"Mauern überwinden und Brücken bauen" - Interview mit Sportlotsin vom TuS Huchting

Aslinur Kücük (25) ist in Deutschland geboren und aufgewachsen. Ein Kind von „Gastarbeitern“ und überzeugte Trägerin eines Kopftuchs zu sein hat ihre Biografie in Deutschland geprägt. Heute kämpft sie im Stadtteil Huchting dafür, dass Frauen ein selbstbestimmtes und angstfreies Leben führen können. Sie versucht Frauen für den Sport zu begeistern und im Verein die Möglichkeit herzustellen sich ungeachtet geschlechtlicher Konventionen zu entfalten. Als gelernte Gesundheits- und Gewaltpräventionstrainerin ist sie im Bürger- und Sozialzentrum aktiv und als Sportlotsin des Programms „Integration durch Sport“ beim Turn- und Sportverein Huchting e.V. (TuS Huchting) unterwegs. Zur Bremer und Bremerhavener Integrationswoche sprachen wir über ihr Engagement im Sportverein, den Stadtteil Huchting und persönliche Erfahrungen in puncto Ausgrenzung.

Aslinur Kücük ist Sportlotsin beim TuS Huchting
Aslinur Kücük ist Sportlotsin beim TuS Huchting

Hallo Aslinur. Schön, dass wir es, im Zuge der Bremer und Bremerhavener Integrationswoche, schaffen zusammenzukommen. Könntest du erzählen, wer du bist und was du so machst?
Klar. Ich bin Aslinur Kücük, 25 Jahre alt und seit Mitte diesen Jahres Sportlotsin beim TuS Huchting. Als Sportlotsin mache ich eigentlich vieles. Ich helfe Menschen, die noch nicht so gut deutsch sprechen, den Zugang zum Verein zu erleichtern. Ich unterstütze bei formellen Dingen, wie zum Beispiel Anmeldungen, Anträgen oder Regeln. Ich bin auch viel in Sportgruppen oder im Kraftwerk, unserem Fitnesscenter, unterwegs und versuche bei Problemen zu vermitteln, helfende Hand zu sein und den Austausch im Verein voranzubringen. Natürlich versuche ich auch im Stadtteil neue Leute für den Sport zu begeistern und für den Sportverein zu werben. Wir haben zum Beispiel zum Ausklang der Integrationswoche den Kinder Turn- und Tanzsonntag, bei dem ich dieses Jahr das erste Mal mit dabei bin. Da werden Abteilungen vorgestellt, Bewegungslandschaften gebaut, Kinderschminken angeboten und vieles mehr. Das ist echt cool für die Kinder im Stadtteil und die freuen sich auch schon drauf.

Wie bist du eigentlich dazu gekommen, dich im Sportverein zu engagieren?
Ich habe, als ich noch im Grundschulalter war, Fußball beim FC Huchting gespielt. Leider wurde ich dann verletzt, musste ins Krankenhaus und bin längerfristig ausgefallen. Darüber habe ich dann die Lust am Spielen verloren und habe ein paar Jahre lang nichts gemacht. Dann habe ich beim TuS mit Basketball angefangen, war eine Zeit lang Schwimmen und habe immer verschiedene Sachen ausprobiert. Es war aber noch nicht so richtig das dabei, was ich wollte. Mit 17 Jahren habe ich dann mit Fitness im Verein angefangen und dann war es das für mich. Das soziale Engagement im Sport fand ich aber schon immer super und wollte mich auch gern irgendwo einbringen. Das habe ich dann über auch gemacht, allerdings anfänglich nur über den Jugendbeirat Huchting. Begonnen habe ich dort vor zehn Jahren, aber engagiert habe ich mich eigentlich schon immer, zum Beispiel mit Übersetzungen in der Moschee oder im Bürger- und Sozialzentrum. In diesem Jahr dachte ich mir aber: Da fehlt irgendwas. Ich hätte gern mal eine feste Tätigkeit für irgendwen und nicht so ein „mal hier, mal da“. Heike (Anm. d. Red.: Heike Kretschmann, Geschäftsleitung des Stützpunktvereins TuS Huchting) kam dann irgendwie sehr passend auf mich zu und hat mir vom Sportlots:innen-Projekt erzählt und mich gefragt, ob ich nicht Lust hätte, das für den TuS Huchting zu machen. Wir waren uns da sehr schnell einig, dass das sehr gut passt mit allem, was ich bisher schon Stadtteil gemacht habe und Lust war auf jeden Fall da.

Du sagst ja, dass du viel im Stadtteil unterwegs bist, wie kommt es denn dazu, also was machst du so?
Also ich bin gelernte Gewaltpräventions- und Gesundheitsmediatorin. Ich gebe Seminare und berate in diesen Bereichen. Die Menschen mit denen ich arbeite sind mehrheitlich Migrantinnen, was aber auch die Idee der Tätigkeit ist. „MiMi“ heißt das Konzept: Gewaltprävention mit Migranten für Migranten. Der Ansatz bezieht da Sprachbarrieren und das Vertrauensverhältnis mit ein. Ich arbeite hauptsächlich mit Frauen, die an Gewalt gelitten haben, noch leiden oder Angst vor bedrohlichen Zuständen wie Flucht haben und so weiter. Wir erklären aber auch Dinge aus dem Gesundheitsbereich, wie zum Beispiel das Gesundheitssystem, den Impfschutz, Schwangerschaftsfragen oder das Stillen. Mein Kernthema ist aber eher Gewaltprävention, ich kämpfe gegen Gewalt gegen Frauen, Kinder und auch in der Familie – da bin ich völlig da.
Es sind ja auch viele Frauen, die darüber überhaupt nicht reden. Wir wünschen uns natürlich, dass sie sich das trauen und möchten sie bei dem Prozess unterstützen, Ansprechpartner sein und bei Problemen, bei denen wir nicht helfen können auch weitervermitteln. Wir wollen, dass sie wissen, dass es in Deutschland und im Stadtteil bei Problemen Möglichkeiten und Institutionen gibt, über die man Hilfe findet und mit Mythen aufräumen, wie dass man dafür zahlen müsste. Wir wollen eine Brücke sein zwischen den Menschen und verschiedenen Institutionen und gut im Stadtteil vernetzt sein. Das lässt sich natürlich auch perfekt mit dem Sportverein und allem, was der Sport leisten kann, verbinden.

Momentan haben wir ja die Bremer und Bremerhavener Integrationswoche. Ein Thema war ja auch der Begriff Migrationshintergrund. Was hast du denn für Erfahrungen damit?
Ja, damit habe ich jede Menge Erfahrung. Ich bin erst 2019 eingebürgert worden, also relativ frisch deutsche Staatsbürgerin, obwohl ich hier geboren, aufgewachsen, zur Schule gegangen bin und so weiter. Ich habe tatsächlich vieles erleiden müssen aufgrund meiner Herkunft und vor allem wegen der Tatsache, dass ich ein Kopftuch trage. Ich musste mir fast alles selbst aneignen, erarbeiten, kämpfen und zeigen, dass ich etwas in der Birne habe. Ich hatte immer das Problem, dass ich als Frau mit Migrationshintergrund erst einmal beweisen musste, dass ich etwas kann. Meine Eltern kommen aus der Türkei, ich bin aus einer Familie, die vielleicht kein gutes deutsch spricht. Ich bin aus einer Gastarbeiterfamilie und versuche und mache und tue, aber habe in meinem Leben enorm viele Absagen bekommen, viele auch aufgrund meines Kopftuchs. Ich habe mein Abitur nicht durchgezogen, weil ich einfach keine Lust mehr hatte von Blicken ständig durchlöchert zu werden, als wär ich jemand anders und nicht dazu zu gehören. Ich dachte einfach, ich bin hier fremd, obwohl ich hier geboren bin. Ich war sogar am überlegen, ob ich in die Türkei gehe und nicht mehr wiederkomme. Aber dann dachte ich mir irgendwann: Nein, hier ist ja meine Heimat. Aber dass man sich hier fremd fühlt und unerwünscht, das Gefühl ist echt heftig. Ich hatte zum Beispiel eine Frau, bei der ich mich auf einen Praktikumsplatz im Kindergarten beworben habe. Sie meinte zu mir, dass ich das Tuch auf meinem Kopf dann aber bei der Arbeit ablegen müsste. Ich habe dann gefragt warum ich es abnehmen soll und dass das Tuch doch zu mir gehört. Ihre Antwort war, das ginge nicht, weil die Kinder das nicht wollen.

Im Krankenhaus wollte ich mich dann als medizinische Fachangestellte bewerben und es war genau dasselbe in grün. Letztes Jahr habe ich mich auf eine Logopädie-Ausbildung beworben: Absage. In diesem Jahr dachte ich mir, probiere ich es einfach nochmal und es gab wieder eine Absage bei der sie dann offen und ehrlich gesagt haben, dass sie mich aufgrund meines Kopftuches leider nicht einstellen können. Das war schon heftig, weil ich mir dachte: Dieses Kopftuch gehört doch zu mir, niemand zwingt mich dazu. Warum werde ich so nicht akzeptiert, warum ist das ein Problem für die Menschen?

Ich hatte dann auch teilweise keine Lust mehr, mich irgendwo zu bewerben und irgendetwas anzufangen. Ich habe immer wieder etwas Neues probiert und dasselbe erlebt und dachte mir dann: Okay, dann machst du halt gar nichts, dann ist es anscheinend das, was sie wollen, nämlich dass eine Frau nichts erreicht im Leben. Das wollte ich nach einer Denkpause dann aber natürlich auch nicht. Ich finde, eine Frau muss auf eigenen Beinen stehen können in ihrem Leben, egal, wo sie herkommt.

Deshalb habe ich mir geschworen: Egal, was ich mache, ich möchte zeigen, dass auch eine muslimische Frau und eine Frau mit Kopftuch es schaffen kann, auch in höheren Positionen. Das ist mein Ziel.

Es ist schön, dass du so viel Kraft aufbringst, dieses Stigma zu überwinden und dass du diese Ziele, die du dir ja aus deiner Biografie heraus gesteckt hast, auch mit in den Sport bringst und dort helfen möchtest. Wie sind denn dort so deine Erfahrungen?
Im TuS Huchting hatte ich bisher gar keine Probleme, überhaupt nicht. Auch früher in der Schulzeit. Ich bin eigentlich hier, weil ich mir denke: Auch wir Frauen können uns trauen auch in der Boxzeile zu Boxen, uns unter Hanteln zu legen oder Fußball zu spielen. Wir müssen uns einfach trauen als Frauen etwas in die Hand zu nehmen. Die Angst ist groß, weil viele sich Sorgen machen, dass irgendetwas passiert und weil sie denken, dass irgendjemand über sie redet. Es ist immer dieses: Was denkt der andere über mich. „Was denkt der andere über mich“ ist eine große Mauer im Kopf, aber die Mauer muss manchmal weg, dann hätten wir ein sehr schönes Leben.

Wenn du eine Sache an deinem Verein benennen müsstest, die dir am besten gefällt, was wäre das?
Oh, das habe ich schon mal beantwortet: Das Familiäre. Außerdem haben wir hier keine richtigen Hierarchien, wir sind alle gleich. Es gibt keinen Chef oder so, jeder ist etwas wert bei uns. Man fühlt sich wohl, man ist gerne da und man fühlt sich einfach wie zu Hause. Ich finde, das ist sehr wichtig, ob an einer Arbeitsstelle oder in einem Sportverein.

Und wie sieht es mit dem Stadtteil aus?
Eigentlich dasselbe, Huchting ist wirklich meins. Ich kann Huchting schwer in Worte fassen, also wenn ich mal durch andere Stadtteile fahre, ich sag‘s dir, ich will wieder nach Hause. (lacht) Ich fühl mich nirgendwo so wohl wie in Huchting. Ich bin hier aufgewachsen, jeder kennt jeden, wir kennen uns alle von jung bis alt, von klein bis groß und wenn mal irgendetwas ist – Streit, Probleme – man findet immer ein offenes Ohr. Es gibt Hilfe im Stadtteil, der Stadtteil ist offen und nicht verklemmt, keiner guckt dich doof an und ich glaube, das ist woanders schwer zu finden. Huchting und TuS ist wie eine Familie, das ist schwer zu beschreiben, das musst du erleben.

Das Interview führte Patrick Pavel (Referent im Programm IdS, LSB Bremen)

Das Programm „Integration durch Sport“ wird aus Mitteln des Bundesministeriums des Innern, für Bau und Heimat (BMI) und dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) unterstützt.


  • Aslinur Kücük ist Sportlotsin beim TuS Huchting
    Aslinur Kücük ist Sportlotsin beim TuS Huchting
  • Auch TuS Huchting brachte sich mit KITTS bei der Bremer Integrationswoche ein
    Auch TuS Huchting brachte sich mit KITTS bei der Bremer Integrationswoche ein
  • Aslinur und Patrick Pavel im Gespräch über Zoom
    Aslinur und Patrick Pavel im Gespräch über Zoom