Geteiltes Leben
Zoya Yatsenko zählt zu den Menschen, die dem Leben ein Gesicht geben können. In das man sich vertiefen kann, und so eine Vorstellung davon bekommt, dass die Existenz eines Menschen nicht linear an den Jahren entlang vermessen werden kann, sondern Erfahrungen weitaus vielschichtiger und mehrdimensionaler verlaufen. Es ist ein Gesicht, das viel zu erzählen hat, und es hat Augen, die mit feiner Ironie und zugleich voller Energie auf die Zukunft zu blicken scheinen.
Als Zoya Yatsenko, 1954 in der ukrainischen Hauptstadt Kiew geboren, 1998 als jüdische Zuwanderin mit ihrer Familie nach Deutschland kam, lag schon ein erfolgreiches sportliches und berufliches Leben hinter ihr; als Meisterin des Sports in der Sowjetunion (1973 im Rudern) und als promovierte Dozentin an der Ukrainischen Universität für Körpererziehung und Sport in Kiew. Vor ihr lag: ein neues Land, eine neue Sprache, eine andere Kultur und eine große Ungewissheit.
Mit der Ungewissheit hat sie sich nicht lange aufgehalten, den Herausforderungen des neuen Lebens ist sie direkt begegnet. Zoya Yatsenko hat sich dabei an dem orientiert, was schon ihrem alten Leben Struktur und Inhalt gegeben hatte: der Sport. Bereits 1999, ein Jahr nach ihrer Emigration nach Deutschland, gründete sie Makkabi Brandenburg, den ersten jüdischen Sportverein in dem ostdeutschen Bundesland. Als Vorsitzende und Trainerin nahm sie die Ruder fest in die Hand, leitet seither die Geschicke des Vereins, stets unterstützt von ihrem Mann Oleg.
Besonderes Augenmerk legte Zoya Yatsenko zunächst auf die Kinder der Familien, die ebenso wie ihre eigene aus den ehemaligen Sowjetrepubliken nach Deutschland kamen. Sie sagt: „Kinder und Jugendlichen fällt es sehr leicht, sich über den Sport in eine fremde Gesellschaft zu integrieren. Später, wenn sie schon älter sind, ist es viel schwieriger, sie für den Sport zu begeistern.“ Ergo: Auch die Integration wird im Alter erschwert. Dazu gleich mehr.
Wie erfolgreich der Verein im Jugendbereich ans Werk ging, zeigt sich schnell. Schon 2002 und 2003 stellte er mit Michael Abramov den Brandenburgischen Landesmeister im Tennis, 2003 mit Olga Vaideslaver sogar die Deutsche Meisterin im Schach in der Altersklasse U18. Die Titel sorgten für Aufmerksamkeit über die Stadtgrenzen hinaus. Neue Kontakte taten sich auf, unter anderem zur Brandenburgischen Sportjugend (BSJ). Mit Unterstützung der BSJ erwuchs aus der Jugendinitiative des Vereins ein richtiges Projekt, Makkabi Brandenburg wurde Stützpunktverein des Bundesprogramms „Integration durch Sport.“ Damit flossen auch Fördergelder.
Und bei der älteren Zielgruppe? Da ist der Weg laut Zoya Yatsenko eben oftmals länger zum Verein. Manchmal ist der Sport nie fester Bestandteil ihres Lebens gewesen, manchmal sind die Bedenken grundsätzlicher Natur. So stellte der Deutsche Olympische Sportbund (DOSB) fest, dass die ältere Bevölkerungsgruppe mit Zuwanderungsgeschichte auch deshalb unterrepräsentiert ist, weil sie sich teilweise von den hermetisch wirkenden Vereinssystem abgeschreckt fühlte, oder weil die Angebote des Gesundheitssports sie nicht ansprechen.
Oft genug ist es Zoya Yatsenko gelungen, die Bedenken individueller Art auszuräumen; die Senioren zu überzeugen und für den Sport zu gewinnen, mit ihrem einnehmenden Wesen und ihrem großen Engagement; das zu illustrieren es lohnt, kurz die Integrationskoordinatorin der Brandenburgischen Sportjugend zu zitieren: „Zoya“, sagt Larissa Markus, „ist bekannt wie ein bunter Hund.“ Auf der Metaebene indes wurde der DOSB tätig, entwickelte 2014 das Projekt „Zugewandert und Geblieben. Sport für Ältere aus aller Welt“ (ZuG), um damit das deutsche Vereinssystem zu öffnen und das Angebot besser auf die Bedürfnisse von Senior*innen mit Zuwanderungsgeschichte abzustimmen.
Makkabi Brandenburg beteiligte sich an dem zweijährigen vom Bundesministerium für Gesundheit geförderten Projekt, half, „ZuG“ zur Zielgruppe zu bringen. Eine Seniorengruppe wurde gegründet, das Angebot aus Fußball, Volleyball, Schach und Tischtennis dauerhaft um den Gesundheitssport ergänzt. „Uns ist es sehr wichtig, dass sich die Älteren in unserem Verein wohlfühlen und sich die Kurse an ihrem gesundheitssportlichen Bedarf orientieren“, sagt Zoya Yatsenko. Zudem sei der Sportverein natürlich ein wunderbarer Ort der Begegnung. Bei ihnen seien alle willkommen.
Ohne dass es eines Nachweises bedurft hätte, dass wirklich alle willkommen sind: Als Deutschland in Not war, weil plötzlich sehr viele Menschen kamen, die kultur- und sprachfremd waren, Hilfe brauchten, um einen Zugang zu Land und Leuten zu finden, öffnete die Jüdin Zoya Yatsenko 2015 ihren Verein auch für Geflüchtete muslimischen Glaubens. Bis zu 120 Personen nahmen zwischenzeitlich an den Trainingsgruppen des Vereins teil, und noch heute haben fast die Hälfte der etwa 80 Mitglieder ihre Wurzeln in Afghanistan und Syrien. „Gesundheit und Bewegung habe ich immer als eines verstanden, sie sind genauso untrennbar verbunden für mich wie Sport und Heimat“, sagt die Vereinsvorsitzende.
Zoya Yatsenko und ihr Mann Serhiy Tarasenko versuchen, den zugewanderten Menschen nicht nur den Sport näherzubringen, sondern ihnen die Tür zur Gesellschaft und vielleicht auch zu einer beruflichen Zukunft aufzustoßen. So, wie es Olga Vaideslaver, der Deutschen Schachmeisterin U18 von 2003, gelungen ist. Die Koryphäe des Königsspiels ist Optikerin geworden und arbeitet mittlerweile als Kundenmanagerin in einem Brillengroßhandel in Potsdam. Ihre positiven Integrationserfahrungen sind mittlerweile andernorts institutionalisiert, durch einen Verein, der ihren Namen trägt, OLGA e.V, und den ihr Vater Ghidali Vaideslaver einst aus Stolz auf seine Tochter gründete.
Dass solche Wege schwieriger sein können, als es von außen wirkt, dass man oft noch mehr zurücklässt als die Heimat, das hat Zoya Yatsenko am eigenen Leib erfahren. Sie, die Akademikerin, die promovierte Hochschuldozentin aus der Ukraine, arbeitet in Deutschland in der ambulanten Altenpflege. Eine wichtige, eine ehrenwerte Tätigkeit, aber auch eine, die mit großer körperlicher Anstrengung verbunden ist. Wenn die bald 68-jährige Zoya Yatsenko also über sich sagt, ohne Sport sei sie nicht ganz, dann bekommt der Satz vor diesem Hintergrund durchaus eine andere Bedeutung.
Text: Marcus Meyer
Geteiltes Leben
Zoya Yatsenko zählt zu den Menschen, die dem Leben ein Gesicht geben können. In das man sich vertiefen kann, und so eine Vorstellung davon bekommt, dass die Existenz eines Menschen nicht linear an den Jahren entlang vermessen werden kann, sondern Erfahrungen weitaus vielschichtiger und mehrdimensionaler verlaufen. Es ist ein Gesicht, das viel zu erzählen hat, und es hat Augen, die mit feiner Ironie und zugleich voller Energie auf die Zukunft zu blicken scheinen.
Als Zoya Yatsenko, 1954 in der ukrainischen Hauptstadt Kiew geboren, 1998 als jüdische Zuwanderin mit ihrer Familie nach Deutschland kam, lag schon ein erfolgreiches sportliches und berufliches Leben hinter ihr; als Meisterin des Sports in der Sowjetunion (1973 im Rudern) und als promovierte Dozentin an der Ukrainischen Universität für Körpererziehung und Sport in Kiew. Vor ihr lag: ein neues Land, eine neue Sprache, eine andere Kultur und eine große Ungewissheit.
Mit der Ungewissheit hat sie sich nicht lange aufgehalten, den Herausforderungen des neuen Lebens ist sie direkt begegnet. Zoya Yatsenko hat sich dabei an dem orientiert, was schon ihrem alten Leben Struktur und Inhalt gegeben hatte: der Sport. Bereits 1999, ein Jahr nach ihrer Emigration nach Deutschland, gründete sie Makkabi Brandenburg, den ersten jüdischen Sportverein in dem ostdeutschen Bundesland. Als Vorsitzende und Trainerin nahm sie die Ruder fest in die Hand, leitet seither die Geschicke des Vereins, stets unterstützt von ihrem Mann Oleg.
Besonderes Augenmerk legte Zoya Yatsenko zunächst auf die Kinder der Familien, die ebenso wie ihre eigene aus den ehemaligen Sowjetrepubliken nach Deutschland kamen. Sie sagt: „Kinder und Jugendlichen fällt es sehr leicht, sich über den Sport in eine fremde Gesellschaft zu integrieren. Später, wenn sie schon älter sind, ist es viel schwieriger, sie für den Sport zu begeistern.“ Ergo: Auch die Integration wird im Alter erschwert. Dazu gleich mehr.
Wie erfolgreich der Verein im Jugendbereich ans Werk ging, zeigt sich schnell. Schon 2002 und 2003 stellte er mit Michael Abramov den Brandenburgischen Landesmeister im Tennis, 2003 mit Olga Vaideslaver sogar die Deutsche Meisterin im Schach in der Altersklasse U18. Die Titel sorgten für Aufmerksamkeit über die Stadtgrenzen hinaus. Neue Kontakte taten sich auf, unter anderem zur Brandenburgischen Sportjugend (BSJ). Mit Unterstützung der BSJ erwuchs aus der Jugendinitiative des Vereins ein richtiges Projekt, Makkabi Brandenburg wurde Stützpunktverein des Bundesprogramms „Integration durch Sport.“ Damit flossen auch Fördergelder.
Und bei der älteren Zielgruppe? Da ist der Weg laut Zoya Yatsenko eben oftmals länger zum Verein. Manchmal ist der Sport nie fester Bestandteil ihres Lebens gewesen, manchmal sind die Bedenken grundsätzlicher Natur. So stellte der Deutsche Olympische Sportbund (DOSB) fest, dass die ältere Bevölkerungsgruppe mit Zuwanderungsgeschichte auch deshalb unterrepräsentiert ist, weil sie sich teilweise von den hermetisch wirkenden Vereinssystem abgeschreckt fühlte, oder weil die Angebote des Gesundheitssports sie nicht ansprechen.
Oft genug ist es Zoya Yatsenko gelungen, die Bedenken individueller Art auszuräumen; die Senioren zu überzeugen und für den Sport zu gewinnen, mit ihrem einnehmenden Wesen und ihrem großen Engagement; das zu illustrieren es lohnt, kurz die Integrationskoordinatorin der Brandenburgischen Sportjugend zu zitieren: „Zoya“, sagt Larissa Markus, „ist bekannt wie ein bunter Hund.“ Auf der Metaebene indes wurde der DOSB tätig, entwickelte 2014 das Projekt „Zugewandert und Geblieben. Sport für Ältere aus aller Welt“ (ZuG), um damit das deutsche Vereinssystem zu öffnen und das Angebot besser auf die Bedürfnisse von Senior*innen mit Zuwanderungsgeschichte abzustimmen.
Makkabi Brandenburg beteiligte sich an dem zweijährigen vom Bundesministerium für Gesundheit geförderten Projekt, half, „ZuG“ zur Zielgruppe zu bringen. Eine Seniorengruppe wurde gegründet, das Angebot aus Fußball, Volleyball, Schach und Tischtennis dauerhaft um den Gesundheitssport ergänzt. „Uns ist es sehr wichtig, dass sich die Älteren in unserem Verein wohlfühlen und sich die Kurse an ihrem gesundheitssportlichen Bedarf orientieren“, sagt Zoya Yatsenko. Zudem sei der Sportverein natürlich ein wunderbarer Ort der Begegnung. Bei ihnen seien alle willkommen.
Ohne dass es eines Nachweises bedurft hätte, dass wirklich alle willkommen sind: Als Deutschland in Not war, weil plötzlich sehr viele Menschen kamen, die kultur- und sprachfremd waren, Hilfe brauchten, um einen Zugang zu Land und Leuten zu finden, öffnete die Jüdin Zoya Yatsenko 2015 ihren Verein auch für Geflüchtete muslimischen Glaubens. Bis zu 120 Personen nahmen zwischenzeitlich an den Trainingsgruppen des Vereins teil, und noch heute haben fast die Hälfte der etwa 80 Mitglieder ihre Wurzeln in Afghanistan und Syrien. „Gesundheit und Bewegung habe ich immer als eines verstanden, sie sind genauso untrennbar verbunden für mich wie Sport und Heimat“, sagt die Vereinsvorsitzende.
Zoya Yatsenko und ihr Mann Serhiy Tarasenko versuchen, den zugewanderten Menschen nicht nur den Sport näherzubringen, sondern ihnen die Tür zur Gesellschaft und vielleicht auch zu einer beruflichen Zukunft aufzustoßen. So, wie es Olga Vaideslaver, der Deutschen Schachmeisterin U18 von 2003, gelungen ist. Die Koryphäe des Königsspiels ist Optikerin geworden und arbeitet mittlerweile als Kundenmanagerin in einem Brillengroßhandel in Potsdam. Ihre positiven Integrationserfahrungen sind mittlerweile andernorts institutionalisiert, durch einen Verein, der ihren Namen trägt, OLGA e.V, und den ihr Vater Ghidali Vaideslaver einst aus Stolz auf seine Tochter gründete.
Dass solche Wege schwieriger sein können, als es von außen wirkt, dass man oft noch mehr zurücklässt als die Heimat, das hat Zoya Yatsenko am eigenen Leib erfahren. Sie, die Akademikerin, die promovierte Hochschuldozentin aus der Ukraine, arbeitet in Deutschland in der ambulanten Altenpflege. Eine wichtige, eine ehrenwerte Tätigkeit, aber auch eine, die mit großer körperlicher Anstrengung verbunden ist. Wenn die bald 68-jährige Zoya Yatsenko also über sich sagt, ohne Sport sei sie nicht ganz, dann bekommt der Satz vor diesem Hintergrund durchaus eine andere Bedeutung.
Text: Marcus Meyer