BLSV – Forum „Vielfalt im Sport“ am 08.07.2011 in München

Programm Integration durch Sport setzt starkes Signal.

Die Leistungen der bayerischen Stützpunktvereine standen im Fokus der Veranstaltung.

 

 

M. Neumeyer, Integrationsbeauftragter Bayern
M. Neumeyer, Integrationsbeauftragter Bayern

„Jetzt stehen mal alle auf, die nicht in Bayern geboren sind.“ Neben dieser standen weitere eher ungewöhnliche Aufforderungen am Beginn des ersten Forums „Vielfalt im Sport“ im Haus des Sports. Tabea Gutschmidt und Ingo Wagner, Mitarbeiter des Programms „Integration durch Sport“ entlockten dem Publikum durch geschickte Fragen interessante Aussagen zu deren Herkunft. Wie viele Menschen mit Migrationshintergrund leben in Bayern? Wie hoch ist ihr Anteil in den Sportvereinen? Hat die Stadt Nürnberg einen höheren Anteil an Menschen mit Migrationshintergrund als Berlin? In lockerer und charmanter Gesprächsatmosphäre präsentierten die beiden Moderatoren Fakten, die viele im Publikum hörbar überraschten.

Bedeutung der Integrationsarbeit im Sport

Der Integrationsbeauftragte der bayerischen Staatsregierung, Martin Neumeyer, hob in seiner anschließenden Rede die Bedeutung der Integrationsarbeit des Sports in Bayern heraus. Er zeichnete ein klares Bild von der Notwendigkeit, Menschen mit Zuwanderungsgeschichte durch geeignete Bemühungen in die Gesellschaft zu integrieren. Dem Sport misst Neumeyer hier eine besondere Bedeutung zu. Er verwies auf die Fußballnationalmannschaften der Frauen und Männer, in deren Reihen mehrere Spielerinnen und Spieler aus Zuwandererfamilien zu finden sind. Aber auch der Franke Dirk Nowitzki ist für Neumeyer ein Beispiel für sportliche Integration in einem anderen Land.

Im Sport finden Einheimische und Zuwanderer eine gemeinsame Ebene, die nicht primär von Sprache, Herkunft oder sozialem Status geprägt ist. Sensibilität ist hier notwendig, um Menschen, die neu in Deutschland und Bayern sind, auch wirklich gezielt ansprechen zu können. „Warum sollen wir nicht auch einen Flyer in zwei Sprachen drucken?“ Das schafft laut Neumeyer Vertrauen. Er rief außerdem zur Offenheit auf, dass Sportvereine allen Interessierten freien Zugang bieten und keine Abgrenzungen z.B. auf Grund der Nationalität entstehen.

Sportvereine als Orte der Integration

Die Integrationspotenziale der bayerischen Sportvereine unterstrich BLSV Präsident Günter Lommer. Besonders beeindruckt zeigte er sich von den Anstrengungen der Stützpunktvereine im Programm „Integration durch Sport“. Sie haben nach seinen Worten Vorbildfunktion in Bayern bei der Einbindung von Zuwanderern in Sportgruppen und ehrenamtliche Vereinsstrukturen. Angesichts der Tatsache, dass nur neun Prozent der bayerischen Sportvereinsmitglieder Menschen mit Migrationshintergrund sind, sieht Lommer Nachholbedarf, diese Gruppe stärker in den Fokus des Interesses zu rücken. Denn im Vergleich zur Gesamtbevölkerung, in der jede fünfte Person eine Zuwanderungsgeschichte aufweist, sind diese Menschen in Sportvereinen deutlich unterrepräsentiert.

Als vorbildliche Ergebnisse der Integrationsarbeit in den Stützpunktvereinen hob Lommer hervor, dass hier deutlich mehr Menschen mit Migrationshintergrund als Übungsleiter und in Ehrenämtern der Vorstandsebene aktiv eingebunden sind.

Der BLSV-Präsident verwies aber auch auf künftig weiter zu entwickelnde Angebote z.B. für muslimische Mädchen und Frauen. Ebenso sind nach seiner Auffassung innovative Zugänge zu Sportanboten für sozial benachteiligte Menschen notwendig. Hier nannte er vor allem Trendsportarten und erlebnisorientierte Angebote für Kinder und Jugendliche.

Ferner stellte Lommer den immensen Kompetenzgewinn für die bayerischen Sportvereine heraus, die in den mitgebrachten sportlichen Qualifikationen der Zuwanderer zu finden sind. „Oft sind es Sportlehrer, Trainer, ehemalige Leistungssportler, Bewegungstherapeuten oder Tanzlehrer, deren Qualifikation zur Berufsausübung in Deutschland nicht anerkannt wird.“ Vereine würden hier gut ausgebildete und hoch motivierte Kräfte für ihre Sportangebote finden.

Hochzufrieden zeigte sich Günter Lommer mit der Arbeit der Landes- und Regionalkoordinatoren des Programms „Integration durch Sport“ in Bayern. Er würdigte die sehr starke basisbezogene Arbeit in einem nicht immer einfachen Tätigkeitsfeld und lobte die erbrachten Leistungen der beteiligten Akteure.

Dass Integrationsarbeit oftmals von Vorurteilen und oberflächlicher Wahrnehmung begleitet wird, zeigten nochmals Tabea Gutschmidt und Ingo Wagner in einer heiteren Publikumsbefragung. Sie forderten einzelne Personen auf, spontan Eindrücken zu ihren Tischnachbarn abzugeben, wie diese vielleicht wohnen, welches Haustier sie haben könnten, oder was ihr Lieblingsessen sei. Die Befragten konnten so selbst erleben, wie weit der erste Eindruck des Gegenübers von der Realität entfernt sein kann.

Ergebnisse der Stützpunktarbeit in Bayern

Die Landeskoordinatorin des Programms „Integration durch Sport“ Conny Baumann präsentierte anschließend ausgewählte Ergebnisse der Stützpunktarbeit aus mittlerweile 20 Jahren Integrationsarbeit im Sport.

Sie beleuchtete die besondere Stellung der Stützpunktvereine in Bayern. 
Als besonders markant stellte sie heraus, dass diese im Vergleich mit  anderen Sportvereinen in Bayern überdurchschnittlich viele Menschen mit Migrationshintergrund binden konnten. Dies gelang ihnen in erster Linie durch speziell auf die Zielgruppe der Zuwanderer zugeschnittene Sportangebote und eine leicht verständliche Öffentlichkeitsarbeit.

Sie hob dabei die spezielle interkulturelle Qualifikation von Übungsleiterinnen und Übungsleitern  hervor, die diese u.a. durch das Programm „Integration durch Sport“ erworben haben. Von diesen ehrenamtlich Engagierten in den Stützpunktvereinen wird überdurchschnittlich viel verlangt. Dies rechtfertigt  die sowohl beratende als auch finanzielle Unterstützung durch das Programm.  Baumann verwies hier auf das Jahr 2010. Hier überschritt die Zahl der neu gewonnen Ehrenamtlichen in den Stützpunktvereinen, die aus den Reihen der Zuwanderer kam, erstmals die der Einheimischen. Übungsleitende, Abteilungsleitungen und Vorstände aus den Reihen der Migranten wirkten laut Baumann als wichtige Türöffner für Menschen aus ihren eigenen und vielen weiteren Herkunftsländern.

Ebenso positiv verstetigt sich der Trend der Gewinnung von Neumitgliedern aus den Reihen der Migrantinnen und Migranten in den Stützpunktvereinen. Hier konnten in den letzten 10 Jahren im Durchschnitt 1.100 Personen pro Jahr hinzugewonnen werden. Dies sei als positives Ergebnis einer auf die Zielgruppe ausgerichteten Vereinskonzeption zu werten, und stelle angesichts des demographischen Wandels eine große Chance für alle Sportvereine dar.

Als besonders gefragte Sportarten unter Zuwanderern konnte die Landeskoordinatorin Kampfsportarten wie Boxen, Karate, Judo und Sambo, Fußball und Tanz anhand von Abfragen in den 451 integrativen Sportgruppen im Jahr 2010 nachweisen, die durch das Programm „Integration durch Sport“ gefördert wurden.

Klare Position bezog Conny Baumann auch in der Debatte um Migrantensportvereine. Sie sind nach ihrer Argumentation wichtige Indikatoren für gelungene Integration, indem sie das Vereinssystem bereichern und nicht selten Menschen mit Zuwanderungsgeschichte einen einfachen Zugang zum organisierten Sport bieten. Zumeist handelt es sich nach ihrer Erfahrung bereits jetzt um offene multiethnische Vereine, die durchaus auch Zulauf durch einheimische Sportler haben oder diesen wünschen.

Gutes aus Praxis

Große Aufmerksamkeit aus dem Publikum erhielten die Vertreter der Praxis aus den Stützpunktereinen. Acht engagierte Frauen und Männer aus sieben Stützpunktvereinen standen stellvertretend für einen Streifzug durch die sportliche Integrationsarbeit in Bayern auf der Bühne.

Moderator Thomas Baus – ebenfalls Mitarbeiter im Programm „Integration durch Sport“ – befragte die Aktiven, nach herausragenden integrativen Projekten in ihren Stützpunktvereinen. Dm ATV Frankonia in Nürnberg gelingt es, muslimische Frauen für die Übungsleiterausbildung zu motivieren und mit ihnen anschließend Frauen aus diesem Kulturkreis für den Vereinssport zu gewinnen. Auch Schwimmkurse gehören hier zum festen Programm. Die Werbung dafür geht von Mund zu Mund wie auch bei Taekwondo Özer, der Selbstverteidigungskurse für Frauen in Nürnberg anbietet und zudem mit einem Kunstverein kooperiert. „Kunst und Sport passen einfach zusammen“, sagt Erdogan Tunc, „weil sie beide ohne Sprache funktionieren“. Um Sprache und schulische Leistungen zu fördern hat der TV Kempten ein Nachhilfeinstitut für seine Mitglieder gewinnen können. Sport wird hier als Motivation für das Lernen erfolgreich eingesetzt. Kampfsport als Weg zur Gewaltlosigkeit zieht Kinder und Jugendliche in den Verein Oyakata Ingolstadt, dessen Trainer auch in Schulen erfolgreich Gewaltpräventionskurse anbietet. Ähnliche Ansätze verfolgen der Boxclub Amberg und der Verein Edelweiß Geretsried. Die hier aktiven Aussiedler sind beide ausgebildete Sportlehrer und verstehen die sportliche Arbeit auch als Erziehungsauftrag. Zudem tragen beide in ihren Vereinen die Verantwortung als Vorstand. Das starke ehrenamtliche Engagement dieser „Praktiker“ aus den Vereinen wurde vom Publikum mit einem besonders starken Applaus gewürdigt.

Schließlich standen Otto Marchner als Vertreter des BLSV, Conny Baumann und Walerie Weinert, der Gründer des Vereins Edelweiß Geretsried, dem Publikum für Fragen zur Verfügung. Hier zeigte sich viel Gesprächsbedarf rund um die Thematik der Migrantensportvereine.

Eine kleine Überraschung bescherte Igor Weber der Landeskoordinatorin Conny Baumann, als er stellvertretend für viele andere Migranten ein besonderes Geschenk präsentierte. Für ihren persönlichen Einsatz in Sachen Integration durch Sport überreichte Weber als Symbol sibirischer Wärme und Herzlichkeit Handschuhe und eine Fellmütze aus seiner Heimat.

Mit dem Ausblick auf weitere Foren zur Vielfalt im Sport blieben anschließend noch zahlreiche Gäste nach dem offiziellen Schluss und nutzten die Gelegenheit zum Austausch. 

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  • M. Neumeyer, Integrationsbeauftragter Bayern
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