Berlin: Black History Month (BHM) – Perspektiven (Teil 1)

Roli-Ann Neubauer und Ireti Amojo sind in Berlin geboren, aufgewachsen und haben beide für die deutsche Basketball-Nationalmannschaft gespielt. Im Interview haben sie uns von weiteren Parallelen, aber auch von Unterschieden und ungerechter Behandlung erzählt. Dank ihrer tiefen Einblicke können sie Möglichkeiten aufzeigen, wie der organisierte Sport helfen kann, damit die Welt etwas gerechter wird.

Um Schwarze Athlet*innen ranken sich zahlreiche Erzählungen und mancher Mythos. Viele demonstrieren neben sportlichem Erfolg v.a. auch den schier unendlichen Kampf gegen Rassismus. Unvergessen bleibt der legendäre Triumph Jesse Owens, der bei den Olympischen Spielen 1936 in Berlin sagenhafte vier (!) Goldmedaillen gewann. Sportlich spektakulär und darüber hinaus ein politischer Hieb gegen das NS-Regime und seine Rassenideologie. Auch Muhammad Ali setzte 1966/67 ein Signal weit über die Welt des Boxens hinaus, als er seine Rekrutierung für den Vietnamkrieg mit dem Verweis auf die heimische Civil Rights Bewegung verweigerte. „Ich habe keinen Ärger mit dem Vietcong. Kein Vietcong hat mich jemals als N-Wort beschimpft.“ Der Staffelstab wurde ins neue Jahrhundert weitergegeben. Die Namen Serena Williams und Colin Kaepernick stehen symbolisch für den Schulterschluss Schwarzer Sportidole mit aktuellen Menschenrechtsbewegungen in den USA und weltweit.

Um das Ausmaß gegenwärtiger Wirkmechanismen von Rassismus zu verstehen, ist es wichtig, dass Schwarze Sportler*innen zu Wort kommen und ihre Geschichten teilen. Ireti Amojo und Roli-Ann Neubauer haben uns von ihren Werdegängen erzählt. Die erste Hälfte des Interviews dreht sich darum, wie alles anfing, die Höhepunkte ihrer Karrieren und über den fahlen Beigeschmack, den manches im Nachhinein hat. Letztlich sind alle Gesellschaftsbereiche von Rassismus geprägt, warum sollte das im organisierten Sport anders sein?

Frage: Wir reden heute v.a. über Rassismus im Sport. Dabei wird es auch um eure persönlichen Erfahrungen gehen. Deswegen möchten wir vorneweg fragen, würdet ihr euch, nach allem was Euch widerfahren ist, nochmal für eine Basketballkarriere entscheiden?

Ireti: Ja, auf jeden Fall. Basketball war für mich sowas wie mein zweites zu Hause. Als meine Eltern sich getrennt haben, gab mir das Training Halt und Stabilität. Manchmal sage ich im Spaß, wenn ich nicht mit Basketball angefangen hätte, wäre ich perspektivlos und nie aus Berlin, Moabit, rausgekommen. Stattdessen habe ich ein Stipendium bekommen und habe meinen Traum gelebt.

Roli: Geht mir genauso. Basketball hat meinen Horizont erweitert. Wir waren mehrere Geschwister zu Hause und hatten nie besonders viel Geld. Durch die Jugendnationalmannschaften konnte ich reisen und die Welt sehen. Und auch heute hat es noch Vorteile, dass in meinem Lebenslauf A-Kader Nationalmannschaft steht. Das merke ich immer wieder bei Bewerbungen, weil es einfach für meine Leistungsbereitschaft und Belastbarkeit spricht.

Frage: Warum habt ihr euch für Basketball entschieden und nicht für eine andere Sportart?

Roli: Bei uns zu Hause war immer klar, dass wir Sport machen sollen. Anfangs waren wir alle in der Leichtathletik. Im Grundschulalter habe ich mit Fußball angefangen. Kurz danach bin ich durch meinen Bruder zum Basketball gekommen. Mit zwölf musste ich mich entscheiden, weil beides parallel nicht mehr ging.

Ireti: Witzig, bei mir war es genauso. Dein Vater ist auch aus Nigeria, oder? (Roli bejaht) Mein Vater war leidenschaftlicher Läufer und hat uns deswegen auch als erstes zur Leichtathletik geschleppt. Später gab es an meiner Schule eine Basketball-AG, kurz danach habe ich mich im Verein angemeldet.

Frage: Hattet ihr sportliche Vorbilder, an denen ihr euch orientiert habt?

Roli: Allen Iverson. Er kam aus relativ einfachen Verhältnissen und hat die größten Stars in Streetball-Manier komplett vorgeführt. Die Ligaleitung hat versucht, ihm Steine in den Weg zu legen, auch, weil er mit seinem Kleidungsstill und den Tattoos nicht ins Bild der adretten „NBA-Saubermänner“ gepasst hat. Er war ein richtiger Rebell auf und neben dem Platz. Ich konnte mich gut mit ihm identifizieren, weil er - genau wie ich – anders war, als die anderen und trotzdem spielerischen Erfolg hatte. Deswegen habe ich mich auf dem Freiplatz auch immer wohler gefühlt, als in der Halle. Da zählt dann eben was du kannst – nicht ob du das kannst, was die Trainer*innen gut finden. Dennis Rodman war ja auch so ein Rebell, aber mit ihm habe ich mich nie so verbunden gefühlt.

Ireti: Dennis Rodman fand ich richtig gut. Ich muss dazu sagen, ich hatte schon immer Schwierigkeiten mit der Frage nach Vorbildern. Für mich gab es nie das eine wahre Idol, bei dem ich gesagt habe, so will ich spielen. Aber ich fand Rodman immer geil, weil der so unkonventionell war. Der hatte einfach keinen Bock sich anzupassen und sich der Mehrheitsgesellschaft zu beugen. Ich fand es cool wie der gehusselt hat und wollte genauso husslen wie er („husslen“ engl. für schuften, im deutschen Basketballjargon für eine Spielweise mit sehr viel Einsatzwillen v.a. in der Verteidigung). Aber ich hätte mir nicht deswegen die Haare pink gefärbt. (Lacht)

Frage: Ihr könnt beide auf erfolgreiche Karrieren zurückblicken. Was sind und bleiben Eure persönliche Highlights aus dieser Zeit?

Ireti: Früher hätte ich vermutlich gesagt, der Deutsche Meister Titel in der Jugend, ein Turniersieg oder eine Einzelauszeichnung zur MVP (Most Valuable Player = wertvollste Spielerin). Heutzutage würde ich sagen, der Schritt, in die USA zu gehen und ein Sportstipendium zu bekommen - vier Jahre am College auf höchstem Niveau trainieren und spielen; und gleichzeitig studieren. Dieser sportliche und persönliche Erfolg ist meine größte sportliche Leistung im weitesten Sinne. Natürlich bin ich auch unheimlich stolz auf meine Zeit im A-Kader der Nationalmannschaft. Das eindrucksvollste war die High School Meisterschaft in meinem Austauschjahr. Da haben wir vor 10.000 Leuten in der ausverkauften Arena der University of Washington gespielt und gewonnen. Die Luft in der Halle hat einfach gebebt.

Roli: Ich habe auch mein Leben lang auf den A-Kader hingearbeitet. Das war mein Ziel und, dass ich das erreicht habe, ist bis heute ein Highlight. Wir haben damals mit der Berliner Auswahl die Deutsche Meisterschaft gewonnen. Mit der Collegemannschaft waren wir tatsächlich so erfolgreich, dass wir in allen drei Jahren, die ich dort war, in unserem Bundesland die Championship geholt haben und sogar einmal in die Sweet Sixteen (die nationale Viertelfinalrunde) eingezogen sind. Das war atemberaubend. In den USA ist das wirklich ein ganz anderes Level. Zurück in Deutschland hatte ich mit den Wolfenbüttel Wildcats die phänomenalste Saison. Das war eine unglaubliche Achterbahnfahrt.

Ireti: Darüber wurde noch Jahre später in der Bundesliga gesprochen!

Roli: Im Jahr davor hatte ich mir beide Patellasehnen gerissen. Ich musste mich zurückkämpfen, teilweise gegen ärztlichen Rat. Dann kamen noch die finanziellen Schwierigkeiten des Vereins dazu und Verletzungsprobleme von anderen Spielerinnen. Am Ende der Saison haben wir durch einen Buzzerbeater (ein Treffer in der letzten Sekunde, der das Spiel entscheidet) die Meisterschaft gewonnen.

Frage: Wahnsinn! Das sind ja genau die Momente, auf die Sportler*innen aller Disziplinen ein Leben lang hintrainieren. Gab es denn umgekehrt auch Situationen, die nur schwer zu ertragen waren?

Roli: Ja, definitiv. Sportlich ist es ja das eine, Verletzungen z.B. gehören einfach dazu. Aber es gibt auch eine Menge Sachen, die mir erst im Nachhinein klar geworden sind. Im Rückblick auf meine Zeit in der Nationalmannschaft fällt mir an einigen Stellen auf, dass ich nicht richtig dazugehört habe. Ich war ein Teil des Teams, weil es für den Bundestrainer keinen Weg an meinen spielerischen Fähigkeiten vorbei gab. Aber ich bin davon überzeugt, wäre ich blond und blauäugig gewesen, wäre meine Karriere dort anders verlaufen. Ich hätte mehr Spielzeit und mehr Anerkennung bekommen. Ich möchte jetzt im Nachhinein gar nicht alles schlechtreden. Wie gesagt, ich bin stolz, den „Adler auf der Brust“ getragen zu haben und bin überzeugt, dass ich auch heute noch davon profitiere. Ich selbst wollte das damals auch so, ich wollte dazugehören. Aber diese Zugehörigkeit wurde mir an manchen Stellen verwehrt. Bei der EM 2007 z.B. kam von einem Teammitglied ganz beiläufig der Kommentar „Ach guck an, dann bist du also unsere Quotenschwarze“, weil ihr aufgefallen war, dass auch andere Teams häufig genau eine Schwarze Spielerin hatten. Damals hab ich das einfach so hingenommen, ohne mir groß was dabei zu denken. Die wahre Bedeutung wurde mir Jahre später klar, weil ich mich tiefer mit Rassismus und den Zusammenhängen beschäftigt habe. Ich musste mir auch öfters unnötige Sprüche über meine Haare anhören. Besonders, wenn es um Verletzungen ging, fühlte ich mich im Vergleich zu anderen ungerecht behandelt. Mir wurde beispielsweise gesagt „Roli, du weißt, wir können nur topfitte Spielerinnen mitnehmen“. In exakt demselben Zeitraum wurde eine andere Spielerin wegen Achillessehnenproblemen geschont. Ihr wurde kein Druck gemacht – im Gegenteil, sie wurde vom Trainierstab in Schutz genommen.

Am 19.02.2021 werden wir nahtlos Teil 2 dieses spannenden Gesprächs veröffentlichen. Wir erfahren mehr über die Hintergründe dieser Andersbehandlung und andere Missstände der Vergangenheit und Gegenwart. Das Gespräch wird sich aber auch um reale Möglichkeiten des organisierten Sports drehen, Rassismus entgegenzuwirken und zu empowern, also die Betroffenen zu stärken.