carlotta Nwajide betont hat.

LSB: Welche Alleinstellungsmerkmale hat der Sport hierbei ihrer Meinung nach?

Im Sport könnte es leichter sein, rassismuskritisches Handeln zu etablieren als in anderen Gesellschaftsbereichen, da Aspekte wie Teamgeist, sportliche Leistung oder Wettbewerb im Vordergrund stehen. Ich kann mir vorstellen, dass im Hochleistungssport individuelle Persönlichkeitsmerkmale wie Herkunft, Sprache, sexuelle Orientierung usw. in den Hintergrund treten. Gleichzeitig erleben migrantische Fußballer immer noch den schmalen Grat zwischen Anerkennung und Ablehnung: Sie gehören dazu, wenn sie gute Leistungen erbringen. Aber sobald sie einen Fehler machen, werden sie wieder auf ihre Herkunft reduziert. Ihr Deutsch-Sein wird ihnen plötzlich abgesprochen. Ich finde es traurig, dass wir im Jahr 2023 immer noch an diesem Punkt sind. Denn eigentlich hat der Sport besondere Voraussetzungen, um Menschen miteinander in Kontakt zu bringen, die sich sonst wahrscheinlich nie begegnet wären. Da gibt es andere gesellschaftliche Räume, die noch viel stärker segregieren.

LSB: Welche gesellschaftliche Verantwortung leiten Sie daraus für den organisierten Sport ab?

In meinen Augen sollte es die Aufgabe von Sportvereinen und -verbänden sein, ihr Angebot für alle Menschen zu öffnen, unabhängig von Hautfarbe, Herkunft, Kultur, sexueller Orientierung, Geschlecht etc. Um dies zu erreichen, müssen Angebote entsprechend diversitätssensibel und diskriminierungskritisch gestaltet und damit an die Ansprüche einer immer diverser werdenden Gesellschaft angepasst werden. Nur dann können Personen, die marginalisierten Gruppen angehören, sich in diesen Räumen sicher fühlen und dort mit dem Wissen hingehen, dass sie willkommen und gewollt sind. Ein fundamentaler Schritt auf diesem Weg ist die Bereitschaft von Vereinen und Verbänden, sich mit dem Thema tiefgründig zu befassen und die Auseinandersetzung damit als einen Prozess anzuerkennen, der Zeit, Raum und Ressourcen braucht. Denn der Abbau von Diskriminierung ist nichts, was wir als Gesellschaft auf morgen verschieben sollten. Fortbildungen sind beispielsweise ein guter Baustein dafür.

 

Zur Person
Tinka Greve ist Bildungsreferentin im Projekt „vielgestaltig* 2.0 – Fachstelle für diskriminierungskritische Bildungsarbeit“. Ihr Arbeitsschwerpunkt liegt auf den Themen Anti-Diskriminierung, Rassismuskritik und kritischem weiß-Sein. Getragen wird das Projekt vom Verein Niedersächsischer Bildungsinitiativen e.V. (VNB). Darüber hinaus arbeitet sie seit 2019 in unterschiedlichen Projekten zu den Themen Rassismus, Sexismus, Diversität und Gender.

Was bedeutet Critical Whiteness?
„Critical Whiteness oder kritisches Weißsein beschreibt den Ansatz, sich seiner eigenen Privilegien auf Grund einer vorherrschenden Hautfarbe und Ethnie bewusst zu werden und die Auswirkungen dieser Privilegien zu verstehen“ (https://www.vielfalt-mediathek.de/critical-whiteness).


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