Sport, Sprache und gesellschaftliche Teilhabe

Nevin Sahin, Leiterin der Frauengruppe des SV Türk Gücü Hildesheim e.V. 1979, setzt sich seit mehr als zehn Jahren für gesellschaftliche Teilhabe und Spracherwerb von Frauen mit türkischer Herkunft ein. Mit Erfolg: Die aktive Frauengruppe ist regelmäßig mit Tanzaufführungen oder Chorauftritten bei sportlichen und kulturellen Veranstaltungen in Hildesheim dabei. Sie ist Teil des Programms "Integration durch Sport", das vom Bundesministerium des Inneren, für Bau und Heimat (BMI) und dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) gefördert wird. Anlässlich des Internationalen Tags des Sports am 6. April gibt Sahin Einblick in ihr Engagement.

Gesellschaftliche Teilhabe durch Sport: Bei der Gruppe der türkeistämmigen Frauen von Nevin Sahin werden unter anderem Fahrradkurse angeboten. Quelle: Archiv LSB Niedersachsen
Gesellschaftliche Teilhabe durch Sport: Bei der Gruppe der türkeistämmigen Frauen von Nevin Sahin werden unter anderem Fahrradkurse angeboten. Quelle: Archiv LSB Niedersachsen

Wenn Nevin Sahin (72) ins Jahr 2010 zurückblickt, kann sie es eigentlich immer noch nicht fassen: In dieser Zeit kam sie das erste Mal mit den Teilnehmerinnen der Frauengruppe des SV Türk Gücü Hildesheim e.V. 1979 in Kontakt. Die Männer spielten gemeinsam Fußball, die Frauen kamen "nur" mit. "Sie saßen zusammen, tranken Tee und redeten. Und das natürlich auf Türkisch, weil sie die deutsche Sprache nicht beherrschten", erinnert Sahin sich. Das wollte sie ändern. Der SV Türk Gücü Hildesheim ist mittlerweile ein Stützpunktverein des Programms "Integration durch Sport", das vom BMI und dem BAMF gefördert wird und setzt sich ein für gesellschaftliche Teilhabe.

Sahin selbst war im Jahr 1971 mit einem abgeschlossenen Studium der Betriebswirtschaft aus der Türkei mit dem Vorsatz nach Deutschland eingereist, irgendwann noch Medizin zu studieren. Ein Jahr später hatte sie längst einen festen Arbeitsplatz und ihre ersten Sprachkurse abgeschlossen. "Die Sprache ist für mich der Schlüssel zur Integration. Wenn man die Sprache des Landes, in dem man lebt, nicht sprechen kann, kann man sich auch nicht integrieren", sagt sie. Sie habe den türkischen Frauen, die sie auf dem Fußballplatz kennengelernt hatte, dies so überzeugend erklärt, sagt Sahin und lacht, dass diese sie anschließend gebeten hätten, die Leitung der Frauengruppe zu übernehmen.

Fachleute informieren zu wichtigen Themen

Mittlerweile hat das einst lockere Frauentreffen eine feste Struktur: Jeden Monat gibt es mindestens einen oder sogar mehrere Vorträge mit vielen Informationen zu einem für die Frauen wichtigen Thema aus dem Gesundheits- oder Sozialbereich. Es geht um Krebsvorsorge oder Impfungen, um die Pubertät bei Jugendlichen, Prävention bei häuslicher Gewalt, um Ernährung und viele andere Themen. Dazu lädt Nevin Sahin, die in Deutschland zwar nicht Medizin, aber im Alter von 45 Jahren noch Sozialpädagogik studiert und das Studium erfolgreich abgeschlossen hat, in der Regel Fachleute in die Gruppe ein. Immer wieder kommen – derzeit ausgesetzt durch die Corona-Pandemie – zudem Gäste zu den Frauentreffen, die in der Regel montags in Räumen der Diakonie Hildesheim mit rund 20 bis 25 Frauen stattfinden. Außerdem unternahmen die Frauen mit Migrationshintergrund einmal monatlich gemeinsam einen Ausflug in Hildesheim oder in die nähere Umgebung. "Leider konnten all diese Aktivitäten in den vergangenen Monaten aufgrund der Corona-Pandemie nicht stattfinden. Das ist sehr schade", bedauert Nevin Sahin. Von Mai bis Anfang November 2020 habe man sich aber immerhin im Garten einer Hildesheimer Einrichtung mit ganz viel Abstand treffen können. Seither sei sie mit den Frauen nur noch über Handy oder Telefon in Kontakt, um sie auf diese Weise wenigstens ein wenig unterstützen zu können.

Tagesausflüge, um das Land kennen zu lernen

Darüber hatte die engagierte Leiterin vor Beginn der Corona-Pandemie auch regelmäßig eine größere Reise für die Frauen organisiert. "Viele der Teilnehmenden waren nämlich außer in Hildesheim und auf dem Flughafen von Hannover noch an keinem anderen Ort in Deutschland", sagt Sahin. Doch auch dies sei wichtig für die Integration. "Wir müssen das Land, in dem wir leben, doch kennenlernen!" In Berlin waren sie schon zusammen, in Halle, in Bremen, Lüneburg und etlichen weiteren Städten. Stets hat Nevin Sahin dabei ein Ziel im Blick: "Ich möchte die Partizipation der Frauen am gesellschaftlichen Leben ermöglichen und fördern", sagt sie. Vor allem älteren türkeistämmigen Frauen fehle es häufig an Selbstbewusstsein. "Wenn es uns gelingt, dieses zu stärken, stärken wir gleichzeitig auch die Stellung der Frauen in Familie und Beruf. Wer mitmacht, kann mitreden und mitgestalten."

Ein Geben und Nehmen

Über ihren Einsatz für die Frauengruppe haben sich im Laufe der vergangenen Jahre noch viele weitere Dinge entwickelt: Im SV Türk Gücü Hildesheim haben sich eine deutsch-türkische Frauentanzgruppe und eine deutsch-türkische Mädchentanzgruppe zusammengefunden. Es wurde bereits gemeinsam in Chören gesungen und die Frauengruppe ist regelmäßig, zum Beispiel mit Tanzaufführungen oder Chorauftritten, bei kulturellen oder sportlichen Veranstaltungen in Hildesheim dabei. "Es ist ein Geben und Nehmen der deutschen und türkischen Kultur", sagt Nevin Sahin. Außerdem finden regelmäßig Schwimmkurse und in Zusammenarbeit mit der Polizei Hildesheim Fahrradkurse für Frauen mit Migrationshintergrund statt. Viele Frauen haben dort schon Schwimmen und Radfahren gelernt und über diese neuen Fähigkeiten einen großen Schritt zu mehr Unabhängigkeit und Selbstständigkeit getan.

Glücklich über das "Wachsen" der Frauen

Für ihren herausragenden ehrenamtlichen Einsatz für die Integration ist Nevin Sahin bereits mit mehreren Preisen ausgezeichnet worden. Im Jahr 2012 hat sie die Integrationsmedaille von Land Niedersachsen und dem Bund bekommen, im Jahr 2013 die Auszeichnung Kreuzbrakteaten in Gold der Stadt Hildesheim und wenig später die Medaille für Vorbildliche Verdienste um den Nächsten des Landes Niedersachsen. Säuberlich gerahmt, hängen die Urkunden im Wohnzimmer ihrer Wohnung in der Hildesheimer Innenstadt. Doch noch viel wichtiger ist es ihr, "ihre" Frauen wachsen zu sehen. "Darüber bin ich wirklich sehr glücklich", sagt sie und ihre Augen leuchten.


Text: Sigrid Krings


  • Gesellschaftliche Teilhabe durch Sport: Bei der Gruppe der türkeistämmigen Frauen von Nevin Sahin werden unter anderem Fahrradkurse angeboten. Quelle: Archiv LSB Niedersachsen
    Gesellschaftliche Teilhabe durch Sport: Bei der Gruppe der türkeistämmigen Frauen von Nevin Sahin werden unter anderem Fahrradkurse angeboten. Quelle: Archiv LSB Niedersachsen
  • Nevin Sahin leitet im Rahmen von "Integration durch Sport" eine türkeistämmige Frauengruppe. Quelle: BAMF | Sigrid Krings
    Nevin Sahin leitet im Rahmen von "Integration durch Sport" eine türkeistämmige Frauengruppe. Quelle: BAMF | Sigrid Krings
  • Nevin Sahin (hinten links) mit "ihrer" Frauengruppe bei einem Fahrradkurs. Quelle: Archiv LSB Niedersachsen
    Nevin Sahin (hinten links) mit "ihrer" Frauengruppe bei einem Fahrradkurs. Quelle: Archiv LSB Niedersachsen