Berlin: Vereinsporträt 02/2018 - Boxgirls Berlin e.V.

Es ist ein sonniger Samstagnachmittag in der belebten Bergmannstraße in Kreuzberg, als ich mich mit Linos Bitterling vor dem „Johann-Trollman-Boxcamp“, der Trainingsstätte der Boxgirls Berlin e.V., zum verabredeten Interview treffe.

Unweit des U-Bahnhofs Gneisenaustraße treffen sich Sportler*innen mehrmals wöchentlich, um zusammen verschiedenste Kampfsportarten zu trainieren. Während sich die kleine Hündin Mika zu unseren Füßen zusammenrollt, erhalte ich interessante Einblicke in das Vereinsleben des Boxgirls Berlin e.V.

Was ist der „Boxgirls Berlin e.V.“ und was bietet Ihr an?

Seitdem sich der Verein 2009 von einem anderen etablierten Sportverein in Berlin gelöst hat, schlägt das Projekt große Wellen – auch weit über den Berliner Stadtrand hinaus. Der Verein versteht sich selbst als queer-feministischen Sportverein, der derzeit Trainingsgruppen in den Sportarten Boxen, Muay Thai und Konditionstraining anbietet. Neben derzeit 3 Trainingseinheiten für Mädchen gibt es explizite Frauen*Räume, FLTI* Trainings und gemischtgeschlechtliche Gruppen. Boxgirls Berlin e.V. stärkt Mädchen und Frauen und stellt sich gender-basierter Gewalt und Benachteiligung mit sozialer Arbeit und Sport entgegen. „Unser Anliegen ist es, in diesen immer noch männlich dominierten Sportarten Räume zu schaffen, in denen Mädchen und Frauen, LGBTIQ, aber auch alle anderen interessierten Nicht- Macker sich wohl fühlen.“ Derzeit zählt der Verein knapp 170 Mitglieder. „Wir würden gern viel mehr Angebote machen. Gerade im Bereich Wettkampfförderung für Mädchen bräuchten wir mehr Trainingszeiten, um dies zufriedenstellend zu realisieren. Wie vielen anderen Vereinen auch, fehlt es aber auch hier an Trainingsflächen und Sporthallen“. Die Boxgirls teilen sich das Johann-Trollmann-Boxcamp derzeit mit zwei anderen Kampfsportvereinen. Jede Trainingszeit ist dementsprechend hart umkämpft und jede Minute der Halle restlos ausgebucht. „Mit zusätzlichen Trainingszeiten könnten wir mehr sichere Räume schaffen. Unser Verein steht für ein Training und Miteinander frei von Diskriminierung. Wir wollen nicht, dass sich jemand für seine Geschlechtsidentität, sexuelle Orientierung, Glaube, (soziale) Herkunft oder Leistung rechtfertigen muss. Jede*r soll sich in unserer Halle wohlfühlen. Der einzige Gegner und Hauptmotivation sollte es sein, die eigene Leistung vom letzten Training zu überbieten“.

Die offenen Türen der Boxgirls werden schon lang von Menschen mit unterschiedlichsten Vorder- und Hintergründen wahrgenommen. Seit 2015 bindet der Verein auch geflüchtete Menschen in seine Trainings ein und entwickelt besonders talentierte Personen zu Übungsleiter*innen weiter.

Die Idee „Boxgirls“ gibt es auch in Kenia und Südafrika. Seit 2008 gibt es dort die Schwesterprojekte Boxgirls Eastlands (Nairobi) und Boxgirls Capetown. Auch hier arbeiten die Trainer*innen von Boxgirls mit Training und anknüpfenden Projekten und Workshops daran Mädchen und Frauen zu stärken und durch Leadership derer den sozialen Wandel in ihren Communities zu fördern.

In unserem Vereinsalltag und Training ist uns besonders wichtig, dass ….

Während Linos andere Vereinsmitglieder begrüßt, wird klar, dass eine Sache bei den Boxgirls besonders wichtig ist: eine familiäre, angenehme Atmosphäre. „Wir haben den Anspruch mehr zu sein, als eine Sport-Zweck-Gemeinschaft. Alle sollten sich nach ihren Möglichkeiten einbringen oder durch Akzeptanz und gegenseitige Wertschätzung ein Umfeld schaffen, in dem sich jede Person frei entfalten kann“. Sportlich sollen alle die Chance haben, in einem sicheren Umfeld die eigenen Ziele zu verfolgen. Nicht nur bei Partner*innen-Übungen wird Rücksichtnahme groß geschrieben. Auch in Bezug auf den eigenen Körper wird in der Halle Rücksichtnahme gelehrt. Selbstwahrnehmung und Achtsamkeit sind trotz der rauen Sportarten fester Bestandteil des Trainings. Konflikte werden bei den Boxgirls nicht aufgeschoben oder verschwiegen. Im gegenseitigen Miteinander ist es wichtig Probleme zu klären und offen darüber zu reden. Eine Praxis, die ich live miterlebe, während Linos mit einem der Trainer einen Zwischenfall des vorangegangenen Wochenendes aufarbeitet. Aktiv zuhörend finden beide schnell gegenseitiges Verständnis und einen gangbaren Weg mit dem Problem in Zukunft umzugehen. Am Ende umarmen sie sich und der Trainer begibt sich wieder in die Turnhalle, um das Training fortzusetzen.

Vielfalt bedeutet für uns …..

Gemeinsamkeiten und Unterschiede. Linos runzelt die Stirn. „Ich mag das Wort Integration nicht so gern. Menschen ´werden integriert` und durch das passive objektiviert. Es signalisiert immer, dass Menschen, die neu in ein System kommen, in das bestehende System und an die Erwartungen der Mehrheitsgesellschaft angepasst werden sollen. Gemeint ist natürlich, dass sie sich selbst anpassen sollen. Doch auch das ist für mich keine Kommunikation auf Augenhöhe und nicht erstrebenswert“. Vielfalt bedeutet für die Boxgirls unterschiedliche Lebensentwürfe zu akzeptieren und Menschen als die Individuen wertzuschätzen, die sie sind. Das kann Linos Auffassung nach aber nur dann geschehen, wenn Unterschiedlichkeit auch einen Platz hat und respektvoll mit ihr umgegangen wird. Niemand sollte sich in ein großes System anpassen müssen, um als Teil des Ganzen akzeptiert zu werden. „Es geht und soll nicht ohne Vielfalt gehen. Niemand sollte sich einem mehrheitlichen System anpassen müssen, um dadurch erst als Teil der Gesellschaft angenommen zu werden.“ Neue Mitglieder werden nicht als Bittsteller wahrgenommen, die sich an die Vereinsnormen anpassen müssten. Stattdessen sollen alle im Rahmen von Humanismus und gegenseitigem Respekt die Strukturen und das Training mitgestalten können. Das bedeutet zum Beispiel auch, dass Sportler*innen aus dem No Borders Projekt zu Trainer*innen ausgebildet werden und Verantwortung für andere Mitglieder und das Training übernehmen. „Uns ist wichtig, dass Diversität auch in den Strukturen wiederzufinden ist und freuen uns darüber, dass es durch das Programm IDS ermöglicht wird Trainer*innen aus dem No Borders Projekt auszubilden!“

Was uns außerdem besonders ausmacht sind …..

Boxgirls Berlin e.V. möchte die Gesellschaft auch über die Grenzen des Sports hinaus aktiv mitgestalten. Ein Anliegen ist es alltagspolitische Themen in das Training und das Miteinander im Verein zu integrieren. „Uns liegen unsere Projekte sehr am Herzen. Wir sind nicht nur bei „Integration durch Sport“ und „Willkommen im Sport“ aktiv. Wir hatten und wollen regelmäßig Workshops Themen wie z.B. Gender Diversity und Intersektionalität anbieten und in Kürze wird auch ein antirassistisches Training für Weiße stattfinden“. Zusätzlich gibt es dieses Jahr bereits zum zweiten Mal eine gemeinsame Trainingsfahrt. Geflüchtete Menschen und andere Personen mit geringem Einkommen werden vom Verein unterstützt, damit sie daran teilnehmen können.

Um das wöchentliche Training für möglichst viele Menschen zugänglich zu machen, werden die Beiträge nach Einkommen gestaffelt bzw. für Teilnehmer*innen des No Borders Projekt über Fördergelder kostenlose Mitgliedschaften angeboten.
Neben dem Sport findet das Vereinsleben aber wie beschrieben auch abseits des Rings statt. Boxgirls veranstalten Feste, Vereinstreffen, organisieren gemeinsame Treffen nach dem Sport und arbeiten mit vielen anderen Vereinen – wie Seitenwechsel e.V. oder Lowkick e.V. - aus dem Bezirk zusammen. Im Verein stehen vor allem für die Mädchen, aber auch für geflüchtete Menschen feste Ansprechpartner*innen zur Verfügung, die versuchen, bei aufkommenden Fragen und Problemen mit Rat und Tat zur Seite zu stehen. „Wir versuchen den Mitgliedern auch außerhalb der Halle beratend zur Seite zu stehen. Gemeinsam wollen wir stark sein gegen Alltagsrassismus, Sexismus, Benachteiligung und Ausgrenzung“.

Trotz der geringen Kapazitäten freuen sich die Boxgirls Berlin e.V. selbstverständlich über jede interessierte Person, die an ihren Trainings teilnehmen möchte. Mehr Infos über den Verein findet man unter: boxgirls.wordpress.com und per Mail unter: info@boxgirls.de