„Hoppla, ich habe ja doch Vorurteile“

Kein Seminar wie jedes andere: Vom 8.-10. Oktober 2021 fand in Sögel ein Intensivseminar Fit für die Vielfalt der ganz besonderen Art statt. Denn erstmals nahmen Mitglieder vom Gehörlosen-Sportverband Niedersachsen e.V. an der interkulturellen Fortbildung teil. Wie sie die drei Tage in Sögel erlebt haben, berichten Ludmila Schmidt (Vizepräsidentin Bildung des Gehörlosen-Sportverbands Niedersachsen), Seminarteilnehmer Timo Kruckemeyer (Beauftragter für Leistungssport im Gehörlosen-Sportverband Niedersachsen), Bastian Zitscher (Referent) und Dagmar Mavaddat (Gebärdensprachdolmetscherin).

Teilnehmende des Seminars
Teilnehmende des Seminars

LSB: Frau Schmidt, wie sind Sie auf das Seminar aufmerksam geworden?
Schmidt: Wir sind zufällig auf das Seminar gestoßen. Auf einer Veranstaltung lagen Fit für die Vielfalt-Flyer aus. Timo, Dagmar und ich haben dann das LSB-Team Integration kontaktiert, weil die ganze Sache sehr interessant klang. Der Kontakt war sehr nett und unkompliziert, sodass wir nach kurzer Rücksprache direkt einen Termin festlegen konnten.

LSB: Und wie waren die Eindrücke vor Ort? Wie hat Ihnen das Seminar gefallen?
Schmidt: Ich hatte im Vorfeld sehr hohe Erwartungen an das Seminar, was mich geärgert hat. Denn wenn man hohe Erwartungen hat, kann man auch sehr schnell enttäuscht werden. Doch diese wurden sogar noch übertroffen. Denn ich habe vorher noch gedacht: Ich bin jemand, der über den Tellerrand schaut und vielfältige Perspektiven einnehmen kann und keinen Tunnelblick hat. Und währenddessen merkt man plötzlich schon: Hoppla, ich habe ja doch Vorurteile. Kurzum macht das Seminar ganz viel mit einem selbst. Es arbeitet mit einem und wirkt ganz lang nach.

LSB: Sind das klassische Reaktionen von Teilnehmenden, dass sie eine Art „Aha-Effekt“ haben?
Zitscher: Diese Erfahrung machen wir tatsächlich oft in den Seminaren, dass Menschen, die an sich sehr offen sind und auch beruflich im Bereich Integration arbeiten merken, dass das Seminar etwas mit ihnen macht. Durch die vielen Übungen, u.a. zu Wertevorstellungen oder unseren Kaltstart, werden die Leute nochmal extrem sensibilisiert.

Schmidt: Es arbeitet immer noch in mir. Man erfährt sehr viel über sich selbst. Auch, dass man blinde Flecken hat.

LSB: Wie war die Gruppenkonstellation? Hat das Zusammenspiel zwischen Gehörlosen und Hörenden gut funktioniert?
Kruckemeyer: Ja, finde ich schon. Auch die Arbeitsatmosphäre war toll, alle haben sehr aktiv mitgemacht. Abends saßen wir ja auch noch zusammen. Und durch die gemischte Gruppenzusammensetzung konnten sicher auch Barrieren abgebaut werden.

Mavaddat: Das kann ich bestätigen. Es herrschte eine gute Balance von Hörenden und Gehörlosen. Alle waren sehr offen miteinander und die Akzeptanz sehr gut. Und auch das Interesse der Hörenden gegenüber den Gehörlosen war recht groß. Es war also eine ganz entspannte Atmosphäre.

Zitscher: Für mich als Referent war es anfangs tatsächlich etwas ungewohnt. Denn nur eine Hälfte des Kurses hat mich angeschaut. Die Hörenden. Und die andere stets an mir vorbei, egal, was ich Spannendes gesagt habe. Ich habe also einen Tag gebraucht, damit es bei mir „Klick“ macht und ich für mich registriere, dass die Gehörlosen an mir vorbeischauen, weil sie auf die Gebärdendolmetscherinnen schauen. Aber dann war es auch gut für mich.

LSB: Und gab es irgendwelche Reibungspunkte?
Schmidt: Eigentlich nicht. Aber man merkt doch: Es gibt immer noch diese Barrieren im Kopf. Und in Sachen Inklusion muss dann doch einiges passieren. Ich finde, das hat man auch in den Gruppenarbeiten gemerkt. So gab es eine Aufgabe, in der man eine Sportübung vorstellen sollte, aber ohne zu reden. Und innerhalb der Gruppen waren auch jeweils gehörlose Teilnehmer. Und wer übernimmt dann ausgerechnet diese Aufgabe? Diejenigen, die nicht gehörlos sind. Das hat mich dann doch ziemlich verwundert. Und ich habe meine Leute gefragt: „Warum habt Ihr diese Übung nicht vorgestellt?“

LSB: Können Sie sich vorstellen, die Fortbildung langfristig in ihr Bildungsangebot aufzunehmen?
Schmidt: Das können wir uns sogar sehr gut vorstellen. Vor allem, weil man seine Vereinsmanager- und sogar Übungsleiterlizenz verlängern lassen konnte, und es durch die vielen Übungen und damit verbundenen „Selbsterfahrungen“ ein sehr bereicherndes Seminar ist und gut in unser Bildungsangebot reinpasst.
 

Der Beitrag erscheint in der Ausgabe 12/2021 des LSB Magazins des LandesSportBunds Niedersachsen.

Kontakt:
Maria-Theresa Eggers, mteggers(at)lsb-niedersachsen.de


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