Das nächste Level

Wie Parkour Creation sich neu erfindet, Jugendlichen aus Hamburg und aller Welt einen Ort persönlicher Entwicklung bietet und damit der Ausgangsidee seiner Gründer wieder näher kommt

Von Frank Heike (Text) und Frank Molter (Fotos)

Auf der großen Matte geht es heute Abend um Flips. Der Coach der kleinen, gemischten Gruppe ist ein Könner – Ahmad, 32, erst seit ein paar Monaten in Hamburg. Auf seinem Smartphone zeigt er ein Parkour-Trainer-Zertifikat aus dem Iran. Das Papier ist das eine, sein Können das andere: „Ahmad ist viel mutiger als ich“, staunt Juli, 21, „er kann auch viel mehr Flips.“

Ahmad ist ihr Co-Coach. Juli übersetzt für ihn, denn sein Deutsch steckt noch in den Kinderschuhen: „Kannst du das nochmal vormachen, Ahmad?“ Er zeigt, wie man das Schaumstoff-Hindernis korrekt hinter sich lässt: nicht über den Rücken, sondern über die Schulter rollend. Rica Blunck aus dem Vereins-Vorstand schaut zu und erinnert sich: „Als Ahmad Mitte 2023 das erste Mal zu uns kam, haben wir alle gestaunt, wie gut er ist.“

Rasch stand fest, dass er als Trainer bei Parkour Creation e.V. anfangen sollte. Erstmal als Co-Coach, gefördert aus dem Programm „Integration durch Sport“ (IDS) des Hamburger Sportbundes (HSB). Wenn er besser Deutsch sprechen wird, auch als verantwortlicher Trainer. Jetzt begleitet er mit Juli immer dienstagabends seinen Kurs hier in der luftigen „Halle für Alle“ nahe der Hafen-City.

Gefunden hat er den Verein im Internet. Der Parkour Creation e.V. ist eine bekannte Adresse. Weltoffen, locker, ungewöhnlich tritt der Klub auf, der seit vielen Jahren IDS-Stützpunktverein ist: weit weg vom üblichen Vereinssport mit Toren, Punkten, Tabellen.

Dabei hat sich zuletzt viel getan - wir haben Rica Blunck deswegen Stichworte zum Thema Entwicklung zugeworfen.

 

Rica Blunck über…

…den Veränderungsprozess: „Das ist der größte Fortschritt. Wir haben physisch und inhaltlich aufgeräumt. Die Stimmung hier ist besser geworden, die guten Vibes von früher kehren endlich wieder zurück. Gemeinsam entwickeln wir Ideen, sowohl für unseren laufenden Betrieb, als auch für die Zukunft des Vereins. Wir finden, dass Parkour mit seinem Potential, sich den urbanen Raum anzueignen und ihn neu zu gestalten, auch außerhalb des Sports viel zu erzählen hat.
Zum Beispiel bei dem Kunst-Projekt ‚Overcome Reality‘. Das Projekt schafft eine Verbindung zwischen Menschen, die Parkour an geschichtsträchtigen Orten hier in Hamburg machen, mit Menschen in Krisengebieten, denn die Parkour Community ist weltweit sehr gut vernetzt.

…Projekte für die Jüngeren: „Wir haben viele verschiedene Projekte für Jugendliche, darunter künstlerische-, soziale- und Empowermentprojekte. Das Projekt „Overcome Reality Young Star“ zum Beispiel verbindet verschiedene Orte und Menschen innerhalb Hamburgs miteinander und versucht damit Jugendliche aus ihren vermeintlichen Komfortzonen des eigenen Viertels zu locken. Da laufen dann Jugendliche aus Allermöhe oder Schnelsen mit anderen aus der HafenCity oder St. Pauli zusammen Parkour und werden filmisch/virtuell miteinander vernetzt.“

…die Vereinbarkeit von Parkour, Kunst und Bildung: „Wir haben 2023 den weltweit ersten Parkour-Battle veranstaltet und wiederholen das dieses Jahr. Die Veranstaltung heißt GIZMO-Stylebattle. Sie hebt vor allem den sehr tänzerischen Parkour-Stil ,Funky-Techniques‘ hervor. Auf den Gizmo-Stylebattle sind wir sehr stolz, weil wir dadurch Parkour auf ein nächstes Level heben. Wir wollen, neben dem Sport, auch die  künstlerische Entwicklung der Sportler:Innen fördern – das ist gerade für Jugendliche großartig, weil es den Kopf aufmacht.“

…die persönliche Entwicklung der jungen Parkourläufer: „Es ist uns wichtig, dass Jugendliche, die hierherkommen, sich mehr für das Zusammenleben in einer Gemeinschaft interessieren und ein Gefühl für die Wichtigkeit von Demokratie und Politik bekommen. Das ist durch unseren neuen, offenen Vorstand möglich geworden.“

 

Die Öffnung scheint dem Verein gut zu bekommen. Vor zehn Jahren hatte Parkour Creation e.V. 100 Mitglieder. Inzwischen sind es etwa 700. Dass darunter Menschen mit Wurzeln in Syrien, Iran, Irak, Russland, der Ukraine oder Japan sind, ist hier gar kein Thema mehr: „Wir kennen und wollen es nicht anders“, sagt Rica Blunck, während Ahmad auf den Matten weiter zeigt, wie der perfekte Flip aussieht. Er will vorankommen, sagt er, Fuß fassen – besser Deutsch lernen, mehr Trainerstunden geben. An den ewigen Hamburger Regen habe er sich gewöhnt, sagt Ahmad lachend, als würde er denken: First World Problems.