„Ich kannte das deutsche Sportsystem vorher überhaupt nicht“

Das HSB-Tandem-Projekt „Finde deinen Platz im Sport“ bringt Menschen mit und ohne Migrationsgeschichte zusammen, die mehr von einander und der deutschen Vereins-Landschaft erfahren wollen.

Konzentriertes Arbeiten an fünf Tischen, ganz oben, im sonnendurchfluteten Olympiasaal des Hamburger Sportbundes (HSB) an der Schäferkampsallee. Eine halbe Stunde haben die fünf Tandems Zeit, um ihre Projekte vorzustellen, die sie in den vergangenen Monaten ausgearbeitet haben. Sie überlegen, beratschlagen, zeichnen, malen, lachen: Yasmine und Jan vom Betriebssportverband. Für den TV Fischbek treten Fadime und Angelika an. Pallavi, die diesmal ohne Mentor Marco vom HSV Barmbek-Uhlenhorst da ist. Mohamed und Rebekka sind für den SV Eidelstedt am Start. Das Tandem des Hamburger Sportvereins (HSV) bilden Masoud und Valerian.

Tandem: Das ist die Zusammenarbeit zwischen Mentor*in und Mentee im Rahmen des HSB-Projekts „Finde deinen Platz im Sport“, kurz FiPS. Tandem? Ja, hier fahren zwei Menschen gemeinsam durchs Leben im Sportverein. Freiwillig. Hierarchiefrei. Persönlich. Vertraulich. Verbindlich.

Johanna Wittneben, neben ihrer Kollegin Mirja Gooßen Projekt-Verantwortliche, sagt: „Im organisierten deutschen Sport sind freiwillig Engagierte eine wichtige Stellschraube. Das Projekt möchte dieses freiwillige Engagement fördern. Gleichzeitig bietet ein Sportverein/-verband viele  Tätigkeitsfelder, die nicht jeder und jedem bekannt sind. Auch hier setzt das Projekt an und will Menschen mit Migrationsgeschichte und/oder Fluchterfahrung die  Tätigkeiten im Sportverein oder -verband nahebringen. Sie können entdecken, welche Tätigkeiten im organisierten Sport zu ihnen passen.“

Ein spannender Tag war dabei das „Matching“ im März im DAV-Kletterzentrum Lokstedt. Wer bekommt welche Partnerin, welchen Partner? Die Mentor*innen kannte die HSB-Abteilung „Integration durch Sport“ (IDS) schon aus früheren Kontakten und hatte überlegt, wer sich eignen könnte. Die Mentees hatten zuvor unter anderem in einer Info-Veranstaltung des Hamburg Welcome Center von „FiPS“ erfahren und meldeten sich dann beim HSB an.

Auf der Basis von Gesprächen und dem Studium der Anmeldebögen führte das IDS-Team die Tandems zusammen: „Wir haben ihre Interessen und die räumliche Nähe betrachtet, damit niemand eine Stunde durch Hamburg fahren muss, um sich zu treffen.“ Alle Tandems kamen im März direkt ins Gespräch und erlebten sich später bei einer gemeinsamen, angeleiteten Kletter-Einheit  erstmals als Team: „Das hat einfach gut gepasst.“

Was angenehm begann, ging aussichtsreich weiter. Nach dem Kennenlernen im März trafen sich die fünf Paare zweimal im Monate. Im Café, zuhause oder auch am Telefon, per Chat, per Mail. Jan vom Betriebssportverband Hamburg e.V. sagt: „Wir haben einmal zusammengesessen, dann kam die Idee für unser Projekt. Das hat nicht lange gedauert.“ Vereins-Erfahrung hatte kaum einer der Mentees, wie Jans Tandempartnerin Yasmine erzählt: „Ich komme aus Ägypten und wusste gar nichts vom deutschen Sportsystem.“ Im Laufe des halben Jahres hat sie von Jan und aus eigener Betrachtung viel darüber erfahren.

Kein Vorhaben ohne Absichten. Beim neuen Tandem-Projekt des HSB geht es nicht nur darum, Diversität im Sportverein zu stärken. Johanna Wittneben fügt an: „Aus meiner Sicht liegt ein sehr wichtiges Ziel auf der persönlichen Ebene. Das Tandem lernt sich kennen und arbeitet über einen längeren Zeitraum zusammen.“ So dürfen Mentor*innen und Mentees zwei Workshops aus dem HSB-Bildungsprogramms wählen, etwa aus der „Mein Verein für alle“-Bildungsreihe – kostenfrei. Vielleicht bleibt der Kontakt über Projektgrenzen hinweg bestehen?

Das halbe Jahr Laufzeit ist jedenfalls schon fast vorüber. Die Ernte steht an. Nach der halben Stunde Vorbereitung präsentieren die Tandems ihre Projekte am Flipchart fernab ihrer ersten Sprache. Aufregend! Masoud möchte einen Fußballverein für sich und seinen Sohn finden. Pallavi kann sich vorstellen, eine Gymnastik- oder Fußballgruppe zu leiten. Yasmine will sich bei der Hamburgiade Anfang September engagieren. Mohamed wird ein Familienfest in Lurup mitorganisieren. Und Fadimes Ziel ist, Integrationsbeauftragte zu werden. Bei allen Vorhaben arbeiten sie gleichberechtigt mit ihren Mentor*innen zusammen.

Beim HSB ist die Zufriedenheit mit dem Tandem-Projekt schon jetzt so groß, dass es 2025 eine Neuauflage geben soll.

 

Text: Frank Heike


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