Fachtagung "Zugangswege zu Sport und Gesundheit für Frauen in schwierigen Lebenslagen" am 21.-22.10.2013

Bewegung ist mehr als Zugang zu Gesundheit und Integration ...

Politik, Wissenschaft und Sport diskutieren über Konzepte, Ergebnisse und Perspektiven.

Das Sportamt der Stadt Erlangen (BIG-Projekt) gestaltete in Zusammenarbeit mit dem Programm „Integration durch Sport“ des BLSV und dem Institut für Sportwissenschaft und Sport gemeinsam eine zweitägige Fachtagung und zeigte, dass das Thema nach wie vor nicht ausgeschöpft ist.

Rund 80 Teilnehmerinnen und Teilnehmer begrüßte der Erlanger Oberbürgermeister Dr. Siegfried Balleis neben den Ehrengästen und Gastrednern im Rathaus der Stadt.

Mit der Bundestagspräsidentin a.D. Prof. Dr. Rita Süssmuth übernahm gleich zu Beginn der Tagung eine bundesweit hoch angesehene Expertin zum Thema Frauen das Wort. Sie kennzeichnete Bewegung als „Zentralbereich der menschlichen Exploration“, mit der „ein  Zuwachs an Lernmöglichkeiten und letztlich des Selbstwertgefühls“ einhergehen.

Vor allem soziale Isolation sei Studien zufolge oft der Grund für Erkrankungen. Sport und Bewegung sei, so Süssmuth, „im Sinne der menschlichen Stärkung eine Brücke in andere Bereiche hinein“. Besonders bei Frauen in schwierigen Lebenslagen gäbe es noch sehr viel zu leisten, um hier gleichwertige Beteiligung und Integration in den Bereichen der Gesundheit und des Sports zu erzielen. Besonders wichtig dabei ist nach Süssmuths Ansicht der leichte Zugang zu Informationen und Angeboten für diese Frauen.

 

Prof. Dr. med. Johannes Gostomzyk von der Landeszentrale für Gesundheit in Bayern e.V. setzte sich im anschließenden Impulsreferat kritisch mit dem Thema „Gesundheit und Integration als Motivation für Frauen zu Bewegung und Sport“ auseinander. Trotz zahlreicher Argumente „pro Sport“ als wirksamer Faktor bei der Bildung von Gesundheit lassen sich nicht alle Bürger dazu motivieren, entsprechend zu handeln. Noch schwieriger scheint diese Motivation bei Menschen mit geringerem Einkommen. Bewegung und Sport können bei der Bildung von Gesundheit durchaus wirksam sein, wenn die Zielvorstellungen nicht auf physischer Fitness beschränkt bleiben, sondern auch die Handlungsfreiheit für Gesundheitschancen des Einzelnen im Rahmen seiner sozialen, wirtschaftlichen und politischen Möglichkeiten fördert.

Am Nachmittag waren dann die Teilnehmerinnen und Teilnehmer selbst gefragt, in drei Workshops vertieft einzelne Zugangsmöglichkeiten für Frauen in schwierigen Lebenslagen kennen zu lernen und zu diskutieren.

Themen waren hier der„kultursensiblen Umgang mit Frauen“, der „Aufbau regionaler, tragender Netzwerke“ sowie „passgenaue Qualifizierungsangebote für Frauen im Sport“.

Die großteils hauptamtlichen Teilnehmerinnen und Teilnehmer aus den Bereichen Sport, Kommune und Gesundheitsförderung aus ganz Bayern und weit darüber hinaus erhielten interessante Informationen und konnten ebenso eigene Erfahrungen einbringen.

 

Aus der Ergebnispräsentation im Plenum resultierte schließlich ein gemeinsames Fazit:

Nur langfristige Begleitung und Vernetzung der Frauen anstelle von zeitlich begrenzten Projektansätzen können nachhaltige Erfolge sichern. Kultursensibler Umgang und das Einbeziehen der Frauen sind ebenfalls die Grundvoraussetzungen für ein Gelingen.

Auch Qualifizierungsangebote im Sport können ein erster Schritt sein in Richtung einer nachhaltigen Teilhabe von Frauen und diese zu Multiplikatorinnen und Mitgestalterinnen im Sport werden lassen, wenn sie „passgenau“ sind – also den Bedürfnissen und Fähigkeiten der Frauen entsprechen. Dazu sind spezielle Rahmenbedingungen erforderlich, die in der Praxis durchaus umsetzbar sind, wie etwa weibliche Referentinnen, Kinderbetreuung, Einbindung der Frauen bei der zeitlichen Planung, in Wohnortnähe und kostengünstig. Vor allem die Mitgliedschaft in einem Sportverein wäre eine ernst zu nehmende Barriere für die Teilnahme an einer Basisqualifizierung im Sport.

Die „Karriere“ von Meryem Karabel, die über die Ausbildung zur Sportassistentin interkulturell zunächst zur Kursleiterin für Nordic Walking und Kinderturnen, dann zur Übungsleiterin und schließlich zum aktiven Mitglied im Vereinsvorstand des ATSV Erlangen wurde, gab das beste Beispiel hierfür ab. Sie beschrieb ihren Weg in den Sport sehr emotional und sieht sich als angekommen und aufgenommen „wie in einer richtigen Familie“. Sie steht damit beispielhaft für inzwischen fast 300 Frauen in Bayern, die ähnliche Wege eingeschlagen haben. Ihr Weg scheint heute noch nicht zu Ende, die Aufnahme in den Frauenbeirat des BLSV ist angedacht, das wäre ein toller Erfolg!

 

Eine Podiumsdiskussion schloss den ersten Tag ab. Im Zentrum standen Fragen rund um die Bedeutung der sozialen Integration als Grundlage für ein Leben in Gesundheit. Prof. Dr. Gostomzyk unterstrich noch einmal deutlich, dass die wesentliche Herausforderung in der Partizipation liegt. Und hier geht es darum, diese dauerhaft sicherzustellen und nicht in zeitlich begrenzten Vorzeigeprojekten nur beispielhaft anzureißen. Dem stimmten die Vertreter der Stadt Erlangen zu. Silvia Klein – leitende Verantwortliche für Integration und Internationale Beziehungen – wies in diesem Zusammenhang auf die politische Ebene hin. Man muss immer wieder erneut den Bedarf in der Bevölkerung möglichst genau ermitteln und definieren, um die politische Willensbildung darauf hin zu lenken. Ähnlich äußerte sich der Leiter des Erlanger Sportamtes Ulrich Klement und verwies auf die hauptamtliche Tätigkeit im Bereich der sportlich sozialen Projektarbeit. Damit sichert Erlangen bereits jetzt sein nachhaltiges Engagement zur Integration schwer erreichbarer Zielgruppen in den Sport.

 

Meryem Karabel überzeugte das Plenum durch ihre ganz persönliche Vita und machte dadurch vor allem denen Mut, die insbesondere bei der Erreichbarkeit muslimischer Frauen große Hürden sehen. Hier verwies Conny Baumann als Landeskoordinatorin des Programms „Integration durch Sport“ im BLSV explizit darauf, dass es hier für auch für engagierte Akteure des Sports vor Ort einen langen Atem braucht und in langen Zeiträumen geplant werden muss. Nur Vertrauen und „Schlüsselpersonen“ führen hierbei zu nachhaltigen Kontakten, aus denen schließlich Kooperationsmöglichkeiten hervorgehen.

 

Nach dem gesundheitlichen Schwerpunkt am ersten Tag war der zweite inhaltlich stärker auf den Sport ausgerichtet. Frau Ilse Ridder-Melchers, Vizepräsidentin für Frauen und Gleichstellung im DOSB, betonte in ihrem Redebeitrag die Bedeutung der kulturellen Vielfalt im Sport und den Standpunkt des DOSB als Organisation zum Thema „Sport für alle“. Vor allem im Hinblick auf die Zukunft der Sportvereine sei es notwendig, die gleichberechtigte Teilhabe zu sichern und die Potenziale und Chancen, die sich durch die Vielfalt bieten, zu nutzen. Sie nennte drei wesentliche Voraussetzungen, die es für eine erfolgreiche Umsetzung in der Praxis braucht: (1) „Man muss die Frauen konkret aufsuchen, (2) Vertrauen aufbauen und gewinnen lassen und (3) wir müssen uns untereinander weiter vernetzen.“ Ridder-Melchers bilanzierte selbstkritisch, dass die Verbände des Sports dabei noch nicht alle Hausaufgaben erledigt haben und weiterhin an den Strukturen zu arbeiten ist, um einen tatsächlich gleichberechtigten Zugang für alle Sportinteressierten zu schaffen.

 

Der abschließende Vortrag von Prof. Dr. Alfred Rütten (ISS Erlangen) zeigte die Entwicklung des BIG- Projekts seit seinem Start im Jahre 2005 und den erfolgreichen Weg aus der „Modellprojekt-Falle“, wobei auch Schwierigkeiten und Zukunftsvisionen mit dem Plenum diskutiert wurden. Es sei nicht entscheidend, welche Institution den BIG-Projekt-Ansatz umsetze, sondern dass diejenigen, die sich für die Durchführung eines BIG Projekts entscheiden, die elementaren Bausteine berücksichtigen, um die Nachhaltigkeit von BIG und dessen Wirkungen auf alle Beteiligten zu fördern. Diese sind die umfassende Teilhabe der Frauen an der Planung und Durchführung der Aktivitäten und die frühzeitige Einbindung von Experten und Entscheidungsträgern vor allem auch aus der Politik von Beginn des Planungsprozesses an.

 

Die engagierten Diskussionen  im Anschluss führten zu dem Fazit, dass es vor allem darum gehen muss, die Teilhabe der Zielgruppe so auszugestalten, dass die vielen ungenutzten Potenziale dieser Frauen für den Sport und damit gleichzeitig für die Gesellschaft nutzbar zu machen.

 

Weitere Informationen zur Fachtagung: http://fachtagung-zugangswege.de/