Serie 30 Jahre „Integration durch Sport“ in Sachsen: Aus "Sport für alle" wird "Integration durch Sport"

Genau zehn Jahre nach Start des Projektes „Sport für alle – Sport mit Aussiedlern“ in Sachsen im Jahr 1991 steht eine sehr große Veränderung an. Die Zielgruppe und damit die grundsätzliche Projektarbeit werden deutlich erweitert: Neben Aussiedler*innen werden Menschen mit Migrationshintergrund und sozial benachteiligte einheimische Jugendliche und Erwachsene als Zielgruppe benannt.

Mit der Sportjugend um die Welt 2005 (Foto: Integration durch Sport)
Mit der Sportjugend um die Welt 2005 (Foto: Integration durch Sport)

Die Zielgruppenerweiterung des neuen Programms „Integration durch Sport“ im Jahr 2001 stellte keinen Neuanfang dar, da die bewährten Strategien und Grundpfeiler erhalten blieben. Die Stützpunktvereine und Ehrenamtlich Engagierten konnten Ihre Arbeit weiterführen und auch bereits begonnene und bewährte Maßnahmen wurden weitergeführt. Dazu gehörte beispielsweise die Durchführung von Sport- und Spielefesten und -turnieren.

Im Jahr 2002 erfolgte der Startschuss einer landesweiten Street-Soccer – Tour. Bei der Tour wurden Vorrunden in den einzelnen Regierungsbezirken Dresden, Chemnitz und Leipzig gespielt. Dabei qualifizierten sich die besten Mannschaften für die Endrunde, welche jährlich jeweils in einer der drei Regionen stattfand, wenn möglich, im Rahmen der Landesjugendsportspiele des Landessportbundes.

Für alle Vor- und Endrundenspiele gab es neben der sportlichen Wertung gleichrangig eine Fair Play – Wertung, die als Bewertungsgrundlage für das Ergebnis jedes Spieles diente.

Bis heute ist Street Soccer bzw. Futsal eine sehr erfolgreiche und vielgenutzte Sportart, die gerade in der Arbeit mit Kindern und Jugendlichen mit Migrationshintergrund sehr beliebt ist. Seit 2012 sind die sächsischen Mannschaften in der gemeinsamen Fair Play Soccer Tour der neuen Bundesländer unter der Organisation der Deutschen Soccer Liga eingebunden.

2002 war für viele sächsische Sportvereine aufgrund der Flutkatastrophe ein sehr herausforderndes Jahr. Ein sehr einprägsames Beispiel war der Döbelner SV Vorwärts, dessen Sporthalle durch das Hochwasser komplett zerstört wurde. Mit Unterstützung unzähliger Freiwilliger konnte die Einrichtung der Halle schließlich wiederaufgebaut werden. Zusätzlich erhielt der Verein auch finanzielle Unterstützung vom LSB und aus Programmmitteln. Auch anderen Vereinen konnte mit Zustimmung des Fördermittelgebers unbürokratisch geholfen werden.

Die tragenden Säulen der „Integration durch Sport“ - Projektarbeit sind nach wie vor Veranstaltungen, Starthelfer*innen und nicht zuletzt die Stützpunktvereine. Ohne deren unermüdliches Engagement wäre das Programm „Integration durch Sport“ nicht das, was es heute ist.

Ab 2003 wurde verstärkt Wert auf die qualitative Optimierung des Stützpunktsystems gelegt. Dazu gab es erste Varianten von Zielvereinbarungen, die die Stützpunktvereine jährlich gemeinsam mit der Programmleitung erarbeiten. Zielvereinbarungen helfen den Stützpunktvereinen dabei, ihr Engagement auf bestimmte, erreichbare Ziele zu fokussieren. Gleichzeitig wird damit die Integrationsarbeit erkenn- und auswertbarer.

In jenem Jahr fanden auch zwei sehr beachtenswerte Veranstaltungen statt, das Landesfinale der Tour „Mit der Sportjugend um die Welt“ als Teil der sachsenweiten Landesjugendspiele sowie der erste Vorläufer des Interkulturellen Hallenfußballturniers im Rahmen der Interkulturellen Wochen in Leipzig. Dieses fand gemeinsam mit Djama Afrika statt. Ab 2004 beteiligte sich die Gesellschaft für Völkerverständigung als Kooperationspartner. Dieses Fußballturnier ist eine der beständigsten Integrationsveranstaltungen und wird bis zum heutigen Tag mit großer Begeisterung durchgeführt.

Die Begeisterung für Fußball- und Straßenfußballturniere lag zu dieser Zeit deutlich im Trend, sodass gleich im folgenden Jahr die erste Streetsoccer-Tour in Sachsen durchgeführt wurde. Wie auch das Fußballturnier im Rahmen der Interkulturellen Wochen wurde die Streetsoccer-Tour extrem gut angenommen und im Laufe der nächsten Jahre mit der Sparkassen Fairplay Soccer Tour vereinigt, der größten Straßenfußballtour durch die ostdeutschen Bundesländer. 

Auch andere Sportarten finden großen Anklang im Programm. Sambo zum Beispiel, eine russisch-sowjetische Kampfsportart, die vor allem bei Spätaussiedler*innen sehr beliebt ist. In Zusammenarbeit mit „Integration durch Sport“ konnten Sambo-Abteilungen in sächsischen Stützpunktvereinen in Leipzig, Torgau und Heidenau etabliert werden.

Ab 2006 legte das Programm „Integration durch Sport“ verstärkt Wert auf die Arbeit mit älteren Migrantinnen und Migranten. Da deutlich wurde, dass gerade die Gruppe der älteren Frauen mit Migrationshintergrund im organisierten Sport stark unterrepräsentiert ist, wurden zwei Angebote für die spezifischen Rahmenbedingungen dieser Gruppe geschaffen: die mehrtägigen Sportkurse „Aktiv und Gesund“ und „Schwimmen und Sprache“.

Während „Aktiv und Gesund“ den Blick auf die Aktivierung von älteren, bisher sportfremden Menschen für die regelmäßige Bewegung liegt, fokussiert sich „Schwimmen und Sprache“ auf den kompetenten Erwerb von Schwimmfähigkeiten. Besonders relevant dabei ist die enge Kooperation mit Stützpunktvereinen. Integrationsbeauftragte und Übungsleiter*innen führen ein sehr breites Spektrum an Bewegungsangeboten durch und unterstützen die Teilnehmenden auch bei der Orientierung und dem späteren Zugang in den Sportverein. Auch Wohlfahrtsverbände wie die Caritas werden maßgeblich mit einbezogen.

Durch diese vielfältigen Kooperationspartner ist die Gruppe der Teilnehmenden immer stets gemischt. Über die Jahre kamen mehr Teilnehmende mit Handicaps hinzu, was den integrativen Fokus noch stärker unterstreicht. Die jeweils fünftägigen Sportkurse erfreuen sich nach wie vor großer Beliebtheit und haben jedes Jahr mehr Interessenten als verfügbare Plätze.

In den Jahren 2007 bis 2009 wurden aktive sächsische Stützpunktvereine aus Zwickau bzw. Stollberg als Ausrichter für die Kampfsportgala des Programms IdS gewonnen. Diese Veranstaltung war ins Leben gerufen worden, um den verschiedenen Kampfsportarten, welche im Integrationsprogramm begeistert betrieben werden, eine Bühne zu geben. Die Vereine konnten auf ihre Arbeit aufmerksam machen und die sportlichen sowie moralischen, charakterbildenden Werte des Kampfsports vor Publikum und Kollegen aus ganz Sachsen demonstrieren.

Neben den sportlich-kulturellen Darbietungen boten die Galas auch Anlass für Gespräche mit der Kommunalpolitik und weiteren Akteuren der Integrationsarbeit.

Wissenschaftliche Begleitung des Programms

Das Programm „Integration durch Sport“ (bis 2001 unter dem Namen „Sport für alle – Sport mit Aussiedlern“) wird seit 1989 vom Bundesministerium des Inneren (BMI) gefördert. Damit unterliegt es auch regelmäßigen Tiefenprüfungen durch den Bund. Diese fanden für Sachsen beispielsweise 2004, 2012 und 2014 statt.

Nachdem 1997 bis 2001 die erste gemeinsame bundesweite Förderrichtlinie erarbeitet und umgesetzt wurde, legte der DOSB und das BAMF verstärkt Wert auf eine zentrale Koordination und Angleichung der Arbeitsweisen der Länderprogramme. Dazu wurden auch zwei sehr umfangreiche wissenschaftliche Evaluationen durchgeführt. Die erste große Evaluation fand 2007 durch die Universität Potsdam statt, die zweite 2013 durch die Technische Universität Dortmund, die Humboldt-Universität zu Berlin und die Universität Göttingen. 

Beide Evaluationen bescheinigten dem Programm „Integration durch Sport“ eine herausragende Wirkungsweise und betonten die gesellschaftliche Bedeutung spezifischer Integrationsförderungen.

Seit 2019 wird das Programm „Integration durch Sport“ zusätzlich durch die Beratungsagentur Kienbaum Consultings International begleitet.

Aktuelle Schwerpunkte des Programms

Die Arbeitsweise und die tragenden Säulen des Programms „Integration durch Sport“– Stützpunktvereine, ehrenamtlich Engagierte, Integrationsmaßnahmen und Qualifizierung - haben sich seit dem Start grundsätzlich erhalten. Die Gewichtung dieser änderte sich allerdings in den vergangenen Jahren stark. So wurde sehr großer Wert auf die qualitative Verbesserung der Beratungsleistungen sowie der Qualifizierungsmaßnahmen gelegt, um so noch besser die sehr vielfältigen Rahmenbedingungen vor Ort einbeziehen zu können.

„Integration durch Sport“ in Sachsen arbeitet seit 2014 unter dem Motto „Mit Fairplay Vielfalt verbinden“ und hat ein sehr umfangreiches Bildungskonzept entwickelt. Fairplay als Begriff kommt originär aus dem Sportkontext und wird schon den Allerkleinsten unserer Gesellschaft vermittelt. Fairplay als Haltung bzw. Verhalten ist also ein idealer Anknüpfungspunkt vom Sport an gesellschaftliche Themen und somit die optimale Grundlage für gesellschaftliche Bildungsarbeit im Sport.

Das Bundesprogramm wird stets an aktuelle gesellschaftliche Entwicklungen angepasst. Durch den verstärkten Zuzug von Geflüchteten nach Deutschland im Jahr 2015 wurde beispielsweise eine schnelle Öffnung des Programms auch für Menschen mit Fluchthintergrund und noch nicht geklärter Bleibeperspektive möglich. Bis zu diesem Zeitpunkt konnten diese Personen nicht in die Projektmaßnahmen einbezogen werden.

Innerhalb der letzten Jahre wurden zusätzliche DOSB-Fördermöglichkeiten genutzt. Nennenswert sind in diesem Bereich das gemeinsam mit der Katjes Fassin GmbH + Co. KG ermöglichte Projekt „Katjes verbindet – Integration durch Sport“ 2014-16 von Sport+ X Projekten für Mädchen und Frauen mit Migrationshintergrund sowie das laufende Projekt „Willkommen im Sport“ aus Fördermitteln der Bundesbeauftragten für Integration, an der sich sächsische Vereine im Jahr 2016 beteiligten.

Im Jahr 2016 waren an acht sächsischen Stützpunktvereinen Bundesfreiwilligendienst-Leistende mit Fluchtbezug tätig, die über das Bundesfamilienministerium gefördert wurden.

Seit 2020 beteiligt sich das Programm in Sachsen am SMILE-Projekt mit dem Ziel, die Weiterbildung „Fit für die Vielfalt“ in ein hochwertiges Blended Learning – Format zu entwickeln.

Im Rahmen eines Sonderfonds - Pilotprojektes mit dem Programm in Brandenburg läuft seit 2021 die intensive Begleitung eines ethnischen Sportvereins von der Gründung bis zur Integration in die regionale Sportlandschaft.

Aktuell ist das Programm sowie alle seine Stützpunkvereine und Partner von den Maßnahmen zur Eindämmung der anhaltenden COVID-19 – Pandemie stark eingeschränkt. Die Aussetzung des kompletten Breitensportbetriebes für über 7 Monate hat alle vor eine riesige Herausforderung gestellt, deren langfristige Folgen zum jetzigen Zeitpunkt nicht absehbar sind. Kurzfristig ist bereits ein deutlicher Mitgliederschwund bei dem Großteil der Vereine zu verzeichnen, was speziell Menschen mit Migrationshintergrund und sozial benachteiligte Menschen betrifft. Damit stehen zahlreiche Sportvereine vor reellen existenziellen Problemen.

So wird es die nächste große Herausforderung des Programms „Integration durch Sport“ sein, die Folgen der pandemiebedingten Einschränkungen zu minimieren und gemeinsam mit allen engagierten Partnern in Sachsen die Integrationsarbeit im sächsischen Sport wieder auf gesunde und nachhaltige Füße zu stellen.


  • Mit der Sportjugend um die Welt 2005 (Foto: Integration durch Sport)
    Mit der Sportjugend um die Welt 2005 (Foto: Integration durch Sport)
  • Interkulturelles Fußballturnier im Rahmen der Interkulturellen Wochen 2013 (Foto ITK Leipzig)
    Interkulturelles Fußballturnier im Rahmen der Interkulturellen Wochen 2013 (Foto ITK Leipzig)
  • Kampfsportgala 2007 (Foto: Integration durch Sport)
    Kampfsportgala 2007 (Foto: Integration durch Sport)
  • Aktiv und Gesund 2010 (Foto: Integration durch Sport)
    Aktiv und Gesund 2010 (Foto: Integration durch Sport)
  • Aktiv und Gesund 2010 (Foto: Integration durch Sport)
    Aktiv und Gesund 2010 (Foto: Integration durch Sport)
  • Fairplay-Workshop im Rahmen der Fairplay Soccer Tour 2013 (Foto: Integration durch Sport)
    Fairplay-Workshop im Rahmen der Fairplay Soccer Tour 2013 (Foto: Integration durch Sport)
  • Präsentation Sambo (Foto: Integration durch Sport)
    Präsentation Sambo (Foto: Integration durch Sport)