Von Frank Heike (Text) und Frank Molter (Fotos)
Diese Boombox kann was. „Freed from Desire“, „Galas“ wiederbelebter Hit von 1996, kommt so laut heraus, dass man sich Rugby an diesem sonnigen Abend im Stadtpark dem Gehör nach nähern kann. Trainer Louka Montagnon, 28 Jahre alt, sagt lachend: „Musik beim Training, das gibt es nur bei den Frauen!“ Montagnon kommt aus Frankreich. Im Süden der Republik ist Rugby Volkssport – viel bekannter und beliebter als in Deutschland. Bilder von der Weltmeisterschaft im 15er Rugby gingen vor einem Jahr um die Welt.
Wir sind bei der olympischen 7er-Variante, also sieben gegen sieben Spielerinnen, wobei heute keine zwei Teams zusammenkämen: „Eigentlich haben wir wesentlich mehr Geflüchtete im offenen Angebot dabei, aber leider konnten wir einige Frauen aus der Ukraine nicht halten, weil sie wieder zurück in ihre Heimat gegangen sind“, erklärt Godwina Kimonima, „wir haben aber auch ohne sie viele Nationalitäten. Vergangenes Jahr war das Training nur auf Englisch.“ Gerade spricht man Deutsch - „eine Seltenheit“, sagt Godwina aus dem Vorstand des Hamburger Rugby-Clubs (HRC).
Spielerinnen mit Wurzeln in Kongo, Spanien, Ghana, Kanada, England, Irland, Schottland, Frankreich: Alles gab es schon oder gibt es beim HRC. Jeden ersten Mittwoch im Monat findet ein freies Training auf dem Gelände im Stadtpark statt. Nach drei Probe-Einheiten bittet der HRC, sich für eine Mitgliedschaft zu entscheiden.
Manches in der Integrationsarbeit sei dabei noch zufällig, sagt Godwina, die von der Integrationsbeauftragten Theresa Rautmann unterstützt wird: „Wir sind frisch als Stützpunktverein dabei. Das muss sich etablieren. Viele wissen gar nicht, dass der Hamburger Sportbund bei uns eine solch aktive Rolle spielt. Ich sehe große Möglichkeiten, mehr zu machen – aber dafür müssen wir Strukturen einziehen, damit die Integration eine tragende Säule wird.“
An anderer Stelle ist der HRC schon weiter. Denn die Rugby-Initialzündung kommt häufig – Achtung! - über die Dating-App Tinder. Wie bitte? Godwina lacht und erklärt: „Auch ich habe über Tinder das Rugbyspielen angefangen. Als ich 2020 aus der Nähe Bremens nach Hamburg gezogen bin, habe ich mir gedacht, Tinder ist der einfachste Weg, neue Leute zu finden. Der HRC-Frauen-Account dort ist als ,Mann' untergliedert. Wer nach rechts swipt, weil sie ein ,Match' hat, kann einen Chat aktivieren. Dadurch wurde ich direkt angeschrieben und gefragt, ob ich vorbeikommen will. Wir haben auf diese Art viele Frauen bekommen. Inzwischen nutzen einige Randsportarten Dating-Apps, weil sie wissen, es findet Anklang.“ Auf Instagram wirbt der HRC ebenfalls für seine Angebote und bekam so innerhalb eines Monats 150 neue followerinnen.
Godwina arbeitet als Krankenpflegerin in der Jugend-Psychiatrie am UKE. Sie bezeichnet ihren Lieblingssport als „guten Ausgleich, um abends den Kopf freizubekommen.“ Sie wirbt überzeugt für Rugby – weil sie bei sich selbst als Spielerin im HRC-Regionalliga-Team Fortschritte sieht: „Jede, die stark ist, gut sprinten und gut fangen kann, eignet sich für Rugby. Ich bin nicht schlank und habe trotzdem meine Rolle gefunden. Ich erkenne Spielsituationen schnell, reagiere gut, komme gut durch. Leider ist unbekannt, dass Rugby für Leute funktioniert, die keine klassische Sportlerstatue, aber Lust haben, etwas im Team zu machen.“
Ins Schwärmen gerät die 24-Jährige, wenn es um die „warmen“ Aspekte geht: „Wir sind eine Rugby-Familie. Ich freue mich auf jedes Training, jedes Spiel, weil es so herzlich ist. Das Agieren auf dem Spielfeld ist fair. Hinterher trinkt man ein Bier mit den Rivalinnen – das macht den Sport so schön. Rugby hat mich gefressen.“
Kopfzerbrechen bereitet Godwina Kimonima und Theresa Rautmann hingegen die Abbruchquote. Junge Frauen kommen für das Studium oder die Ausbildung nach Hamburg und probieren Rugby aus, ziehen dann wieder weg. Zudem bleibt eine Hemmschwelle: „Rugby gilt als tougher Sport, an den man sich nicht herantraut“, erläutert Godwina.
Um solche Klischees zu brechen, fahren schon jetzt Spielerinnen und Trainer an Schulen in der Nähe, Eilbek und Barmbek, und lassen dort Rugby spielen – in der Hoffnung, bald eine Mädchenmannschaft zu stellen. Aktuell sind 130 Männer und 36 Frauen Mitglied beim HRC. Gern dürfen es mehr Frauen werden, auch, um das Niveau des Teams zu steigern. Hilfreich könnte sein, dort für Frauen-Rugby zu werben, wo viele junge Menschen sind - an der Hamburger Universität zum Beispiel.
Ideen sind da. Es mangelt an der Durchsetzung. Godwina sagt: „Wir sind alle motiviert, aber haben nicht so viel Zeit. Man kann Menschen nicht ins Ehrenamt zwingen. Man muss dafür gemacht sein.“