Bahiya zeigt wie`s geht

Vom Sportkurs zum freiwilligen Engagement zum Job

 

Foto: iStock Christian Horz
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„Am Anfang habe ich mich nicht getraut und bin mit einer Hand an der Wand gefahren“, lacht die Syrerin Bahiya, als sie von ihren ersten Stunden im Fahrradkurs beim HSV erzählt. Zwei Jahre ist es her, dass die Übungsleiterin Carla Rook sie und andere Frauen in der Wohnunterkunft Albert-Einstein-Ring in Bahrenfeld zu den Fahrradkursen einlud. Es dauerte nicht lange, und Bahiya half der engagierten Carla bei der Durchführung der Kurse und der Betreuung der Frauen. Behördenbriefe, Fragen zum Aufenthalt, Kindererziehung, Verständnisprobleme: Viele Frauen sprechen schlecht Deutsch und finden sich nur schwer zurecht. Die vielfältigen Probleme, die weit über den normalen Sportkurs hinausgehen, wären für Carla nicht mehr allein zu bewältigen gewesen. Umso dankbarer war sie für die Unterstützung durch Bahiya.

Doch dabei sollte es nicht bleiben: Die Arbeit und das Engagement sollten anerkannt werden, auch finanziell. Für eine offizielle Übungsleiterinnentätigkeit benötigte Bahiya jedoch eine Lizenz und so vermittelte Carla sie in die C-Lizenz-Ausbildung in einfacher Sprache beim Hamburger Sportbund. Diese ist speziell auf Zuwander*innen zugeschnitten und wird vom HSB im Rahmen des Programms „Integration durch Sport“ angeboten. Über das Programm werden auch die Fahrradkurse finanziert. Zusammen mit 17 anderen Teilnehmer*innen verschiedenster Nationalitäten startete Bahiya die Ausbildung im März 2020 in den Räumlichkeiten des SV Eidelstedt, Kooperationspartner des HSB bei der Durchführung der C-Lizenz.

„Die Ausbildung haben wir an die teils unsicheren und schnell wechselnden Lebenswelten der Zielgruppe angepasst und auf drei Monate begrenzt. Begonnen haben wir mit einem zweiwöchigen Intensivseminar.“ So die stellvertretende Programmleiterin „Integration durch Sport“ Annika Waldeck und fährt fort: „Innerhalb kurzer Zeit entstand eine tolle Gruppendynamik zwischen den einzelnen Teilnehmer*innen. Die Offenheit und die Bereitschaft, sich gegenseitig bei dem umfangreichen Lernstoff zu unterstützen, waren beeindruckend. Ein Erfolgsgeheimnis war sicherlich, dass viele Referent*innen selbst Migrationshintergrund hatten und/oder interkulturell geschult waren.“ Die Teilnehmer*innen konnten nur die theoretische Prüfung absolvieren, der Praktischen kam Corona dazwischen.

Bahiya konnte das nicht aufhalten, denn an Praxis im Anleiten mangelte es ihr nicht: In Syrien hatte sie Französisch an einer Sekundarschule unterrichtet. Auch der HSV erkannte ihre Kompetenz und seither leitet sie zusammen mit Carla den Kurs Gymnastik & Cycle beim Club mit der Raute. „Wir teilen die Gruppe am Anfang auf. Wer Fahrrad fahren will, fährt Rad, wer Gymnastik machen will, der turnt. Manchmal bringen die Frauen ihre Kinder mit. Wir sind flexibel und machen alles möglich. Lieber mit Kind zum Kurs als gar nicht. Hauptsache raus aus der Unterkunft. Als Teilnehmerin war das für mich am wichtigsten: Die regelmäßigen Treffen, das gemeinsame Picknicken, die Ausflüge. Einmal waren wir sogar bei einem Fußballspiel des St. Pauli!“ Man hört, wie dankbar Bahiya ist, und freut sich umso mehr mit ihr, als sie erzählt, dass sie über die Fahrradkurse und Carla per Zufall eine Mitarbeiterin der Diakonie kennenlernte und prompt eine Teilzeitstelle als Sprachmittlerin angeboten bekam.

„Das alles war nur durch diese Fahrradkurse möglich. Das Fahrradfahren gab mir Selbstvertrauen. In Syrien ist es für eine Frau schwierig, Fahrrad zu fahren, aber hier geht das. Auch alleine zu wohnen geht hier. Seit zwei Jahren lebe ich zusammen mit meiner Schwester in einer WG. Nur Frauen!“ Und schon wieder ertönt das ansteckende Lachen der lebensfrohen Syrerin, und man kann sich dabei richtig vorstellen, wie sie sich fröhlich auf ihren Drahtesel schwingt und um die Ecke saust. Ja wenn… wenn da nicht diese eine Sache wäre: „Aktuell fahre ich nicht mit dem Fahrrad, weil es mir schon zum zweiten Mal geklaut wurde!“ Auch das gehört dazu. Zum Ankommen in einer Gesellschaft. Positive und negative Erfahrungen. Und nirgends ist es nur leicht und schön. Bahiya lässt sich davon nicht unterkriegen. Sie hat Pläne für ihre Zukunft in Deutschland. „Irgendwann möchte ich als Erzieherin arbeiten. Meine Erfahrungen als Lehrerin nutzen. Aber dafür muss ich erstmal den Deutschkurs B2 machen.“ Man kann gar nicht glauben, dass sie erst auf dem B1-Niveau sein soll, denn auch wenn sie selbst es anders sieht, die Wörter und Sätze sprudeln nur so aus ihrem Mund und es macht Spaß ihr zuzuhören. Bahiya, es ist schön, dass du hier bist!


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