Im Interview: Sabine Wölfle MdL – Sportpolitische Sprecherin der SPD-Landtagsfraktion

Die grün-rote Landesregierung hat durch die Einrichtung eines

Ministeriums für Integration dem Thema einen bisher nicht gekannten Stellenwert eingeräumt. Anlass genug, bei den integrations- bzw. sportpolitischen Sprechern der Landtagsfraktionen nachzuhaken, inwieweit sie Sport als Integrationsmedium wahrnehmen.

 

Nach Daniel Lede Abal (Bündnis 90/Die Grünen), Andreas Glück (FDP) und Dr. Bernhard Lasotta (CDU) interviewten wir für den letzten Teil der Serie Sabine Wölfle. Sie ist Abgeordnete des Landtags für den Wahlkreis Emmendingen und sportpolitische Sprecherin der SPD-Landtagsfraktion.

Foto:Wölfle
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Um welche Themen kümmern Sie sich als Mitglied im Integrationsausschuss und im Arbeitskreis Integration?

Ich kümmere mich vor allen Dingen um die sprachliche Bildung von Migrantinnen und Migranten in allen Bereichen. Ich halte dies bereits im Asylverfahren für sehr wichtig, da man da schon an den Spracherwerb herangehen muss. Dazu gehören vor allem auch schulpflichtige Kinder von Asylbewerbern. Die Kinder kommen aus vielen verschiedenen Ländern und gehen ohne deutsche Sprachkenntnisse in die Schulen. Das ist zwar ein Bundesgesetz, aber an dem Thema muss man unbedingt arbeiten. Wir haben eine wachsende Zahl von Asylbewerbern und diese Kinder haben denkbar schlechte Startchancen, übrigens auch dann, wenn das Verfahren abgeschlossen ist und sie dann entweder anerkannt sind oder zurück in ihre Herkunftsländer gehen müssen - Sprache ist immer wichtig.

Welche Wertigkeit besitzt das Thema Integration bei den Parlamentariern?

 Integration ist ein Querschnittsthema. Das geht durch alle politischen Felder hindurch. Wir haben mit Übernahme der Regierung 2011 dem Thema Integration eine besondere Wertigkeit gegeben, indem wir ein neues Ministerium geschaffen haben. Damit wollen wir klar machen, dass uns das Thema sehr wichtig ist. Dieses Integrationsministerium hat übergreifend in alle Ministerien hinein Aufgaben, z.B. wenn wir über Bildung oder über Sport reden. Wir hatten gestern (30.01.2013) eine Debatte im Landtag zum Thema Migrantinnen und Migranten im Polizeidienst, ein ganz wichtiger Bereich. Zudem hat Frau Ministerin Altpeter das Thema angestoßen, Migrantinnen und Migranten z.B. in der Pflege einzusetzen. Wir haben die sogenannte kultursensible Pflege. Viele Menschen mit Migrationshintergrund gehen selbst in die Pflegeheime und auch da brauchen wir Menschen, die den kulturellen Hintergrund haben. Man sieht, Integration ist ein Thema quer durch alle Bereiche der Gesellschaft.

Dem Sport wird aus Sicht der Politik großes Potenzial für soziale Integration unterstellt. Welche Potenziale sehen Sie im Sport für eine gelingende gesamtgesellschaftliche Integration?

Ich halte den Sport für eines der allerwichtigsten Instrumente zur Integration überhaupt. Weil der Sport natürlich auf sehr einfache Weise Menschen mit Migrationshintergrund integrieren kann. Ich kann im Sport zunächst einmal auch ohne große Sprachkenntnisse mitmachen. Ich kann einen Jungen, der z.B. türkische Eltern hat, hier geboren ist, aber vielleicht keine so guten Deutschkenntnisse hat, schon als Kindergartenkind wunderbar in eine Mannschaft integrieren. Und ich glaube, dass da eben auch der Spracherwerb dann deutlich schneller geht, weil die Durchmischung der Kinder, also auch mit deutschem Hintergrund, einfacher funktioniert und dass dadurch die Kinder nicht in dieser nationalen Isolation bleiben. Ich habe bei mir vor Ort einen Stadtteil, da bleiben die Menschen mit Migrationshintergrund unter sich, sie haben eigene Vereine, eigene Gruppen und da bietet der Sport natürlich ganz andere Möglichkeiten. Nur müssen wir schauen, dass wir diese Kinder auch in die Sportvereine hinein bekommen, das gilt genauso für Erwachsene. Der Sport bietet auch für sie Möglichkeiten, Kontakte in die deutsche Mehrheitsgesellschaft zu bekommen. Nicht nur durch Training, sondern auch mit dem, was der Sport ja auch bietet: die soziale Komponente wie Vereinsfeste oder gemeinsame andere Aktivitäten. Da sind einfach große Potenziale und ich würde mir wünschen, dass wir hier noch viel aktiver werden.

Viele Verantwortliche in den Sportvereinen sagen, wir sind offen für alle, Menschen mit Migrationshintergrund können gerne an unseren Angeboten teilnehmen. Aber spezielle Angebote, die auch auf kulturspezifische Gegebenheiten eingehen, werden selten gemacht. Wie könnte man diesen Personenkreis für das Thema Integration noch stärker gewinnen?

Meine Erfahrung ist, zumindest wenn ich auf Landesebene mit Vertretern des organisierten Sports rede, dass da eine große Sensibilisierung vorhanden ist. Es gibt ja auch viele Programme vom Landessportverband, vom Deutschen Olympischen Sportbund. Das Problem ist die Umsetzung durch die kleinen Vereine vor Ort. In der großen Linie wird viel getan, da gibt es auch viele Angebote. Schau ich mir aber die Sportvereine vor Ort an, dann ist da schon eine gewisse Ratlosigkeit. Man sagt ja, uns gibt es, wir machen die Angebote, aber aus irgendwelchen Gründen werden die nicht angenommen. Ich selbst möchte mich jetzt dem Thema stärker widmen, in dem ich tatsächlich mal Migrantensportvereine zu einem runden Tisch nach Stuttgart einlade, gemeinsam mit den Vertretern des organisierten Sports, um mal herauszufinden, warum werden die Angebote a) nicht angenommen und b) warum werden von Migranten eigene Sportvereine gegründet, wo sie wieder unter sich bleiben. Da muss es einen Grund geben und da muss man versuchen, Gespräche zu führen, um mal hinter die Mauer zu schauen.

Es gibt natürlich ein schlagkräftiges Argument, das wissen die Vereine auch, nämlich die rückläufigen Mitgliederzahlen. Immer weniger Menschen werden Mitglied in einem Sportverein. Die Gründe dafür sind vielfältig, z. B. weil es mittlerweile Trendsportarten gibt, nehmen wir mal Nordic Walking, Mountainbiking und so weiter, dann gibt es die Fitnesscenter. Viele Menschen treiben ja Sport, aber nicht im organisierten Vereinssport, sondern nehmen andere Angebote wahr. Man könnte den Vereinen sagen, wenn ihr euch weiterentwickeln wollt, dann müsst ihr Euch öffnen, z.B. auch für neue Sportarten, das machen ja viele bereits mit Erfolg .Aber man braucht auch die Migranten. Baden-Württemberg hat einen Migrationsanteil von 25 Prozent und da gibt es Möglichkeiten, dem demografischen Wandel entgegen zu wirken und neue Mitglieder zu gewinnen. 

Es gibt Situationen, z.B. im Fußball, dort passiert eher das Gegenteil von Integration. Was würden Sie jemandem entgegnen der sagt, dass Sport überhaupt nicht integrativ ist?

Wir haben viele Spitzensportler mit Migrationshintergrund, vor allem im Bereich Fußball. Es gibt da viele gute Beispiele. Ich glaube aber auch, es gibt noch Mauern im Kopf, Berührungsängste von beiden Seiten. Es gibt natürlich auch eine unterschiedliche Auffassung, was Sport bedeutet. Einerseits ist es für viele Migranteneltern ein Unding, wenn die Tochter über ein bestimmtes Alter hinaus im Sportverein aktiv wäre. Andererseits gibt es Vorurteile bei den Sportfunktionären, weil die sagen, da braucht man ja gar nichts machen, die dürfen ja eh nicht kommen. Das sind schon festgefahrene Vorurteile. Ich glaube, dass wir durch unsere Integrationspolitik dieses Thema stärker in die Mehrheitsgesellschaft hineintragen können. Die Angebote, die der Landessportverband hier macht und wie auch das Thema bearbeitet wird, das ist der richtige Weg und das muss viel stärker in die unteren Gliederungen hinein, weil das bisher nach meinen Beobachtungen noch an der Oberfläche bleibt. Ein kleiner Sportverein irgendwo im Hotzenwald oder im Schwarzwald hat das Thema vielleicht noch nicht so verinnerlicht. Dort gibt es aber auch Menschen mit Migrationshintergrund.

In letzter Zeit sind Migrantenselbstorganisationen in den Fokus der Integrationsarbeit gerückt, auch Migrantensportvereine. Wie stehen Sie zu diesen Organisationen?

Ich halte das für den falschen Ansatz. Anscheinend haben viele Migranten das Gefühl, sie müssen unter sich bleiben. Ich habe bei mir vor Ort einen multikulturellen Fußballclub, da ist kein einziges deutsches Kind oder Jugendlicher dabei. Dieser Verein setzt sich aus vielen verschiedenen Nationalitäten zusammen. Es gibt keinen Sportverein auf deutscher Seite, der mit diesem Verein ein Turnier bestreiten will, weil man sagt, da fehlt die Jugendarbeit, da fehlt Fair Play, sportliche Fairness insgesamt, da gibt es ganz große Vorurteile. Wobei dieser Sportverein sich um die jugendlichen Migranten sehr bemüht. Es gibt einen gemeinsamen Trainingsplatz und ein gemeinsames Vereinshaus mit einem anderen Fußballverein und da beginnen die Vorwürfe auch gleich, z. B. dass die Umkleidekabine unordentlich verlassen wird und so weiter. Diese Vorurteile sind unendlich. Ich glaube, da wird zu wenig miteinander geredet. Man muss den Leuten klar machen, dass das Miteinander in einer Mannschaft eine Bereicherung für beide Seiten ist. Übrigens auch für die Eltern. Auch wieder ein Vorurteil, was leider oft zutrifft, dass mir z.B. ein örtlicher Fußballverein sagt, wenn man mal Kinder mit Migrationshintergrund in der Mannschaft hat und es geht um ein Vereinsfest, dann beteiligen sich die Eltern nicht. Aber ohne die Unterstützung der Eltern auf ehrenamtlicher Basis können  viele Angebote gar nicht erst gemacht machen. Für diese Eltern ist unsere Art von Vereinsleben fremd, da muss man sicher erst Überzeugungsarbeit leisten. Das ist ein schwieriger Weg. Ich halte reine Migrantensportvereine, und die scheinen ja zuzunehmen, für den falschen Weg. Wir brauchen verstärkt die Öffnung der lokalen der regionalen Sportvereine in Richtung der Migrantenvereine. Es muss wohl eher von deutscher Seite kommen, zu einem gemeinsamen Turnier oder zu einem Fest einzuladen. Ich glaube, dass die Migrantensportvereine von sich aus wenig machen werden.

Wo sehen Sie den Sport positioniert beim Thema Integration im Vergleich zu anderen im Themenfeld aktiven Organisationen wie z.B. den Wohlfahrtsverbänden?

Der Sport ist sehr breit aufgestellt und er bietet ja in dem Sinne ein niederschwelliges Angebot an. Ich kann z.B. eine türkischstämmige oder eine Frau aus dem Kosovo, die kaum Deutsch können, trotzdem mit in den Sportverein nehmen. Wenn ich andere Angebote mache, bei denen Sprache benötigt wird, ist die Hürde höher. Ich glaube, dass der Sport durch dieses Niederschwellige viel schneller integrativ arbeiten kann und daher eines der wichtigsten Integrationsinstrumente ist.

Auch auf die jeweiligen kulturellen Hintergründe könnte man besser eingehen und entsprechende Angebote machen, z. B. Frauenschwimmen für islamische Frauen im Hallenbad. Wenn die Rahmenbedingungen stimmen, können an diesem Angebot auch Frauen mitmachen, die sich sonst nur mit Kopftuch oder Schleier in der Öffentlichkeit bewegen. Oder auch reines Frauenturnen, das nicht gerade parallel zu irgendeiner Männersportart stattfindet, weil dann die Frauen sagen, ich kann da nicht mitmachen, weil ich sonst einem Mann begegnen könnte. Das kann man organisieren und das ist auch möglich.

Ich habe bei mir vor Ort z. B. in dem bereits erwähnten Stadtteil ein Bürgerhaus, dort sind viele Angebote für Migrantinnen und Migranten vorhanden, von der Jugendarbeit bis zum Kindergarten, Seniorenbetreuung und so weiter. Dort könnten sich die Sportvereinsvertreter treffen und sich darüber austauschen, welche Angebote gemacht werden könnten. Da könnten sich die Frauen auch mal melden. Mir ist aber auch bewusst, das habe ich auch selbst erlebt, dass wir die Frauen und Mädchen mit Migrationshintergrund zum größten Teil nicht erreichen. Bei den Jungs ist es leichter. Bietet man dort einen Kampfsportkurs an, sind die Jugendlichen gleich dabei. Sobald es an die Mädchen geht, wird das schwieriger.

Wo sehen Sie im Themenfeld Integration die größten Probleme und Chancen des Sports?

Die besten Chancen sehe ich für den Sport im Bereich Ganztagesschule. Das ist für mich im Moment der wichtigste Zugang. Hier sind wir auch stark im Dialog mit dem Sport. Ich plane dieses Jahr viele lokale Gespräche zu diesem wichtigen Thema. Wir haben in vielen Orten des Landes Klassen mit hohem Migrationsanteil bei den Schülerinnen und Schülern. Da hoffe ich, dass die Sportvereine sich Angebote überlegen, wie sie diese Jugendlichen und Kinder mitnehmen können. Ich bin überzeugt, dass der organisierte Sport hier seine Chance ergreifen wird und sich aktiv beteiligt. Zum einen um mehr Mitglieder zu gewinnen, aber vor allem, um als wichtiger Bestandteil im Ganztagsunterricht angesehen zu werden und damit dem Sport auch im schulischen Bereich eine große Wertigkeit zu geben. Und wenn wir früh anfangen, mit dem Sport auch die Integration zu verbinden, ist schon viel gewonnen und zwar für beide Seiten.

Frau Wölfle, wir danken Ihnen für das Gespräch.


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