Serie 30 Jahre „Integration durch Sport“ in Sachsen: Wie alles begann – das Projekt „Sport für alle – Sport mit Aussiedlern“

Im Oktober 2021 jährt sich das 30. Jubiläum des Programms „Integration durch Sport“ am Landessportbund Sachsen. Eine perfekte Gelegenheit, einmal auf die Anfangstage zurückzublicken. 1991 war der Startschuss des Projektes „Sport für alle – Sport mit Aussiedlern“ in Sachsen.

Foto: Archiv Integration durch Sport Sachsen
Foto: Archiv Integration durch Sport Sachsen

1989 war die Zeit großer Umbrüche: Das betraf die Welt (Ende des Kalten Krieges) genauso wie Deutschland (Fall der Mauer). Zugleich war das Jahr Auftakt für das Bundesprogramm „Integration durch Sport“, das vor dem Hintergrund dieser politischen und gesellschaftlichen Veränderungen vom damaligen Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble und dem Präsidenten des Deutschen Sportbundes (DSB), Hans Hansen, aus der Taufe gehoben wurde, damals noch unter dem Namen „Sport für alle – Sport für Aussiedler“.

Der Start des Projektes „Sport für alle – Sport mit Aussiedlern“ in Sachsen erfolgte im Oktober 1991 auf Initiative des LSB-Präsidenten Andreas Decker. Das gesellschaftliche Klima im Bereich Migration ist zu diesem Zeitpunkt bereits extrem angespannt, erst im September 1991 erfolgten beispielsweise die Angriffe auf die Arbeiterwohnheime und Flüchtlingsunterkünfte in Hoyerswerda. Die Gewalt gegen Ausländer in Deutschland eskaliert in den darauffolgenden Jahren. Das Projekt „Sport für alle – Sport mit Aussiedlern“ sollte zu einer besseren Integration und Kommunikation beitragen und wurde zentral vom DSB aus koordiniert.

Beim Landessportbund Sachsen wird das Projekt zunächst mit zwei Planstellen besetzt – Bernd Winterstein als Landeskoordinator und Thomas Jurich als Regionalkoordinator, etwas später kam Dr. Dietmar Claus als zweiter Regionalkoordinator dazu. Die Kollegen waren in den drei Regierungsbezirken Leipzig, Chemnitz und Dresden tätig.

Das Projekt musste zunächst aufgebaut werden. Die Konzeption und erste Erfahrungswerte stammten aus den Modellprojekten, die ab 1989 in einigen westdeutschen Bundesländern gesammelt wurden. So war es wichtig, Partner vor Ort zu finden. Dazu wurden Starthelfer und Stützpunktvereine gewonnen. Deren Aufgabe war es, Sportangebote und Veranstaltungen zu organisieren sowie Zusammenarbeit mit den Trägern der Aussiedlerwohnheime und anderen Partnern aufzubauen.

Das Konzept der Projektarbeit stützte sich auf aufsuchende Sozialarbeit. Dazu wurden sehr regelmäßig Besuche in den Aufnahmeeinrichtungen durchgeführt. Durch regelmäßig stattfindende Sportangebote sollten die Aussiedler*innen und Spätaussiedler*innen (im Folgenden "Aussiedler*innen" genannt) auf den organisierten Sport aufmerksam gemacht werden. Stützpunktvereine und Starthelfer als erste Ansprechpersonen bildeten dabei eine wichtige Brücke zu den Sportstrukturen in Deutschland. Zu diesem Zeitpunkt waren die eingewanderten Aussiedler durch das Wohnortzuweisungsgesetz an ihren zugewiesenen Wohnsitz gebunden und durften nicht umziehen. Die war eine fundamentale Einschränkung in die Bewegungsfreiheit der Aussiedler*innen, ermöglichte auf der anderen Seite eine kontinuierliche Integrationsarbeit in der Region. 

Zum Zweck der aufsuchenden Arbeit wurde im April 1992 das erste Sportmobil angeschafft, 1993 folgte das zweite Sportmobil. Diese waren seitdem stetig unterwegs, um vor allem Kindern und Jugendlichen Abwechslung im Alltag zu verschaffen. Inhalt waren unter anderem eine Hüpfburg und sportliche Kleingeräte wie Fahrräder, Stelzen, Pedalos, Seile etc. um die Aussiedler*innen auf den organisierten Sport aufmerksam zu machen.

Die Sportmobile entwickelten sich schnell zu einer festen Größe in den Unterkünften. Nicht nur die Landesaufnahmestelle Bärenstein wurde regelmäßig von den Sportmobilen aufgesucht, sondern auch die Übergangswohnheime in ganz Sachsen (z.B. Leipzig, Kitzscher, Langenreichenbach, Flöha, Rothenburg etc.). Im ersten Projektjahr wurden in 77 Sportfeste und Ferien-vor-Ort-Angebote durchgeführt.

1992 starteten auch die ersten Stützpunktvereine ihre Arbeit: TUS Weinböhla, SV LOK Nossen, SV Groß-Düben, SG Blau-Weiß Reichenbach, SV Kirschau, Schachfreunde Bischofswerda und der TSV Kitzscher.

Im Jahr 1994 übernahm Martina Spindler die Projektleitung. Dieses hatte sich mittlerweile sehr gut in der Sportlandschaft etabliert und war gut in den Regionen vernetzt. Die Stützpunktvereine und ihre Starthelfer stellten vor Ort Kontakte und Netzwerkstrukturen her und führten offene Veranstaltungen durch. Unterstützt wurden Sie bei auch von den Kreisportbünden.

Im Jahr 1995 erlitt das Projekt einen ersten Tiefpunkt. Die Fördermittel des Bundes wurden drastisch gekürzt, woraufhin die Projekt- sowie Regionalkoordinatoren kurzzeitig ihre Arbeit einstellen mussten. Nach einer Prüfung und Anpassungen konnte die Integrationsarbeit unter geänderten Bedingungen durchgeführt werden, u.a. waren die Mitarbeitenden nun nicht mehr beim Deutschen Sportbund (DSB) angestellt, sondern direkt beim LSB.     

1996 erfolgte die strukturelle Einbindung des Projektes in die Sportjugend Sachsen. Dadurch entstanden wertvolle Synergien mit den anderen mobilen Angeboten wie Streetball und brachte verstärkt die jüngeren Altersgruppen in den Projektfokus. Auf Basis dieser Erfahrungen entstanden später verschiedene Sport- und Spieletouren, die zu den erfolgreichsten Maßnahmen des Projektes gehörten.

Gleich im darauffolgenden Jahr 1997 wurde die Sportjugend Sachsen mit der Silberplakette im Bundeswettbewerb „Vorbildliche Integration von Aussiedlern in der BRD“ ausgezeichnet. Auch sechs sächsische Stützpunktvereine erhielten eine Aufzeichnung in Form einer Bronzeplakette. Diese Auszeichnungen stellen eine außerordentliche Wertschätzung der bisherigen Integrationsarbeit in Sachsen dar.

1997 wird das Projekt strukturell durch die Erarbeitung einer bundesweiten Arbeitsrichtlinie weiter gefestigt. Darin werden die bisherigen Erfahrungen der einzelnen Landeskoordinationen einbezogen. Die Bundesrichtlinie bedeutete einen großen Fortschritt in der Vereinheitlichung und Verstetigung des Bundesprojektes.

Zu diesem Zeitpunkt waren Aussiedler*innen nach wie vor an ihren zugewiesenen Wohnort gebunden, was die kontinuierliche Arbeit vor allem für die beteiligten Sportvereine erleichterte. Das entsprechende Wohnortzuweisungsgesetz galt bis Ende 2009. Allerdings hat sich seitdem die durchschnittliche Aufenthaltsdauer in den Übergangswohnheimen deutlich verkürzt. Das bedeutete, dass für die Projektarbeit neue Zugänge zu den Menschen gesucht werden mussten.

Die Zusammenarbeit mit Partnern wurde immer wichtiger. Schulen entwickelten sich zu wichtigen Anlaufpunkten, um die Kinder und Jugendlichen und bestenfalls auch die Eltern zu erreichen. Neue Angebote wurden geschaffen, in die auch Schulen einbezogen werden konnten, z. B. Ferienfreizeiten, Turniere und Spiel- und Sporttouren.

Dazu gehörten unter anderem Streetball-, Volleyball-, Floorball- und Fußballturniere in ganz Sachsen, die anfangs von den Projektmitarbeitern organisiert wurden und in späteren Jahren an Stützpunktvereine als Ausrichter vergeben wurden.

Sehr erfolgreich war die Sport-Spiel-Spaß - Tour, eine Veranstaltungsserie mit anspruchsvollen Staffelspielen für Mannschaften im Grundschulalter, die ab 1999/2000 landesweit durchgeführt wurde. Später wurde diese Tour mit Elementen interkulturellen Lernens aufgewertet und unter dem Titel „Mit der Sportjugend um die Welt“ fortgeführt, teilweise zusätzlich mit Mannschaften im Mittelschulalter.

Zu dieser Zeit erfolgte auch die Anschaffung eines Inline-Anhängers mit ca. 80 Inlinern und Schutzausrüstung als Reaktion auf Entwicklungen im Trendsport.

2001 feiert das bundesweite Projekt „Sport für alle – Sport mit Aussiedlern“ sein 10-jähriges Jubiläum. Dazu fand in Hannover eine bundesweite Fachtagung zur gesellschaftlichen Integration statt, in der die sächsische Landeskoordination auch einen Workshop leitet. In diesem Zeitraum beginnt eine erneute wissenschaftliche Evaluation des Projektes. Infolge dieser wird aus dem Projekt „Sport für alle - Sport mit Aussiedlern“ das Programm „Integration durch Sport“. Die Zielgruppe wird deutlich erweitert: Neben Aussiedler*innen werden Menschen mit Migrationshintergrund und sozial benachteiligte einheimische Jugendliche und Erwachsene als Zielgruppe benannt. Die Arbeit mit Asylbewerbern ohne gesicherte Aufenthaltsperspektive ist weiterhin von einer Förderung ausgeschlossen. Die Öffnung für diese Zielgruppe erfolgt im Jahr 2015.

2001 schließt auch die Landesaufnahmestelle für Aussiedler*innen in Bärenstein. Dieses Jahr markiert damit für das Projekt einen grundlegenden Richtungswechsel. In den Folgejahren werden immer mehr Wohnheime geschlossen, die Menschen mit Migrationshintergrund werden dezentral untergebracht und sind damit nicht mehr zentral erreichbar.

Das neue benannte Projekt „Integration durch Sport“ schließt sich direkt an die Erfahrungen aus den ersten zehn Projektjahren an und entwickelt diese weiter. Auch die kommenden 20 Jahre bringen Höhen und Tiefen, aber eines hat sich in den 30 Jahren nicht verändert: die Leidenschaft der Sportvereine für soziale Belange aller Bevölkerungsgruppen.

 

Ausblick: In Teil 2 geht’s weiter mit - Aus „Sport für alle – Sport mit Aussiedlern“ wird „Integration durch Sport“)


  • Foto: Archiv Integration durch Sport Sachsen
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