Fußball / Willkommen am Ball

Als Ali aus dem Iran flieht, lässt er alles hinter sich. Familie. Freunde. Geblieben aus seinem alten Leben sind Erinnerungen. Fotos im Handy. Und die Liebe zum Fußball. Eine Liebe, mit der er einmal pro Woche beim SSC Breitensport ein Date hat.

Frank Elbing hebt die Knie. Rechts. Links. Rechts. Links. „Wir machen uns jetzt erst mal warm!“, ruft er in die Runde. Die zehn Jugendlichen vor ihm verstehen kein Wort. Machen aber mit. Frank Elbings Knie sprechen ihre Sprachen. Persisch. Arabisch. Vietnamesisch. Kniehebend geht’s von der Mittellinie zum Tor. Und zurück. Jetzt hinsetzen, Hände seitlich hinter den Rücken. Po hoch. Vorwärts marsch. Die Jungs verstehen und krebsen voran.

Gut zwei Monate ist es her, als fünf junge Ausländer das erste Mal beim SSC Breitensport anklopfen. Sie sind 16, 17, seit ein paar Wochen und Monaten in der Stadt. Ihre Heimat war Syrien. Afghanistan. Vietnam. Bis ihre persönlichen Lebensgeschichten sie entwurzelten.

Frank Elbing und Martin Hermann lassen die Jungs noch zwei, drei Runden durch die Halle laufen. Dann ruft ein Pfiff alle herbei. Malik. Salar. Ali. Name um Name wählen sich die Jungs ihre Mannschaft zusammen. Der ausgestreckte Trainerarm zeigt, wer in welche Richtung spielt. Anpfiff.

 

Ali, 17, steht im Tor. So wie früher. Er spiele Fußball, seit er zwölf ist, sagt er. Seit sechs Monaten ist Ali in Deutschland. Es war nicht seine erste Flucht. 2001 vertreibt der Krieg in Afghanistan seine Familie in den Iran. Da ist Ali ein Kleinkind. Hier lebt er, wie viele afghanische Flüchtlinge, ausgegrenzt, diskriminiert, ohne Perspektive. 15 Jahre lang, dann die Flucht. Türkei, Mazedonien, Serbien, Österreich, Deutschland, Schwerin. Das Asylverfahren läuft. Ali ist einer von derzeit rund 100 minderjährigen unbegleiteten Ausländern in der Stadt. Genau wie die anderen Jungs in der Halle. Zusammen wohnen sie in einem Wohnheim in Schwerin. Wo genau, möchte dessen Träger lieber nicht lesen. Er selbst möchte ebenfalls nicht namentlich erwähnt werden. Zum Schutz der Jugendlichen, sagt der Betreuer und bittet, Ali auch nicht groß ins Bild zu rücken.

Als die ersten fünf Jungs im November zu uns kamen, hätten sie am liebsten gleich in einer Mannschaft mitgespielt, erzählt Martin Hermann. Dafür spiele jedoch das Leistungsgefälle noch nicht mit. Martin Hermann, Co-Trainer der A-Jugend, schlägt ein wöchentliches Training für Flüchtlinge vor, stößt im Verein auf offene Ohren. Auch Frank Elbing, Trainer der D-Junioren, gibt dafür zwei Stunden seiner Freizeit. Meistens kämen zehn, fünfzehn Leute, sagt Martin Hermann. Sie sollen Spaß haben. Aber auch lernen, sich zu integrieren, unterzuordnen, Regeln zu befolgen, Energie abzubauen. Martin Hermann sieht das als kleines Zahnrad in einem langen Prozess der Integration.

Für die zehn Jugendlichen aus Alis Wohnheim ist die wöchentliche Trainingseinheit gesetzt. „Das war eine demokratische Entscheidung“, sagt ihr Betreuer. Demokratisch entscheiden – auch das ist für viele von ihnen eine neue Erfahrung.

Der Ball fliegt hinter Ali ins Netz. Martin Hermann pfeift. Tor?! Der Trainer geht zur Mittellinie, legt den Ball davor, zeigt aufs Tor und schüttelt den Kopf. In der Halle zählt so ein Schuss aus der eigenen Hälfte nicht. Fragende Blicke. Martin Hermann legt noch einmal den Ball vor die Mittellinie, zeigt aufs Tor, schüttelt den Kopf. Dann rollt er ihn auf die gegnerische Seite, blickt zum Tor und nickt. Die Jungs verstehen. Weiter geht’s.

Ali hat Potential. Ein paar andere auch, sagt Trainer Hermann. Wenn es nach ihm geht, soll das Training ein langfristiges Projekt sein, vielleicht einmal in eine eigene Mannschaft und Turniere münden. Bis dahin liegt vor Martin Hermann und Frank Elbing aber noch jede Menge sportliche Arbeit. Und so geht es auch an diesem Nachmittag einmal mehr nicht darum, wer am Ende gewinnt. „Das Spiel geht so aus, dass alle Spaß haben.“

Quelle:   dieschweriner.de
Autor:     Sylvia Kuska