Boxen hinter Gittern

Jeden Dienstag ist Karl Heinz Neu ein vielbeschäftigter Mann. Am Nachmittag führt den 68-Jährigen sein erster Weg zur Justizvollzugsanstalt (JVA) Ottweiler. Dort hat der frühere Justizvollzugsbeamte bereits vor zwei Jahren ein Projekt ins Leben gerufen, auf das mittlerweile sogar das ZDF aufmerksam geworden ist. Und so war Ende November ein Fernsehteam aus Mainz-Lerchenberg vor Ort, um über das Boxtraining in der JVA zu berichten. Und als Sahnehäubchen wurde das Projekt für die Auszeichnung „Sterne des Sports“ nominiert.

 

Neu ist sowohl Präsident der Saarländischen Box-Union als auch Vorsitzender der Boxsport-Abteilung der SSV Wellesweiler. Als dann der Pensionär vor über zwei Jahren gefragt wurde, ob er eine Initiative starten will, bei der er in die JVA zum Boxtraining kommt und gleichzeitig Freigänger in Wellesweiler an ihrer Fitness in dieser Sportart feilen können, war er direkt Feuer und Flamme. „Dabei war das Projekt anfangs umstritten. Die Themen Boxen und Gefängnis bieten natürlich von vorneherein ein Spannungsfeld. Doch die positive Entwicklung der Häftlinge gibt allen Beteiligten Recht“, sagt der Anstaltsleiter der JVA Ottweiler, Marco Bauer. Er hatte im Oktober 2013 dieses Amt von seinem Vorgänger Pascal Jenal übernommen, der das Projekt seinerzeit startete.

Einmal wöchentlich erscheint Neu zusammen mit dem weiteren Wellesweiler Vereinstrainer Sandro Krüger in Ottweiler. Dann wird in der dortigen Turnhalle intensiv trainiert. „Ich hatte früher Judo gemacht, Fußball und Handball gespielt, aber dann jahrelang keinen Sport mehr betrieben. Jetzt freue ich mich jeden Dienstag auf das Boxtraining und weiß danach, dass ich etwas Sinnvolles gemacht habe. Die Trainer hier machen das richtig gut“, meinte ein Häftling nach dem Training. Er ist einer von wöchentlich sechs bis zwölf Insassen, die in den Genuss dieser Übungseinheit kommen. Zuvor müssen sich die Kandidaten bewerben. Wer dann genommen wird, darf sich nicht daneben benehmen, ansonsten wird er direkt vom Boxtraining ausgeschlossen. „Die jungen Gefangenen lernen durch das Training, sich in einem Regelsystem zu bewegen. Viele Häftlinge sind hyperaktiv und können so ihre Energien zielgerecht kanalisieren. Außerdem dürfen auch Freigänger in Wellesweiler trainieren. Uns ist es ja daran gelegen, dass die Jugendlichen nach ihrer Haftentlassung in sinnvolle soziale Projekte integriert werden. Sie sollen dann in Freiheit möglichst in Wellesweiler oder bei einem anderen Verein regelmäßig weitertrainieren. Und Herr Neu ist der absolut geeignete Mann für dieses Projekt. Als pensionierter Vollzugsbeamter, Boxsportfunktionär und -trainer kennt er sich in sämtlichen relevanten Themengebieten aus“, sagt Bauer.

Neu war früher in Hessen beruflich tätig und hatte dort bereits ein ähnliches Projekt in die Wege geleitet. „Bislang haben bereits über 30 Jugendliche am Training teilgenommen und acht davon konnten wir an einen Boxsportverein binden. Zwei davon erreichten sogar auf Anhieb bei Landesmeisterschaften Rang zwei. Ich baue bereits jetzt langsam Sandro Krüger als meinen Nachfolger auf. Er soll dann irgendwann einmal fest in meine Fußstapfen treten“, berichtet Neu. Das Projekt in Ottweiler liegt dem 68-Jährigen „sehr am Herzen“. So sollen die Gefängnisinsassen durch die regelmäßige Teilnahme am Training in Sachen Selbstdisziplin und -bewusstsein zulegen und natürlich auch den Respekt vor dem Gegner erlernen. Gleichzeitig ist Neu aber auch darum bemüht, das Boxen im Saarland immer populärer zu machen, wie er noch am gleichen Abend anlässlich des Vereinstrainings in Wellesweiler betonte. So konnte im Mai dieses Jahres der Bundeskongress ins Saarland geholt werden und es wurde ein neuer D-Kader an der Hermann-Neuberger-Sportschule in Saarbrücken aufgebaut. Im kommenden Jahr soll dann ein C-Kader folgen. Und dass diese Bemühungen auch bundesweit wahrgenommen werden, beweist die Tatsache, dass die Deutschen Meisterschaften der weiblichen Jugend, Juniorinnen und weiblichen Elite erstmals ins Saarland vergeben wurden. Diese Großveranstaltung mit vermutlich zwischen 80 und 100 Teilnehmern geht vom 13. bis 17. Mai 2015 an der Hermann-Neuberger-Sportschule über die Bühne. „Es ist ganz lange her, dass einmal in Saarlouis eine Deutsche Boxmeisterschaft für Männer stattfand. Nun sind wir sehr seht stolz über den Zuschlag der nationalen Titelkämpfe im Frauenbereich“, betont Neu.

Der Präsident hofft, dass vier bis fünf saarländische Boxerinnen in Saarbücken in den Ring steigen werden. Eine davon soll natürlich die landesweite Ausnahmeboxerin Sarah Ali vom BC Neunkirchen sein. Aber auch bei der SSV Wellesweiler sind zwei richtig starke Boxerinnen herangereift: Julia Mast (Jugend) und Corinna Wendt (Elite). „Ich freue mich sehr über die Vergabe der DM ins Saarland und will vor hoffentlich möglichst vielen Zuschauern die Goldmedaille erringen“, hat sich Mast hohe Ziele gesetzt. Und auch Wendt arbeitet bereits jetzt akribisch auf die Deutschen Meisterschaften hin: „Ich will in Saarbrücken so weit vorne wie möglich mitmischen und freue mich auf die Kämpfe gegen die besten deutschen Amateurboxerinnen.“

Um das Mädchen- und Frauenboxen im Saarland noch populärer zu machen, wird in Wellesweiler ein- bis zweimal pro Jahr ein gemeinsames Box- und Schnuppertraining angeboten. Eingeladen sind dann sowohl alle bereits aktiven Boxerinnen aus Saar-Clubs als auch Anfängerinnen und Wiedereinsteiger. Zuletzt wurde dieses landesweite Training Ende November durchgeführt.


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