Interview mit Daniel Lede Abal - Integrationspolitischer Sprecher der Fraktion Grüne im Landtag

Die grün-rote Landesregierung hat durch die Einrichtung eines Integrationsministeriums dem Thema Integration einen bisher nicht gekannten Stellenwert eingeräumt. Für uns als Programm „Integration durch Sport“ Anlass, bei den integrationspolitischen Sprechern der Landtagsfraktionen nachzuhaken, inwieweit sie Sport als geeignetes Integrationsmedium ansehen. Den Auftakt macht Daniel Lede Abal. Er ist Landtagsabgeordneter der Grünen für den Wahlkreis Tübingen und deren Integrationspolitischer Sprecher. Früher war er Schiedsrichter im Handball, kennt sich also im Sport aus. Im Interview informiert er von seiner Tätigkeit als integrationspolitischer Sprecher und spricht über die Integrationspotentiale des Sports.

Daniel Lede Abal, Bündnis 90/Die Grünen (Foto: Lede Abal)
Daniel Lede Abal, Bündnis 90/Die Grünen (Foto: Lede Abal)

Um welche Themen kümmern Sie sich als integrationspolitischer Sprecher der Grünen?

Ich befasse mich vor allem mit rechtlichen Fragen. Dabei geht es um das Aufenthaltsrecht und um soziale Rechte. Also welche Hilfen Migrantinnen und Migranten in Anspruch nehmen können. Oder welche Hilfestellungen wir eigentlich benötigen, die das System noch nicht kennt, z.B. bei der Sprachbildung. Das Thema Sprachbildung ist oft ein Problem. Vielen Menschen mit Migrationshintergrund fehlen oft Lebenswelten, in denen die deutsche Sprache eine Rolle spielt, weil sie sich oft zu sehr unter anderen Migrantinnen und Migranten bewegen und ihre Muttersprache sprechen. Das ist, auch als Staat, schwer steuerbar. Hier kann der Sport ins Spiel kommen. Beim Sport treiben kommt man in Kontakt mit anderen, z.B. mit anderen Migrantengruppen. Wenn sich ein Grieche mit einem Italiener unterhalten muss, weil man sich als Sportler verständigen muss, dann werden sie sich in Deutschland doch eher auf die deutsche Sprache einigen, weil das die gemeinsame Sprache ist.

Welche Wertigkeit besitzt das Thema Integration bei den Parlamentariern?

Ich würde allen Kollegen im Landtag zugestehen, dass sie Integrationspolitik wollen. Was aber manche aus meiner Sicht vielleicht zu sehr vertreten ist, wer sich integrieren will, der muss es auch richtig zeigen. Ich glaube, dass wir zu einem sehr frühen Zeitpunkt, sowohl bei Kindern und Jugendlichen, als auch bei erwachsenen Zuwanderern offensiv auf sie zugehen und Möglichkeiten für die Menschen schaffen, sich auszudrücken und hier anzukommen, hier lernen sich auszukennen. Da wünsche ich mir eine sehr aktive Rolle der Sportvereine. Ich als Sportverein muss dann natürlich überlegen, sind die Angebote, die ich als Sportverein bereit stelle, meine Abteilungsstruktur, mein Trainingsprogramm, so attraktiv dass ich Leute gewinnen kann, die das deutsche Vereinswesen nicht so kennen. Mittlerweil gibt es auch Vereine, die neue Wege gehen und versuchen, über gezielte und unterstützende Arbeit z.B. für die Schulen oder auch über Elternarbeit ganz gezielt Migrantinnen und Migranten anzusprechen. Als gelungenes Beispiel fällt mir der Kraftsportverein Stuttgart ein, der das wirklich sehr toll aufgebaut hat. Ich kenne noch andere Vereine, die mit ähnlichen Konzepten arbeiten und die sich darüber eine ganz neue Klientel erschlossen haben, die vorher nie den Weg in den Verein gefunden hätte.

Viele Verantwortliche in den Sportvereinen sagen, wir sind offen für alle, Menschen mit Migrationshintergrund können gerne an unseren Angeboten teilnehmen. Aber spezielle Angebote werden nicht gemacht. Wie könnte man diesen Personenkreis für das Thema Integration gewinnen?

Hier ist es sicher angebracht, bei dem Personenkreis ein Umdenken einzuleiten. Menschen sind ja lernfähig. Das geht weit über den Sport hinaus und betrifft zum Beispiel auch ein Ehrenamt wie die Feuerwehr. Dort hat ein Umdenkprozess stattgefunden. Es wurde überlegt, was muss sich ändern, damit Migrantinnen und Migranten den Weg in die Feuerwehren finden, weil uns sonst in wenigen Jahren einfach der Nachwuchs fehlt und die Feuerwehren Einsatzstärken nicht mehr erreichen werden? Mit dieser Frage werden sich in nächster Zukunft die Verantwortlichen in den Sportvereinen auseinandersetzen müssen. Sind wir – wenn wir uns nicht um dieses Thema kümmern – in ein paar Jahren noch so groß, wie wir es heute sind? Das ist natürlich ein Nachwuchsproblem. Das haben auch die Sportvereine. Und in meinen Augen haben in den letzten Jahren die Sportvereine profitiert, die relativ offene Angebote gemacht und offene Konzepte entwickelt haben.

Die grün-rote Landesregierung hat im Koalitionsvertrag geschrieben, dass der Sport ein großes Potenzial für soziale Integration bietet, das die Landesregierung optimal nutzen wolle. Welche Potenziale sind das aus Ihrer Sicht?

Der zentrale Punkt ist, dass der Sport eine Begegnungsfläche schafft. In der Gesellschaft lebt man oft nebeneinander her und lernt sich nicht richtig kennen. Das ist auch schwer zu steuern. Beim Sport tritt man mit anderen in Kontakt und muss sich mit dem Gegenüber auseinandersetzen. Man lernt, ihn einzuschätzen, mit ihm umzugehen. Man lernt mit Konflikten umzugehen und das ist eine soziale Kompetenz. Ohne den Sport wären sich diese Menschen womöglich gar nicht begegnet, es wäre gar keine Kommunikationsbasis entstanden. Der Sport ist genau die Kommunikationsbasis. Deshalb ist er ungeheuer wertvoll. Es ist nicht die einzige Integrationsmöglichkeit, es gibt andere, aber in der heutigen Gesellschaft ist der Sport einfach ungeheuer wichtig.

Brauchen wir Migrantensportvereine oder nicht?

Das kann man so eindeutig nicht beantworten. Ich kenne ein Beispiel in Villingen-Schwenningen, da gibt es einen Volleyballverein für Tamilen, der mit einer Gruppe von tamilischen Flüchtlingen gegründet wurde. Zu Beginn war das Selbstvertrauen relativ schwach ausgebildet. In diesem Fall war es wichtig, dass sie sich innerhalb dieser Gruppe erstmals Selbstvertrauen geholt haben. Jetzt gibt es Spieler, die sich sehr positiv entwickelt haben und so stark sind, dass sie wohl auch ohne weiteres in anderen Mannschaften mitspielen könnten. Einen Sportverein, der offen für alle ist und auch alle miteinander verbindet, halte ich für sinnvoller. Ich sehe aber, dass es bestimmte Situationen gibt, in denen besondere Sportvereine von Migrantinnen und Migranten oder bestimmten Nationalitäten eine wichtige Funktion haben.

Was halten Sie von einer Zusammenarbeit mit Migrantensportvereinen?

Ich finde es wichtig, dass diese Sportvereine in einem Sportsystem integriert sind. Dass die Vereine Zugangs- und Austauschmöglichkeiten haben. Ich glaube, dann regulieren sich manche Fragen nach einer Weile von selbst. Wir haben in der Integrationspolitik unterschiedliche Gruppen, die sich in unterschiedlichen Integrationsphasen befinden. Die müssen an unterschiedlichen Stellen mit unterschiedlichen Maßnahmen abgeholt werden. So würde ich es bei den Sportvereinen auch sehen.

Trotz jahrzehntelanger Integrationsarbeit des organisierten Sports waren die jeweiligen Landesregierungen nicht bereit finanzielle Mittel speziell für das Thema Integration durch Sport zur Verfügung zu stellen. Trotzdem wird der Sport immer als ideales Integrationsinstrument gepriesen. Wie passt das zusammen?

Der Sport hat für die Integration in Baden-Württemberg viel geleistet, keine Frage. Dass man den Sport für diese Aufgabe nicht besser ausgerüstet hat, lag sicher auch nicht daran, dass man nicht seine integrative Bedeutung gewusst hätte, sondern an der schwierigen Lage der öffentlichen Haushalte. Weil wir aber eine aktive Integrationspolitik betreiben wollen, müssen wir auch nachhaltige Strukturen dafür schaffen und mit dem Integrationsministerium gibt es eine Anlaufstelle in der Landesregierung, die neu ist, die wachsen muss, die aber auch für alle Fragen der Integration zuständig ist.

Wo sehen Sie den Sport positioniert im Thema Integration im Vergleich zu anderen im Themenfeld aktiven Organisationen wie z.B. den Wohlfahrtsverbänden?

Da wären wir wieder beim Thema Begegnung und Interaktion. Der Sport bringt Menschen zusammen und schafft auf eine spielerische Art und Weise gemeinsames Erleben und die Bewältigung von Konflikten. Das macht die Aufgabe des Sports einzigartig, während viele andere Organisationen sich stark um persönliche Lebenssituationen kümmern. Die Besonderheit des Sports liegt für mich darin, dass der Sport schon sehr lange für Menschen mit Migrationshintergrund offen steht - man kann das auch an der Zahl der Jugendbetreuer oder sonst ehrenamtlich tätigen Vereinsmitglieder mit Migrationshintergrund ablesen. Und durch die kulturelle Verbundenheit mit bestimmten Sportarten ist die Hürde bei einem Sportverein sicherlich wesentlich niedriger als bei vielen anderen Organisationen. Das Renommee hat sich der Sport erarbeitet.

Wo sehen Sie im Themenfeld Integration die größten Probleme und Chancen des Sports?

Ich sehe vor allem noch einen dringenden Nachholbedarf: Die Frage der sportlichen Betätigung von Mädchen und Frauen mit Migrationshintergrund. Das Thema beinhaltet sowohl einen Gesundheitsaspekt als auch die Frage der Gleichstellung. Da wartet eine große gesellschaftliche Aufgabe.


  • Daniel Lede Abal, Bündnis 90/Die Grünen (Foto: Lede Abal)
    Daniel Lede Abal, Bündnis 90/Die Grünen (Foto: Lede Abal)