OFFENER Raum Vertrauensarbeit im kühlen Nass.

Die Sportvereine in NRW tun eine Menge für das Schwimmen muslimischer Frauen. „Wir im Sport“ mit Porträts.

Schwimmen für Frauen Foto: LSB NRW
Schwimmen für Frauen Foto: LSB NRW

„Ich bin geborene Palästinenserin, geborene Muslimin, geborene Wuppertalerin“, nimmt Samira Salem die Antwort auf die Frage nach ihrer Herkunft vorweg, bevor sie überhaupt gestellt wurde. Die kämpferische Erziehungswissenschaftlerin leistet Aufklärungsarbeit, wie sie das nennt: Ich sehe, wie wichtig Sport für die Integration der Kinder ist – und wie wenig die Eltern das sehen.

Sie hat mit Familien zu tun, die schon in der zweiten oder dritten Generation in Deutschland leben. In die Töchter wird investiert, sie kommen in den Genuss von Bildungsangeboten vielerlei Couleur, auch, um dieser Gesellschaft später etwas zurückgeben zu können.

Dass jedoch Sport zentrales Integrationswerkzeug ist, ist vielen Familien nicht klar. Die Angst vor alltäglicher Diskriminierung überwiegt, „leider oft zu Recht“, so Salem. Wo Fußball für junge Migranten inzwischen selbstverständlich ist, ist die muslimische Community im Schwimmen längst noch nicht angekommen. Der Wunsch ist da, doch die Eltern meinen, Schwimmen stünde ihnen als Migranten nicht zu. Da sei noch viel Vertrauensarbeit nötig. Und die leistet sie. Seit fünf Jahren bietet sie samstags ein Mutter-Tochter-Schwimmen an, in einem geschützten Becken, zu nicht-öffentlichen Zeiten. Innerhalb von zwei Monaten war das Bad voll, die Wasserzeit wurde von einer auf drei Stunden ausgedehnt.

Der Wissenschaftler

Zentrale Frage: Können – müssen – sich die Frauen denn nicht an unsere Kultur anpassen? Antworten liefert Robin Schneegaß. Der Münsteraner Ethnologe schreibt an seiner Dissertation zum Thema „Schwimmsport für Migrantinnen – Wie Integration durch den Sport erreicht werden kann“. Schneegaß plädiert eindeutig dafür, den Muslima spezifische Angebote zu machen, um sie überhaupt zu erreichen. Keine Angst vor angeblichen Parallelwelten etwa in muslimischen Sportvereinen – oder beim Frauenschwimmen.
Dies ist kein Abkapseln, sondern die Möglichkeit, den eigenen religiös-kulturellen Kontext auszuleben – auf Zeit.

Und diese Möglichkeit sollten die Vereine den Frauen seiner Meinung nach bieten. Eine Win-Win-Situation für die Frauen wie für den Verein: Die Frauen erweitern ihr soziales Netzwerk, treiben Sport, können ermutigt werden, sich zu engagieren. „Frauen mit Migrationshintergrund, die ‚liberal‘ leben, kommen ohnehin in die normalen Schwimmkurse. Wichtiger für Integration und Teilhabe ist, die ‚traditionelleren Frauen‘ anzusprechen. Dafür brauche ich spezielle Sportangebote und muss als Verein die Frauen dann auch weiter mitnehmen.“

Die Powerfrau

Der Tod läutete den Beginn ein. Eine Familie mit Migrationshintergrund macht 2014 Urlaub an der Ostsee. Die Tochter geht ins Wasser. Sie weiß nicht, wie tückisch die Ostsee sein kann, und sie kann nicht schwimmen. Eine Unterströmung erfasst sie und zieht sie unter Wasser. Der Vater eilt hinzu. Er will sein Kind retten, doch auch er kann nicht schwimmen. Beide ertrinken.
Vielleicht wäre das auch passiert, wenn beide hätten schwimmen können,

sagt Sonja Göde nachdenklich. „Aber dies brachte uns dazu, einmal nachzufragen, wie viele der Frauen und Mädchen im Jugendzentrum in Siegburg-Deichhaus eigentlich schwimmen können.“ Keine, stellte sich heraus.
Das war die Initialzündung für die Polizeioberkommissarin, mit dem Polizei-Sport-Verein Siegburg ein Schwimmangebot auf die Beine zu stellen. Sie fand in Hennef eine von außen nicht einsehbare Halle zu nichtöffentlichen Zeiten. Seit 2015 laufen die Frauen-Kurse mit Teilnehmerinnen aus der Türkei, Pakistan, Marokko, Iran, Syrien, Albanien – und es läuft wunderbar. Als Polizistin erlebt Göde täglich: Männer aus verschiedenen Kulturkreisen harmonieren gar nicht. Als Schwimmtrainerin sieht sie: Die Frauen harmonieren bestens.

Die Politikerin

„Integration fängt mit Anpassung an“, erklärt Ursula Baum. Für sie und ihren Schwimmverein steht fest: „Wir werden kein Frauenschwimmen anbieten, wir gehen den Weg nicht mit.“ Die stellvertretende Bürgermeisterin der Stadt Kaarst und Vorsitzende des VfS Büttgen ist in der Flüchtlingshilfe hoch engagiert. Mit ihrem Verein bietet sie Wassergewöhnung und Schwimmenlern-Kurse für Geflüchtete, einige der Menschen sind auch in die normalen Kurse integriert. Ihr Bad ist voll, die Ressourcen ausgeschöpft, nur: Es nehmen bis auf zwei afrikanische Mädchen ausschließlich Männer teil. Für Baum ist es wichtig, die Männer „zu kriegen“:
Ich stelle absichtlich Übungsleiterinnen an den Beckenrand – das sind die Chefinnen für die Männer im Becken.

So sollen die Männer begreifen, dass Rollenverteilung in Deutschland auf Gleichberechtigung aufbaut. „Frauen haben in Deutschland für Vieles gekämpft und tun es noch. Ich bin nicht bereit, davon abzugehen.“ Sie hätten nicht nur um ihre Rechte gekämpft, sagt Baum, sondern auch darum, über ihren eigenen Körper bestimmen zu dürfen. Das muss eben auch für Frauen aus anderen Kulturen gelten, die in Deutschland leben – Lern- und Integrationsauftrag für die Männer. Geschwommen wird nach hiesigen Regeln. Dann sind alle herzlich willkommen.

Quelle: Wir im Sport 04.2016


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