Doppelte Belohnung für Flüchtlingsprojekt

IdS-Stützpunkt VfL Bad Wildungen mit Silbernem Stern des Sports und zweitem Platz des ODDSET Zukunftspreises ausgezeichnet

Hand in Hand zum Erfolg (Quelle: IdS-Archiv)
Hand in Hand zum Erfolg (Quelle: IdS-Archiv)

Es ist der Sommer 2014, die Deutschen sind noch ganz berauscht vom Weltmeistertitel ihrer Fußballer. Die politisch Interessierten sorgen sich um den Konflikt in der Ostukraine und so mancher schüttelt den Kopf über das, was in Syrien und dem Irak passiert. Doch welche drastischen Auswirkungen dieser Bürgerkrieg auf Deutschland haben wird – das ahnen zu diesem Zeitpunkt die wenigsten.

Im Landkreis Waldeck-Frankenberg aber gibt es das Städtchen Bad Wildungen, knapp 17.000 Einwohner, Heilbäderzentrum und Staatsbad. Dort sind sie der Zeit etwas voraus: Bereits Mitte 2014 wird ein Runder Tisch Asyl gegründet, an dem sich zahlreiche Freiwillige Gedanken machen, wie man Flüchtlingen helfen, sie integrieren kann. Einer dieser Ehrenamtlichen ist Wolfgang Ochs, geschäftsführendes Vorstandsmitglied des Vereins für Leibesübungen (VfL) Bad Wildungen. „Ich wusste wenig über Flüchtlinge und ihre Situation, aber ich hatte das sichere Gefühl, dass wir uns engagieren müssen“, erzählt er heute.

Überwiegend positive Erfahrungen

Wer mit Ochs spricht, merkt ihm an, wie sehr ihn die vergangenen anderthalb Jahre verändert haben. Wie viel er über fremde Kulturen und Traditionen gelernt hat – sowie über seinen eigenen Verein und die Bad Wildungener Bürger. Es sind fast durchweg positive Erfahrungen, die er gemacht hat: Schnell waren die übrigen Vereinsverantwortlichen und Übungsleiter überzeugt, dass man die Flüchtlinge – Mitte 2014 waren es in Bad Wildungen bereits 260 – am besten durch Sport integrieren kann.

Bald schon stand der Projektname: „Kennen und verstehen lernen – Flüchtlinge willkommen im Sportverein“. Allen interessierten Asylbewerbern wurde eine kostenlose Teilnahme am Trainings- und Spielbetrieb des Vereins ermöglicht. So lernten ganze Familien schwimmen, junge Männer fanden beim Fußballspielen Anschluss und das Deutsch-Lernen ging fast wie nebenbei. Dafür, dass der VfL Bad Wildungen bereits so frühzeitig und vielseitig reagiert hat, wurde er jetzt gleich doppelt belohnt: Mit dem 1. Preis beim „Silbernen Stern des Sports“ sowie dem 2. Platz beim ODDSET Zukunftspreis des Hessischen Sports.

Anerkennung und finanzielle Entlastung

Neben der Anerkennung tun dem Verein auch die Preisgelder (2.500 bzw. 10.000 Euro) gut. Schließlich müssen die Übungsleiter bezahlt werden, am Anfang übernahm der Verein auch die Eintrittsgelder fürs kommunale Bad, in dem die Schwimmkurse abgehalten wurden. „Familien haben wir außerdem bei der Anschaffung von Sportbekleidung unterstützt, ihnen fehlt selbst für günstige Sachen oft das Geld“, weiß Ochs.

Er hat aber auch die Erfahrung gemacht, dass die Geflüchteten gar keine so hohe Erwartungshaltung haben. „Die meisten haben sich selbst Sport- und Badebekleidung besorgt und später von ihrem Taschengeld den von der Stadt reduzierten Eintritt fürs Schwimmbad bezahlt“, erzählt er. Hilfe – vor allem die nicht-materielle – sei trotzdem sehr willkommen. „Da erlebt man viel Dankbarkeit und blickt in strahlende Augen“, sagt Ochs.

Damit es dazu kommt, erklärt der Geschäftsführer, müssen aber die Vereine den ersten Schritt machen: „In den meisten Herkunftsländern der Flüchtlinge kennt man ja gar keine organisierte Form des Sports“, sagt Ochs. Er ist deshalb mit Sprachpaten in die Flüchtlingsunterkünfte gegangen, hat erklärt, was sein Verein tut und abgefragt, für welche Sportarten sich die Flüchtlinge interessieren. Mit Fußball und Fitness-Training hatte er gerechnet. Aber dass auch Schwimmen und Boxen so weit oben auf der Liste standen? Ochs ist mittlerweile schlauer: „In Syrien ist Boxen fast ein Nationalsport. Und schwimmen wollten viele lernen, um ihre Angst zu überwinden. Einige waren ja übers Mittelmeer gekommen.“

Diesen Wunsch zu erfüllen, war für den Verein eine organisatorische Herausforderung. Schließlich ist das Bad stark ausgelastet, Trainingszeiten sind schwer zu bekommen. Doch irgendwie gelang auch das. Zum ersten Termin kam – neben rund 30 Flüchtlingen jeden Alters – auch ein Bürger, der nicht im Verein aktiv war. Selbst vor einigen Jahren geflohen, war er in Bad Wildungen heimisch geworden. Nun half er einfach so, übersetzte in die vier afrikanischen Dialekte, die er spricht, ging mit ins Wasser, gab Sicherheit.

Andere Länder, andere Sitten

Doch natürlich, gibt Ochs zu, merkte man doch immer wieder, dass die Asylbewerber aus anderen Kulturkreisen stammen: „Mit der Pünktlichkeit haben sich am Anfang viele schwer getan. Manche kamen viel zu früh, andere viel zu spät oder auch mal gar nicht. Wir mussten deutlich machen, dass das Bad nur in einem speziellen Zeitfenster zur Verfügung steht.“

Rund 850 Mitglieder hat der VfL Bad Wildungen. Wie viele davon Migrationshintergrund haben, wird nicht erfasst. „Darum geht es nicht, für uns ist klar, dass jeder zum Sport kommen kann, der das möchte“, sagt der Geschäftsführer. Eher überrascht hat er bei seinem letzten Besuch im Boxtraining festgestellt, dass 16 der 18 jugendlichen Teilnehmer keinen typisch deutschen Nachnamen haben. Er sagt das fast mit ein bisschen Stolz. Stolz darauf, dass Menschen in Bad Wildungen ohne viel Aufheben integriert werden. Auch deshalb, glaubt er, wurde sein Projekt so gut angenommen.

Mittlerweile laufen die Sportangebote seit über einem Jahr. Viele der 60 anfangs interessierten Flüchtlinge sind nicht mehr dabei: weil sie woanders einen festen Wohnsitz gefunden haben, weil sie abgeschoben wurden – oder einfach, weil sie das Interesse verloren haben. „Ist bei den Einheimischen ja auch so: Wenn zehn zum Probetraining kommen, bist du froh, wenn langfristig zwei dabeibleiben“, sagt Ochs. Er sieht da keinen Unterschied.

Neue Pläne

Positiv findet er aber, dass die Flüchtlinge untereinander weitergeben, welche Angebote es beim VfL gibt. „Es kommen immer mal Neue dazu. Jetzt zur Wintersaison wollen wir aber auch nochmal gezielt ansprechen und die Interessen abfragen“, erzählt der Geschäftsführer. Er hat auch schon neue Pläne: Weil vor allem viele Frauen von der Flucht traumatisiert seien, schwebt ihm ein kombiniertes Bewegungs- und Entspannungstraining vor. Leiten könnten dieses zwei geflohene Pakistanerinnen, die Sportwissenschaften studiert haben und sich überlegen, als Übungsleiter einzusteigen.

Nachfrage dürfte es genug geben: 640 Flüchtlinge leben derzeit in der 11.000 Einwohner großen Kernstadt. Trotz der hohen Zahl, sagt Ochs, fallen sie kaum auf. Das bestätigt das Bild, das er in den vergangenen Monaten gewonnen hat: „Diese Menschen sind im Prinzip auch nicht anders als wir. Sie haben nur einen anderen kulturellen Hintergrund, wollen meistens aber dazulernen.“

Ochs könnte noch von vielen tollen und lustigen Begebenheiten berichten. Vom Syrer, der beim ersten Training sagte, man dürfe kein Englisch mit ihm sprechen. Er wolle schließlich Deutsch lernen. Von den Frauen, die ganz überrascht waren, dass es in Deutschland Freizeitangebote für ihr Geschlecht gibt. Und die sich vor Lachen kaum mehr auf den Stühlen halten konnten, als Ochs vorschlug, während des Trainings könnten ja die Männer auf die Kinder aufpassen.

Die Kinder kamen dann mit in die Gymnastikstunde. Nicht jedem langjährigen Mitglied hat das gefallen. Aber bei den meisten hat sich das mit der Zeit gegeben. „Das“, sagt Ochs, „ist für mich Integration: Man lernt Neues kennen und verstehen. Man spricht miteinander und ist sich irgendwann gar nicht mehr so fremd.“


  • Hand in Hand zum Erfolg (Quelle: IdS-Archiv)
    Hand in Hand zum Erfolg (Quelle: IdS-Archiv)