Qualität durch Qualifizierung

„Was ist denn jetzt los?“ fragten sich einige der Teilnehmer zu Beginn der zweitägigen Fortbildung für Übungsleiter, Trainer und Kooperationspartner der Stützpunktvereine im Programm „Integration durch Sport“ der Sportjugend Hessen.

Teilnehmer bei "Sport Interkulturell" in Theorie und Praxis (Quelle: SJH)
Teilnehmer bei "Sport Interkulturell" in Theorie und Praxis (Quelle: SJH)

 

Nicht wie sonst, freundlich begrüßt und eingeladen einen Platz im Stuhlkreis einzunehmen, erwartete die Teilnehmer zu Beginn der Veranstaltung im Februar, sondern sprichwörtliches Chaos: zu wenige Stühle, völlig ungeordnet im Raum verteilt, manche davon umgeworfen und keinerlei Begrüßung von Seiten der für die Fortbildung verantwortlichen Regionalkoordinatoren aus Mittel- und Nordhessen, Brigitte Hermann und Peter Schreiber.

Irritation und Fremdheit

Dieser „chaotische“ Einstieg in die Fortbildung war ganz bewusst gewählt, sollten doch die Teilnehmenden selbst die Situation der Fremdheit, der Irritation, der ungewohnten Situation durch eigenes Erleben erfahren. Erst als einige Teilnehmer begannen, die Stühle zu ordnen, fehlende ergänzten und eine Sitzordnung herstellten, fanden alle einen Platz im Stuhlkreis. Die offizielle Begrüßung durch die beiden Referenten mit Vorstellung der Fortbildungsinhalte für  beide Tage fand dann im Anschluss an die inzwischen aufgekommene rege Diskussion über das Für und Wieder des Eingangsszenarios statt.

Mit dem ungewöhnlichen Seminarbeginn wurden die Anwesenden bestens auf „Sport Interkulturell“ eingestimmt. Die Fortbildung gibt Anregungen und Impulse für die Integrationsarbeit und vermittelt zusätzliche Handlungsmöglichkeiten für das interkulturelle Zusammenleben im Sportverein. Durch eigenes Erleben werden die Teilnehmenden dazu gebracht, sich ihr Handeln in der sportpraktischen Arbeit mit Menschen unterschiedlicher kultureller Herkunft genauer anzuschauen, sich selbst im Umgang mit dem Thema Integration zu reflektieren und zu sensibilisieren, um die eigenen Handlungskompetenzen im Umgang mit Menschen unterschiedlicher kultureller Herkunft zu erweitern.

Einstieg und Ausgangspunkt sind die Erfahrungen der Teilnehmenden, die eigene Erlebnisse, Situationen, Konflikte und Fragen in die Fortbildung einbringen – als Übungsleiter, als ehrenamtliche Funktionsträger oder als Kooperationspartner in der Praxis vor Ort. Anhand von Modellen und Übungen wurden im zweitägigen Verlauf die fünf Spielfelder von „Sport Interkulturell“: Gefühle – Irritationen – Fremdheit  /  Herkunft – Ressourcen / Werte – Konflikte / kulturelle Vielfalt im Sport  / Wahrnehmung – Kommunikation durch verschiedene Methoden bearbeitet und in Bezug zur jeweiligen Praxis gebracht.

Bereichert wurde die Fortbildung durch die Heterogenität der Teilnehmer aus Mittel- und Nordhessen. Sie unterschieden sich nicht nur in Alter, Geschlecht und Tätigkeit im Sport, sondern auch durch ihre unterschiedlichsten kulturellen Hintergründe sowie ihre verschiedenen interkulturellen Erfahrungen im Sport.

Methodenvielfalt als Qualitätsmerkmal

Nach verschiedenen Kennenlernspielen und soziometrischen Übungen zur Herkunft der Teilnehmer wurden schnell erste Unterschiede aber auch viele Gemeinsamkeiten untereinander deutlich. Zugleich wurde eine Willkommensstruktur geschaffen,  in der alle Teilnehmenden auch schwierige ausländische Namen richtig aussprechen lernten.

In einer folgenden Übung  beschäftigten sich die Teilnehmer in Kleingruppen ausführlich mit ihrer eigenen Biographie. In der kulturell gemischten Gruppe von Migranten, Aussiedlern und Einheimischen wurden Prägungen durch Herkunft, Familie, Kultur und sozialem Umfeld ebenso wie die vielfältigen Erfahrungen und Sichtweisen der einzelnen Teilnehmerinnen und Teilnehmer verdeutlicht. Ziel  war es, mehr von Leben und Herkunft der Fortbildungsteilnehmer zu erfahren, sich der eigenen kulturellen Wurzeln und persönlichen Selbstverständlichkeiten bewusst zu werden und Gemeinsamkeiten und Unterschiede wahrzunehmen.

Der „Blitzlichtball“ und die Fragestellung „Wie war’s?“, „Was brauche ich noch?“ beendete den ersten Fortbildungsabschnitt, der geprägt war durch die verschiedensten Theorieblöcke, wechselnde Kleingruppenarbeit, aufgelockert durch eine Vielzahl von kleinen Spielen im interkulturellen Kontext. Während des zweiten Fortbildungstages im März wurden die Spielfelder „Werte und Konflikte“, „Wahrnehmung und Kommunikation“ sowie „kulturelle Vielfalt im Sport“ bearbeitet.

Was ist eigentlich Kultur?

Die Einladung zu einem gemeinsamen Besuch einer fernen Insel war inhaltlicher Einstieg in den zweiten Seminartag. Hierbei wurde allen sehr anschaulich vor Augen geführt, wie schnell fremde Verhaltensweisen und Gewohnheiten oftmals missverstanden werden, dass jeder Einzelne mit seiner eigenen „kulturellen Brille“ andere Kulturen betrachtet und bewertet, ohne diese zu kennen.

Die Übung sensibilisierte die Teilnehmer dahingehend, immer zu versuchen, durch wertneutrale Beschreibungen anstelle von vorschnellen Interpretationen die Entstehung von Vorurteilen und  Stereotypen in interkulturellen Begegnungen zu vermeiden.

Der theoretische Input, wie Kommunikation vor dem Hintergrund der eigenen kulturellen Brille und der eigenen Wahrnehmung funktioniert, schaffte die Überleitung zur gemeinsamen Erarbeitung des Kulturbegriffes. Bildhaft wurde verdeutlicht, dass der größte Teil unserer Kultur unbewusst ist, dass keinem Menschen, egal welcher Herkunft und Nationalität, angesehen werden kann, wer oder was ihn im Laufe seines bisherigen Lebens geprägt hat. Jeder hat eine eigene kulturelle Identität, bei allen Menschen gibt es Gemeinsamkeiten und Unterschiede. Jeder Mensch hat eine andere kulturelle Prägung.

Informeller Austausch

Mit dem „World Cafe“ wurde dem Wunsch der Teilnehmer und Teilnehmerinnen nach Raum und Zeit für einen intensiven informellen Austausch untereinander entsprochen. An drei verschiedenen Tischen wurden eigene Erfahrungen zu  interkulturellen Fragestellungen „kulturelles Miteinander im Sport“, „Teilnehmergewinnung“ und „Kooperation und Vernetzung“, eingebracht und ausführlich diskutiert.

Spiele im interkulturellen Kontext

Der Nachmittag bot ausreichend Zeit für  sportpraktische, interkulturelle Spiele. Das Angebot zum Mitmachen und Ausprobieren von verschiedenen Interaktions-. Kooperations-, und Vertrauensspielen wurde ergänzt durch Rangel- und Raufspiele, die gerade bei Kindern und  Jugendlichen „der Renner“ sind. Hierbei kamen die Akteure  miteinander „ins Geschäft“, Vertrauen wurde aufgebaut und Kooperation und Teamgeist jenseits aller Zugehörigkeit wurden erprobt. Die Mitwirkenden ergänzten das Angebot der beiden Referenten mit verschiedenen, ihnen geläufigen Spielen und Bewegungsformen, wobei der Spaßfaktor nie zu kurz kam.

Mit einer abschließenden gemeinsamen Auswertung endete eine für viele aufschlussreiche, eigene Verhaltensmuster reflektierende zweitägige Fortbildung. Am „Baum der Erkenntnis“ wurden Erwartungen zum Ausdruck gebracht, wie neu hinzugewonnene Erkenntnisse und Impulse auf  tägliche, interkulturelle Begegnungen und auf die Vereinsarbeit übertragen werden können.

Qualitätsbaustein im Sport

Das Programm „Integration durch Sport“ der Sportjugend Hessen setzt mit dieser Fortbildung in Mittelhessen einen weiteren Akzent für die aktuelle sowie zukünftige Arbeit mit Menschen mit Migrationshintergrund in Sportvereinen vor Ort.

„Sport Interkulturell“ verknüpft theoretische Hintergründe mit praktischen Übungen und ermöglicht Teilnehmern die oft überraschende Reflexion ihres eigenen Verhaltens. So unterstützt es die tägliche Arbeit ganz unterschiedlicher Teilnehmergruppen. Übungsleiter und Trainer profitieren von der Fortbildung ebenso wie die haupt- und ehrenamtlichen Mitarbeiter von Vereinen, Verbänden und Kooperationspartnern. Die vielen positiven Rückmeldungen auf die Fortbildung bestätigen die Verantwortlichen, weitere folgen zu lassen.

Sensibilisierung für die Bedarfe beider Seiten (dies gilt für Einheimische ebenso wie für Migranten) ist angesagt – mit dem Basiswissen aus „Sport Interkulturell“ kann dies gelingen.


  • Teilnehmer bei "Sport Interkulturell" in Theorie und Praxis (Quelle: SJH)
    Teilnehmer bei "Sport Interkulturell" in Theorie und Praxis (Quelle: SJH)