Im Gespräch: 20 Jahre Integration durch Sport: „Sich öffnen und zusammen Sport treiben“

Seit 20 Jahren tragen die Sportvereine in Deutschland mit dem Programm „Integration durch Sport“ erfolgreich zur Integration von Migrantinnen und Migranten bei. Zwei Jahrzehnte, in denen die Vereine bewiesen haben, wie wichtig die Rolle des Sports für die Gesellschaft ist. Auf einem Festakt im Juni in Berlin bedankte sich Bundesinnenminister Dr. Wolfgang Schäuble im Namen der Bundesregierung bei allen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern und ehrenamtlichen Helferinnen und Helfern der Integrationsprojekte in den Vereinen und Verbänden. Über das Programm „Integration durch Sport“ im Landessportverband Schleswig-Holstein sprach das SPORTforum mit dem Vorsitzenden des Ringerverbandes Schleswig-Holstein und Integrationsbotschafter des DOSB, Georges Papaspyratos, Kerem Bayrak, dem 2. Vorsitzenden von Intertürk Spor Kiel und Integrationsbeauftragten des Schleswig-Holsteinischen Fußballverbandes, und mit dem Integrationsbeauftragten des LSV, Dieter Jöhnk.

SPORTforum: „Wo  liegen die Hemmnisse bei den Integrationsbemühungen durch Sport ?“

Georges Papaspyratos: „Bei vielen, nicht nur bei Zuwanderern, herrscht eine negative Einstellung zum Ehrenamt. Das kommt zum einen durch die Unkenntnis über die Struktur des deutschen Sports und zum anderen durch das Fehlen der Informationen über die demokratischen Prinzipien im Sportverein und natürlich auch durch mangelnde Sprachkenntnisse. Die Politik fördert momentan in vorbildlicher Weise die Bemühungen in den Sportvereinen.“

Kerem Bayrak: „Die Hemmnisse liegen vor allem in den gegenseitigen Vorurteilen zwischen Sportvereinen und Migranten. Sie abzubauen, dieser Aufgabe habe ich mich insbesondere gestellt.“

Dieter Jöhnk: „Die Motive der Menschen, die zu uns kommen, sind unterschiedlich. Wer aus nackter Not zu uns kommt, ist in einer anderen Situation als der, bei dem wirtschaftliche Gründe im Hintergrund zu ahnen sind. Beide Gruppen haben unterschiedliche Bedürfnisse. Diejenigen, die über Kenntnisse in der deutschen Sprache verfügen, sind im deutschen Vereinswesen leichter zu integrieren als die, denen dieser Zugang (noch) fehlt. Monoethnische Vereine dürfen keine Sackgasse bei der Integration werden. Sie sind aber eine Möglichkeit, bei der Integration erste Dienste zu leisten. Das Ziel ist aber nicht, dem Mitbürger hier in der Gesellschaft ein Leben zu ermöglichen, das die alten Bedingungen nur abbildet.“

SPORTforum: „Wo sehen Sie ihre Aufgaben als Integrationsbeauftragter bzw. –Botschafter ?

Papaspyratos: „Authentisch und engagiert für das Thema „Integration durch Sport“ zu werben und eine Vorbildfunktion auszuüben. Repräsentation bei Medien, Veranstaltungen und Tagungen in Abstimmung mit dem DOSB und dem LSV. Meine interkulturellen Erfahrungen weitergeben, z.B. bei Besuchen bei Stützpunktvereinen oder in Seminaren. Aber auch im Erfahrungsaustausch mit Vereinsmitgliedern und Beteiligung an Großveranstaltungen, wie z.B. dem Tag des Sports des LSV.“

Dieter Jöhnk: „Der Mitgliederschwund in vielen Vereinen hat dazu geführt, dass Vereine neue Mitglieder suchen. Immer mehr Vereine erkennen, dass hierin eine Chance liegt, neue Mitglieder aus anderen Kulturkreisen zu gewinnen. Ich wünsche mir, dass noch mehr Vereine ihre Angebote auch auf die Bedürfnisse von Menschen mit Migrationsintergrund erweitern. Bei der Gewinnung neuer Zielgruppen, der vermehrten Ausbildung von Übungsleitern und der Gewinnung ehrenamtlicher Helfer, sind  die Vereine als Träger des Sports in unserer Gesellschaft bereits ein gutes Stück vorangekommen. Ich wünsche mir, dass die Vereine auf diesem Weg weitermachen und weitere Verbesserungen bei der Integration von Migrantinnen und Migranten über den Sport erreichen. Vorrangiges Ziel hierbei ist, ihren Anteil im Sport zu erhöhen und Integration als wechselseitigen Verständigungsprozess lebendig zu gestalten. Die Integration wird nur dann erfolgreich sein, wenn auf Seiten der einheimischen Bevölkerung die noch vorhandenen Vorurteile weiter abgebaut werden und eine entsprechende Bereitschaft auch bei den zu Integrierenden besteht.“

SPORTforum: „Wollen nicht viele Menschen im Sport lieber unter sich bleiben ? In einem Verein mit nur russisch oder türkisch sprechenden Sportlern ?“

Bayrak: „Viele Menschen in unserem Sportverein sind in den 70er und 80er Jahren als Gastarbeiter nach Deutschland eingeladen worden. In den Sportvereinen wurden sie aber als Gastarbeiter nicht ernst genommen, tägliche Diskriminierungen waren die Folge. Sogar ich habe das noch Anfang der 90er-Jahre gespürt, bei Spielen in der 3. Mannschaft nicht eingesetzt zu werden.
 
Das waren die wesentlichen Gründe , dass der Verein 1989 gegründet wurde
Wir sind aber heute der Meinung, dass es für die Jugendlichen der falsche Weg ist, in einer Subgruppe ihren Sport zu organisieren. Sie müssen sich öffnen und mit anderen zusammen dem Sport nachgehen. Dieser Verantwortung sind wir uns sehr bewusst. Die Zusammenarbeit mit dem LSV und dem SHFV zeigt auch schon sehr weitreichende Auswirkungen, die Familien lernen von uns, ihre kulturelle Wurzel etwas zu lockern, damit die Jugendlichen eine Zukunft entwickeln können.

Jöhnk: „Genau an dieser Stelle sehe ich das Problem. Natürlich wird ein junger Mensch den Wunsch haben, mit Landsleuten zu kommunizieren. Nur integrieren wird er sich dadurch kaum. Wenn sich in einer Nation Parallelgesellschaften bilden, ist das der Integration abträglich. Gemeinsame Sprache und gemeinsame Werte sind hierfür eine Bedingung. Nur wenn Probleme auch angesprochen werden, können Sie gelöst werden. Der bloße Kontakt, der zwangsläufig durch Spiele und Organisation von eigenethnischen Vereinen entsteht, ist nur dann förderlich, wenn zusätzlich  interkulturelle Begegnungen Möglichkeiten für Lern- und Annäherungsprozesse bieten. Durch gewalthaltige Konflikte wie sie beim Aufeinandertreffen von ethnischen und deutschen Mannschaften vor allem im Fußball zu sehen sind, vergrößert sich die Distanz. Die Einstellung und Ausrichtung der Vereine ist entscheidend.

SPORTforum: „Lässt es sich  in den Vereinen zahlenmäßig belegen, dass das Programm Integration durch Sport in unseren Vereinen angekommen sind ?“

Papaspyratos: „ Das ist eindeutig belegbar. Bevor wir in das Programm eingestiegen sind, hatte der Verein TuS Gaarden ca. 150 Menschen mit Migrationshintergrund weniger. Von etwa 1.300 Mitgliedern sind etwa 450 Mitglieder mit Migrationshintergrund, die vor allem in 6 Abteilungen ihrem Sport nachgehen. Prozentual am höchsten ist der Anteil beim Ringen, dann beim Tae Kwon Do und Boxen und im Fußball. Ähnlich ist es in Lübeck, bei einem Stützpunktverein, bei dem ich nachgefragt habe.

SPORTforum: „Welche politischen Strukturänderungen muss es geben in der deutschen Sport-Landschaft, um die Zielgruppe der Migranten/ insb. der Migrantinnen mit Angeboten zu erreichen ?“

Papaspyratos: „Sport muss in der Verfassung verankert werden. Da muss auch das Thema Integration im und durch den Sport implementiert werden. Alle politischen Entscheidungen und Programme hängen vom Wähler ab, somit müssen die Menschen, nicht nur die Migranten, erreicht werden, die uns mit ihrer Kritik weiterhelfen können. Das bedeutet auch, dass sich junge Menschen beteiligen müssen an politisch- demokratischen Aufgaben, das Seminar „Sport Interkulturell“ ist bspw. ein hervorragendes Lernfeld für alle, um im interkulturellen Dialog hier herangeführt zu werden.

SPORTforum: „Was kann der Fachverband, der Ringerverband Schleswig-Holstein, bei dem sie ja 1. Vorsitzender sind, leisten für die Integration und was erwartet der Verband vom LSV ?“

Papaspyratos: „Es ist gut, dass ein Netzwerk entstanden ist, aber das muss bestehen bleiben und ausgebaut werden, z.B. mit der ARGE, mit Betrieben usw.
Als Verbands- und Vereinsvertreter würde ich mir professionelle Werbeinstrumente wünschen, um z.B. unsere Initiative „Ringen an Schule“ werbewirksam vermarkten zu können und Sponsoren für dieses gesellschaftliche Engagement zu aquirieren. Denn letzten Endes kommt es ja wieder der Gesellschaft zugute, wenn den Kindern Regeln, Normen und Werte durch den Sport vermittelt werden und es kostet den Steuerzahler weniger, als wenn Justizanstalten betrieben werden müssen.

SPORTforum: „Fördern ethnische Vereine die Integration oder hemmen sie sie ?“

Bayrak: "Unser Verein Inter Türkspor Kiel ist meiner Meinung nach wesentlich weiter entwickelt als ethnische Vereine und befindet sich im Netzwerk mit politischen Gremien, Organisationen und z.B. auch Projekten des LSV. Die Kinder werden bei uns vorbereitet auf das gesellschaftliche Leben. Wir wollen keine Assimilation, aber unser Partner  muss genauso wie wir auch bereit sein, die andere kulturelle Herkunft zu verstehen, wir können sie eben nicht einfach ausblenden. In unserem Verein finden sich 19 unterschiedliche Nationen wieder.
Aber ethnische Vereine, z.B. in Köln, Berlin, müssen sich öffnen, damit ein interkultureller Dialog entstehen kann, ansonsten entwickeln sich parallele Gruppen, die nebeneinander herleben.“

SPORTforum: „Wie zeigt sich Integration durch Sport in der Vereinspraxis ?“

Bayrak: „Zum Beispiel wollen unsere Fußballer auch gerne nach dem Spiel mal mit den Spielern der gegnerischen Mannschaft nach dem Spiel einen Tee oder eine Cola trinken und sich somit näher kommen. So können alle gegenseitigen Respekt voreinander lernen und das geht auch ohne Alkohol !“ Wir bemühen uns um offene Türen, wir suchen den Kontakt zum Arbeitsamt, zu Jugendförderprojekten. Bei der Talentförderung nehmen wir auch Kontakt mit anderen Vereinen auf und helfen den Spielern in anderen Mannschaften weiterzukommen. Ein großes Potential liegt noch in der Integration von Migrantinnen, insb. von Musliminnen. Über 60 Mädchen nehmen am Tanzangebot des Vereins teil. Bei muslimischen Frauen ist das Problem, dass sie nicht öffentlich Sport treiben dürfen. Geschlossene, nicht öffentliche Rahmen müssten geschaffen werden, damit die Frauen z.B. an Gymnastikangeboten, Schwimmen teilhaben können. Es fehlen aber auch manchmal wieder Informationen, so ist z.B. das Fußball-Spielen mit Kopftuch erlaubt, was viele Schiedsrichter und Trainer nicht wissen. Groß ist auch der Bedarf nach offenen Sportangeboten und freiem Spielbetrieb, dem viele der Traditionsvereine nicht nachkommen.

SPORTforum: „Was beinhaltet Ihre Aufgabe als Integrationsbeauftragter des SHFV ?“

Bayrak: Als ehrenamtlicher Integrationsbeauftragter des SHFV bin ich vor allem Ansprechpartner für alle Fragen der Integration im Präsidium und im Verband. Zudem vertrete ich den SHFV in diesen Dingen beim DFB und habe eine Art Schlichterfunktion für Gerichte und Vereine. Wir (Integrationsbeauftragte) stellen fest, dass ein sehr hoher Informationsbedarf auf beiden Seiten herrscht. Der DFB spürt letztendlich auch, dass deutsche Kinder weniger werden und das Potential von fußballspielenden Kindern aus Migrantenfamilien sehr hoch ist.

SPORTforum: „Herr Papaspyratos, Sie sind Integrationsbotschafter des DOSB. Welchen Stellenwert hat das Programm Integration durch Sport auf Bundesebene ?“

Papaspyratos: „Einen hohen Stellenwert, und zwar auf allen Ebenen der Politik und in der Wirtschaft. Bei allen Einladungen war allerdings der Anteil von Menschen mit Migrationshintergrund sehr gering. Das liegt daran, weil Führungspositionen im Sport, in der Wirtschaft und in der Politik noch nicht von Migranten erreicht wurden. Aber insgesamt ist das Programm hoch aufgehängt, das nationale Integrationskonzept (der Nationale Integrationsplan) muss allerdings noch mit Leben und Inhalten gefüllt werden.“

LSV/lüb/nig


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