„Integration durch Sport“ online – was bleibt, was geht?

Die Pandemie hat weite Teile des Bremer Sports monatelang lahmgelegt. Mindestens einen Bereich hat sie aber beschleunigt: Die Digitalisierung. In vielen Sportvereinen, -verbänden und auch im Programm „Integration durch Sport“ hat sich online viel getan. Die Ressourcen, Herangehensweisen und Ergebnisse waren dabei über die Vereinslandschaft hinweg jedoch sehr unterschiedlich. Mit einem Blick auf die gesellschaftlichen Gruppen fällt außerdem auf, dass es mitunter große Unterschiede in der Teilhabe an der digitalen Entwicklung gab und gibt.

TURA Bremen hat digital enorm aufgefahren - trotzdem ist auch hier die Freude über Präsenz-Sport gigantisch.
TURA Bremen hat digital enorm aufgefahren - trotzdem ist auch hier die Freude über Präsenz-Sport gigantisch.

Technische Möglichkeiten der Teilnehmenden
Unterschiedliche finanzielle Einkommen bedingen unterschiedliche technische Ausstattungen. Dass es bei Haushalten mit niedrigerem Einkommen tendenziell häufiger an der Technik oder Medienkompetenz mangelt, ließ sich bereits im Bereich der Schulbildung beobachten. Dies gilt ebenso für andere digitale Bildungs- und Sportangebote. „Die Chancen gut an Online-Trainings oder Seminaren teilzuhaben“, meint auch Sportlotse Eris Dashi von der SV Hemelingen, „sind da geringer.“ Er hat die Jugendlichen seiner Sportgruppen in der Pandemie anstelle der ausgefallenen Trainingseinheiten im Alltag unterstützt und beispielsweise Ausdrucke für den Schulunterricht übernommen, weil es in vielen Haushalten an Druckern mangelte.
„Teilweise fehlt es aber auch schlicht am Platz um beispielsweise gut an einem Tanz-Training von zu Hause aus teilnehmen zu können. Nicht jedes Kind hat zum Beispiel ein eigenes Zimmer“, meint die Tanz- und Theaterpädagogin Roya Tasmim von TURA Bremen.
Auch die Bandbreite und Stabilität der Internetverbindung über die ein Seminar oder Training läuft ist in der Pandemie zu einem weiteren Faktor für Teilhabe geworden. Ruckelnde Bilder und schlechter Ton beeinflussen nicht nur das, was man zum Seminar beitragen und vom Seminar mitnehmen kann, sondern auch, ob Spaß oder Frust aufkommt.

Kommunikation & Verständnis
Mimik, Gestik, Habitus – Kommunikation funktioniert nicht nur über Worte. Je nach Quelle sind 65 bis 90 Prozent unserer Kommunikation nonverbal. Im Netz ist der nonverbale Anteil an der Kommunikation technisch begrenzt. Dies ist allerdings ein Bereich, der in der integrativen bzw. verständigenden Arbeit ungemein wichtig ist. Je weniger man (vom Gegenüber) versteht, desto weniger lässt sich nachvollziehen. Gegenseitige Verständigung gehört zu den Kernbereichen integrativer Arbeit und bildet einen Mittelpunkt innerhalb der Seminare. Online ist Verständigung allerdings von mehr Variablen abhängig, als dies bei analogen Begegnungen der Fall ist.

„Erzähle mir etwas - und ich werde es vergessen. Zeige mir etwas - und ich werde mich erinnern. Lass mich etwas erleben - und ich werde es verstehen.“ Konfuzius

Speziell beim Thema der Ausbildung (gegenüber der Fortbildung) lassen sich einige Bereiche der Praxis und des Erlebens auch schlichtweg nicht abdecken. Rechtliche und theoretische Grundlagen sind online vermittelbar – Gefahrenquellen in der Halle, Haltungskorrekturen, ganz zu schweigen von den Lehrproben, also dem praktischen Sport an sich, eher nicht. Auch Astrid Touray vom Landessportbund Bremen sieht Schwierigkeiten. Sie veranstaltet gemeinsam mit dem Programm „Integration durch Sport“ die ÜL-Ausbildungen für Migrantinnen sowie Multiplikator:innen.
„In den Seminaren der letzten Jahre war es in unseren Ausbildungen häufig so, dass sich unter den Teilnehmenden bei Verständnisschwierigkeiten direkt mit Wortübersetzungen oder Erklärungen geholfen wurde. Dass man sich von Anfang an live kennenlernen konnte, war dabei natürlich hilfreich. Auch die Überwindung Nachfragen zu stellen wird in Präsenz schneller gemeistert, als das über Zoom der Fall ist. Insgesamt wird deshalb offline mehr an Inhalten mitgenommen.“ Laut Vorgaben des DOSB dürfen maximal 50% der Ausbildung online stattfinden.

Distanz
Der Vorteil, der sich gerade in Bremen als einzigem Zwei-Städte-Staat nebst der leichteren Organisation deutlich zeigt, ist die Überbrückung von räumlicher Distanz. Anreise als auch Standortsuche sind online kein Thema mehr. Dies wirkt auch in unseren Seminaren: Wer wissen möchte, aus welchem fernen Bundesland die drei Referent:innen zugeschaltet sind und sich vor Allem mit dem Thema Vielfalt im Sport auseinandersetzen möchte, kann sich für unsere kommende Online-Fortbildung „Fit für die Vielfalt“ am 16. und 17. Juli hier anmelden.

Fazit
Wenn es über die Pandemie einen Tenor zu digitalen Angeboten gab, dann war dieser: „Besser als nichts.“ Wieviel besser als nichts, ist aber, je nach Bereich und beteiligten Menschen, unterschiedlich.

Auch wenn Online-Seminare organisatorische Vorteile mit sich bringen, werden sie in unserem Arbeitsbereich außerhalb von Pandemien nur eine ergänzende Option darstellen und keinen neuen Status Quo. Die Gründe dafür liegen in der Gewichtung der oben genannten Nachteile.

Bei Stützpunkt-, Sportlots:innen- oder anderen Team-Treffen bleibt die Online-Variante aufgrund der Ortsunabhängigkeit und Zeitersparnis eine sinnvolle Möglichkeit, die wir weiter nutzen werden.

Beim Online-Training sieht es allein schon aufgrund der praktischen Möglichkeiten des Sportbetriebs anders aus. Auch wenn Vereine teils exzellente Online-Angebote produziert haben, können unter integrativen Gesichtspunkten Online-Trainings den menschlichen Begegnungen auf dem Platz oder in der Halle nicht das Wasser reichen. Der Sport vor Ort erreicht Formen gemeinsamer Erlebnisse und Emotionen, wechselseitiger Kommunikation sowie gleichberechtigter Teilhabe, die er digital nicht zu bieten hat.

Autor: Patrick Pavel, Landessportbund Bremen, Referent Bundesprogramm „Integration durch Sport“

Das Programm „Integration durch Sport“ wird aus Mitteln des Bundesministeriums des Innern, für Bau und Heimat (BMI) und dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) unterstützt.


  • TURA Bremen hat digital enorm aufgefahren - trotzdem ist auch hier die Freude über Präsenz-Sport gigantisch.
    TURA Bremen hat digital enorm aufgefahren - trotzdem ist auch hier die Freude über Präsenz-Sport gigantisch.