Integration im Becken

Für die meisten Kinder in Deutschland ist Schwimmen lernen eine Selbstverständlichkeit. Sie werden von klein auf in einem Schwimmverein/- Kurs angemeldet oder lernen es, indem sie mit ihren Eltern das Schwimmbad besuchen. Doch was ist eigentlich mit den Kindern, die dieses Privileg nicht haben? Besonders sozial benachteiligte Kinder und solche mit Migrationshintergrund haben es meist nicht so einfach. Viele Eltern können sich beispielsweise nur schwerlich Badehose, Schwimmflügel, Taucherbrille etc. oder Vereinsbeiträge und Eintrittsgelder leisten, haben Mobilitätsprobleme und wenn auch die Eltern nicht schwimmen können, wie sollen es dann die Kinder lernen?

Foto: SV Malstatt-Burbach 1984 e.V.
Schwimmkurse des SV Malstatt-Burbach, wie sie vor Corona stattfanden.
Foto: SV Malstatt-Burbach 1984 e.V. Schwimmkurse des SV Malstatt-Burbach, wie sie vor Corona stattfanden.

Aus diesem Grund ist es wichtig, dass es Menschen wie Anja Hexamer und Bärbel Knobe gibt, die sich genau diesen Kindern annehmen. Diese Aufgabe ist ohnehin nicht einfach, erfordert viel Engagement und fällt in Zeiten von Corona natürlich besonders schwer. Generell hat der Schwimmsport derzeit sehr mit den aktuellen Hygienebeschränkungen zu kämpfen. Auch Bärbel Knobe von unserem Stützpunktverein, dem SV Malstatt-Burbach kann nur den Kopf schütteln, wenn sie im Corona-Leitfaden des deutschen Schwimmverbandes blättert. Das Resultat: Die Bäder blieben den Großteil des Jahres – wenn nicht sogar völlig – geschlossen. Doch lasst uns zunächst einen Blick darauf werfen, warum „Integration im Becken“ eigentlich so wichtig ist:


Als Stützpunktverein von „Integration durch Sport“ ist das Thema Integration natürlich fest in den Alltag des Schwimmvereins Malstatt-Burbach 1984 e.V. eingebettet. Was diesen Verein aber so einzigartig macht, ist die Art und Weise, wie die insgesamt 500 Kinder und Jugendlichen verschiedenster Nationalitäten und Kulturen dort betreut und eingebunden werden. Niemand wird aufgrund seiner Herkunft bevorzugt oder benachteiligt, aber es bleibt Raum für die Besonderheiten jedes Kindes und die Übungsleiter gehen auf spezielle Förderbedarfe ein. Auch außerhalb des Beckens versuchen die Vereinsvorsitzende und ihre Mitstreiter gerade den Kindern ein Stückchen Regelmäßigkeit und somit Heimat zu vermittelt, die dies in ihrem Alltag sonst noch vermissen. Man legt großen Wert auf den Austausch unter den hier geborenen und neu dazu gezogenen Mitgliedern und unterstützt zudem Kinder aus sozial schwachen Familien, wenn es mal an den einfachsten Schwimmutensilien fehlt. Im gleichen Atemzug weist Bärbel Knobe aber auch auf die strengen Regeln im und am Becken hin, die von allen Kindern ohne Ausnahme einzuhalten sind. Einen besonderen Teil der Bemühungen des Vereins bilden die Schwimmkurse für Frauen mit Fluchterfahrung und für Kinder und Jugendliche mit Behinderung, auf deren Bedarfe die Übungsleiter sensibel und gezielt eingehen. Um all dies stemmen zu können, bildet sich das Team regelmäßig fort. Zudem haben die Ehrenamtler inzwischen viel Fachwissen angesammelt, was die Nutzung von Fördermöglichkeiten anbelangt. Dies alles ist nur möglich, weil es Vereine wie den SV Malstatt- Burbach gibt, die ihre Mitglieder zwar in die Verantwortung für die Gemeinschaft nehmen, aber sich gleichzeitig mit Herz und Verstand um die Bedürfnisse des Einzelnen inner- und außerhalb des Schwimmbeckens kümmern. 


Ein ähnliches Projekt wird von Anja Hexamer umgesetzt. Als Integrationslotsin kümmert sich Frau Hexamer vom Familienzentrum Perl-Mettlach schon seit vielen Jahren um Familien, die als Flüchtlinge nach Deutschland kamen. So erkannte sie schnell, dass Schwimmen lernen ein großer Bedarf dieser Zielgruppe ist. Trotz zahlreicher Hindernisse organisierten Frau Hexamer und ihre Kollegen mit Unterstützung von „Integration durch Sport“ schließlich Schwimmkurse für syrische- und benachteiligte Kinder aus dem Betreuungskontext. Frau Labudde vom DLRG Merzig betreute die Schwimmkurse als lizenzierte Schwimmtrainerin, während Anja Hexamer und ihre zwei Kollegen des Familienzentrums sich auf die individuellen Bedarfe jedes einzelnen Kindes konzentrierten. 

Dies war kein leichtes Unterfangen und konnte nur funktionieren, da die Engagierten mit Herzblut bei der Sache waren. Beispielsweise waren die Mitarbeiter des Familienzentrums vor und nach den Kursen jedes Mal zwischen 14:00 Uhr und 18:00 Uhr mit drei Autos unterwegs (unter anderen, um während Corona den nötigen Abstand einzuhalten), um die Kinder abzuholen und später wieder nach Hause zu bringen. „Ich mache das, weil es mir Spaß macht und den Kindern für ihre persönliche Entwicklung wirklich etwas bringt. Natürlich ist das mit Aufwand verbunden, aber ich habe in meiner Laufbahn schon viele Integrationsprojekte umgesetzt, doch keines war so nachhaltig und effektiv wie diese Schwimmkurse. Alle teilnehmenden Kinder haben gelernt zu schwimmen und anderen, aber vor allem sich selbst, zu vertrauen“, berichtete Anja Hexamer mit Euphorie. Während unseres Telefoninterviews erzählte sie mir von unzähligen kleinen Erfolgserlebnissen der einzelnen Kinder und welche Freude es macht, ein Teil davon zu sein. Da gab es zum Beispiel einen syrischen Jungen, der ein sehr auffälliges Sozialverhalten an den Tag legte und daher in seinem Alltag nur selten Anerkennung bekam. Doch der Sport war sein Steckenpferd und im Schwimmkurs konnte er seine Stärken zeigen. Durch die Anerkennung der anderen Kinder wurde er schließlich so motiviert, dass er sein Verhalten während der gesamten Kurse selbst regelte und neben dem Seepferdchen auch gleich das Bronze-Abzeichen absolvierte. Oder das kleine Mädchen mit Beeinträchtigung, welches im Rahmen der Kurse zum ersten Mal vom Einmeterbrett sprang und das gesamte Schwimmbad an ihrer Freude und Begeisterung teilnehmen liest. Frau Hexamer erzählte noch von zahlreichen weiteren emotionalen Geschichten, die mich persönlich sehr rührten. Letztendlich sind alle Kinder über sich hinausgewachsen und konnten etwas für ihre Zukunft mitnehmen. 

Integrationsangebote- und Projekte wie die vom Familienzentrum Perl-Mettlach und dem SV Malstatt-Burbach, tragen erheblich dazu bei, die Integration und Chancengleichheit von Kindern zu fördern und den Zusammenhalt in der Gesellschaft zu stärken. Doch die aktuelle Lage macht es aufgrund der in Schwimmbädern kaum einzuhaltenden Hygienemaßnahmen derzeit nicht möglich, solche Maßnahmen umzusetzen. Dies ist besonders für jene Kinder ein Problem, welche sich vor dem Lockdown auf dem besten Weg befanden, schwimmen zu lernen. Die große „Lockdown-Pause“ warf diese Kinder auch in Bezug auf die Wassergewöhnung wieder extrem zurück – welche mit steigendem Alter ohnehin komplizierter wird. 


Solange in Bezug auf Corona keine Veränderungen absehbar sind, sitzen die Akteure auf dem Trockenen und „Integration im Becken“ kann trotz des hohen Bedarfs leider nicht stattfinden. Natürlich sind auch wir von „Integration durch Sport“ uns der Notwendigkeit der aktuellen Hygienemaßnahmen bewusst. Dennoch hoffen auch wir sehr darauf, dass sich die Lage bald wieder soweit entspannt, dass engagierte Menschen wie Bärbel Knobe, Anja Hexamer und ihre Kollegen die großartige Arbeit, die sie leisten, zumindest im kleinen Umfang fortsetzten können.  
 

Text: Annabell Schäfer


  • Foto: SV Malstatt-Burbach 1984 e.V.
Schwimmkurse des SV Malstatt-Burbach, wie sie vor Corona stattfanden.
    Foto: SV Malstatt-Burbach 1984 e.V. Schwimmkurse des SV Malstatt-Burbach, wie sie vor Corona stattfanden.
  • Foto: Familienzentrum Perl-Mettlach
Die engagierten Mitarbeiter des Familienzentrums Perl-Mettlach mit den Kindern, die an den Schwimmkursen im Raum Merzig-Wadern teilnahmen (Rechts im Bild: Anja Hexamer).
    Foto: Familienzentrum Perl-Mettlach Die engagierten Mitarbeiter des Familienzentrums Perl-Mettlach mit den Kindern, die an den Schwimmkursen im Raum Merzig-Wadern teilnahmen (Rechts im Bild: Anja Hexamer).