In der Trainingshalle des Boxclubs im Essener Norden geht es rund. Wer intensives Training erleben will, ist hier richtig. Das Tolle: alle sind mit voller Leidenschaft bei der Sache. Unter den etwa 30 aktiven, die an diesem Abend hier trainieren, sind auch sechs Mädchen und junge Frauen. Sie schenken sich im freien Sparring nichts. Schlag auf Schlag geht es unter den Augen der Trainer zur Sache.
„Mich fasziniert der Körpereinsatz“, erklärt die 16-jährige Elvira Müller mit leuchtenden Augen. Die durchtrainierte, vielleicht ein Meter fünfzig große Boxerin sprüht förmlich vor Dynamik. Für sie ist der Sport selbstverständlich. Ihr Vater ist Trainer im Club und ihr Bruder boxt ebenfalls. Allerdings sieht sie in ihrem Sport auch ganz handfeste Vorteile: „Ich bin klein, da will ich mich wehren können“, unterstreicht sie, „außerdem will man als Mädchen gut aussehen und Boxen ist vorteilhaft für die Figur.“ Der Erfolg ist ihr anzusehen…
Frauenboxen hatte keinen leichten Stand in der Sportgeschichte. Erst 1995 wurde es in den deutschen Amateur-Boxverband (das Amateur wurde inzwischen gestrichen) aufgenommen und 2012 wird es in London erstmals olympisch sein. Derzeit sind 10.900 von 67.100 registrierten Mitgliedern weiblich. Rund 300 Frauen nehmen aktiv an Wettkämpfen teil.
Integration: Beim BC Vogelheim selbstverständlich
Die Boxregeln unterscheiden sich nicht wesentlich vom Männerboxen, lediglich sind im Wettkampf die Runden kürzer und man benötigt keinen Tiefschutz. Brustschutz ist möglich.
„Von unseren rund 70 Mitgliedern sind zehn Prozent Mädchen“, erläutert Franz-Josef Stahlschmidt, der 1. Vorsitzende des BC Vogelheim, „und 80 Prozent Menschen mit Zuwanderungsgeschichte.“ Integration ist in diesem Club selbstverständlich. „Es ist doch ganz gleich, wo jemand herkommt und welche Religion man hat“, sagt Stahlschmidt. „Hauptsache, er/sie kann etwas. Momentan sind mit Alexander Schunkow und Alexander Müller zwei Trainer aus der Ukraine beim BC Vogelheim tätig. Alexander Müller ist mittlerweile Geschäftsführer.” Integration wird so gelebt – im und außerhalb des Sports.
Gelebte Integration
Karina Schunkova bestätigt: “Hier im Club steht der Sport im Mittelpunkt und nicht, woher man kommt.” Die 13-jährige Boxerin steht ihrer Clubfreundin Elvira an Energie und Ausstrahlung in nichts nach. “Beim Boxen k ann man alles trainieren. Schnelligkeit, Kondition, Strategie”, kommt es wie aus der Pistole geschossen. “Es ist auch interessant, gegen Jungs zu boxen, weil man seine Grenzen kennenlernt und sich beweisen kann.”
“Insbesondere die Mädchen brauchen unsere volle Aufmerksamkeit”, erklärt Alexander Müller, “sie wollen gesehen werden, wenn sie zeigen, was sie drauf haben.” Jungs seien da anders. Wer den Trainern bei der Arbeit zuschaut, spürt diesen Unterschied jedoch kaum. Denn sie sind voll bei der Sache, ganz gleich, ob beim Anfänger oder dem “Profi”, bei männlichen oder weiblichen Sportlern. Wie sich die Zeiten geändert haben, zeigt, welches Boxidol die Mädchen des BC Vogelheim wählen: Weltmeisterin Ina Menzer. Die Mönchengladbacherin stammt übrigens aus Kasachstan…
Text und Fotos: Michael Stephan
(veröffentlicht in “Wir im Sport” 05.2010|JUGEND)