Aus dem Taunus nach Tokyo

Karatekämpfer Wael Shueb möchte als Mitglied des IOC-Flüchtlingsteams an den Olympischen Spielen 2020 in Japan teilnehmen.

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Wael Shueb (30) hat ein Ziel, ein Ziel, das ihm den Besuch eines japanischen Fernsehteams beschert hat: In zwei Jahren möchte der aus Syrien stammende Karatekämpfer an den Olympischen Sommerspielen in Tokio teilnehmen. Dort wird der einst zum Kader des syrischen Nationalteams gehörende Athlet für das Olympia-Flüchtlingsteam antreten. Das Gespräch findet in der Halle des Sportzentrum Eppertshausen statt: Auf einer Trainingsmatte hockend beantwortet er konzentriert im fließenden Deutsch die Fragen der Dolmetscherin.

Etwas abseits steht Professor Dr. Ernes Erko Kalac. Der ursprünglich aus Montenegro stammende Sportwissenschaftler und Karateka war 1998 selbst als Kriegsflüchtling nach Deutschland gekommen. Zwischenzeitlich war er als Integrationsbotschafter des Deutschen Olympischen Sportbunds aktiv und ist zudem Gründer und Vorsitzender des Gesundheits- und Kampfsportvereins Lotus Eppertshausen. Der Verein ist in den letzten drei Jahren auch zu Wael Shuebs sportlicher Heimat geworden. Die erste Begegnung zwischen den beiden fand beim von der Sportjugend Hessen mitorganisierten 6. Hessischen Integrationsfestival Anfang September 2015 in Neu-Anspach im Hochtaunus statt.

Im Ort war Wael Shueb in einem Flüchtlingshaus untergebracht: „Ich verstand damals überhaupt nichts“, erzählt er nach dem Fernsehinterview in bestem Deutsch. Hinzu kam, dass er ohne Sprachkenntnisse weitgehend zur Untätigkeit und zum Herumsitzen verurteilt war. Schnell wurde ihm klar, dass sich das ändern musste. Abhilfe gab es unter anderem von Monique, einer gebürtigen Französin, die in Neu-Anspach ehrenamtlich Deutsch-Unterricht für Flüchtlinge gab. Zusammen mit seiner Betreuerin gab sie ihm den Tipp, zum Integrationsfestival zu gehen und sich dort Professor Kalac vorzustellen. Da er kein Deutsch konnte, bat ihn Kalac auf Japanisch zwei, drei Karate-Grundhaltungen einzunehmen. „Wir verstehen uns“, lautete wenige Minuten später das zufriedene Urteil. Es folgte eine Einladung nach Eppertshausen. Eine Woche lang schaute sich der junge Athlet die Gegebenheiten vor Ort an. Dann folgte die Zeit der Pendelei: Zweimal in der Woche ging es zum Training nach Eppertshausen.

„Denn Sport ist ein Integrationsmeister“, ist Ernes Erko Kalac überzeugt. Für Wael Shueb bringt das einen durchgetakteten Alltag mit sich, in dem das eigene Training quasi nahtlos in die Ausbildung als angehender Sport- und Fitnesskaufmann übergeht, bevor er am Ende des Tages noch den Vereinsnachwuchs trainiert. „Die Kinder lieben ihn“, weiß Kalac. Zu den Schülern gehört auch Larissa (11). Sie ist Trägerin des braunen Gürtels und demonstriert zusammen mit Wael Shueb einige Übungen für die Kamera. „Er ist ein toller Lehrer“, ergänzt sie noch mit einem strahlenden Lächeln.

Hilfreich bei der Bewältigung des doch arbeitsintensiven Alltags sind die kurzen Distanzen: Von seiner neuen Wohnung in Eppertshausen aus erreicht er in wenigen Minuten sowohl seinen Arbeitsplatz als auch die Trainingsstätten. „Wir helfen ihm, wieder an sein altes sportliches Niveau anzuknüpfen“, erklärt Kalac. Bis zu den Olympischen Spielen erwartet den Athleten aber noch ein anspruchsvolles Programm. Bei der Arbeit im Fitnessstudio kümmert er sich um die Kundenbetreuung, erstellt Fitnesspläne und auch Verträge.

Wie aber ist Wael Shueb eigentlich zum Karate gekommen? „Mit 12, 13 hatte ich meinen Vater gesagt, dass ich so wie Jackie Chan oder Bruce Lee kämpfen möchte“, erinnert sich der Athlet. Zuerst wiegelte sei Vater ab: „Karatekämpfer gehen in den Spagat und da tust Du Dir nur weh“, lautete seine Antwort. Also trainierte er so lange, bis er den Spagat beherrschte und ging dann noch einmal zu seinem Vater. Hatten die Übungen nicht weh getan? „Wenn man jung ist, sind die Gelenke und Bänder noch flexibler“, lautet die Antwort. Es folgte eine Ausbildung in einem Dojo, die ihn dann schließlich bis in den Kader der syrischen Nationalmannschaft führte. Mit dem Bürgerkrieg folgte die Flucht in die Türkei. Dort wurden die Geflüchteten aber zum Teil erbarmungslos ausgenutzt. So kam es zur Flucht in einem Boot nach Griechenland und schließlich zum langen Weg über die Balkanroute nach Deutschland. Eine Reise, die sich als traumatisch herausstellte: So wurde er unterwegs zusammengeschlagen und brach sich das Jochbein. Der Sport half ihm zusammen mit der Lotus-Vereinsfamilie dabei, diese Traumata zu verarbeiten.

Auch ein weiteres Problem bekommt er zunehmend in den Griff: die am Anfang schlechten Schulnoten. Obwohl er nach drei Jahren fließend Deutsch spricht, verkrampfte er im Unterricht. Hinzu kam der Zeitmangel, so dass es erst Sechsen hagelte, inzwischen sind die Wochenenden aber fürs Lernen reserviert und der Notendurchschnitt ist noch im ersten Lehrjahr auf ausreichend und befriedigend geklettert. Was eigentlich eine gute Leistung ist. Eine Feststellung, der er leicht wiederspricht: „Das sagen viele, hätte ich mich aber von Anfang an konzentriert, stünde ich jetzt noch besser da.“ Der Ehrgeiz ist deutlich spürbar und auch die Verantwortung: „Ich möchte zeigen, dass Flüchtlinge erfolgreich sein können und nicht nur auf Hilfe angewiesen sind.“


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