Reinlassen und rausgehen

Der größte Sportverein Reutlingens arbeitet an seiner interkulturellen Öffnung – ein Modellprojekt für die Kooperation mit Migrantenorganisationen und Teil 7 der Projektporträt-Serie.

"Interkulturelle Öffnung" ist für „Integration durch Sport“ (IdS) unverzichtbar. Foto :Ali Jahraus
"Interkulturelle Öffnung" ist für „Integration durch Sport“ (IdS) unverzichtbar. Foto :Ali Jahraus

Viel zitiert, oft beschworen, selten vollzogen, jedenfalls selten in solcher Konsequenz. „Interkulturelle Öffnung“, dieser große, etwas unscharfe Begriff ist für „Integration durch Sport“ (IdS) unverzichtbar – ein Kernziel des Programms liegt darin, Vereinen und Verbänden die Möglichkeiten bewusst zu machen, die sich aus Herkunftsunterschieden ergeben. Seit April 2012 nun läuft in Schwaben ein Projekt, das zeigt, wie sich diese Möglichkeiten erschließen lassen und wie weit der damit verbundene Prozess reichen kann. Die TSG Reutlingen wirkt auf ihre kulturelle Öffnung hin, kontinuierlich beraten und finanziell unterstützt durch die IdS-Landeskoordination Baden-Württemberg – praktisch die systematische Organisationsentwicklung eines Großvereins.

Davon legen die vielen Ziele und Maßnahmen Zeugnis ab, die die sechsseitige Projektskizze (eng beschrieben!) der TSG versammelt. Das beginnt bei A wie Abbau: von Hemmschwellen, die Menschen mit Migrationsgeschichte vom Verein fernhalten; geht über K wie Kooperation (dazu später) und Kommunikation: nach innen, um alle Mitglieder und Abteilungen einzubinden, nach außen, um die TSG als Ansprechpartner für Integration und Sport vorzustellen. Und man muss schon diverse weitere Schlüsselwörter ausblenden, um bei Ü wie Übungsleiter und V wie Vorstand zu enden: Der Verein will künftig wie selbstverständlich Haupt- und Ehrenamtliche mit Migrationsgeschichte haben, eine(n) Integrationsbeauftragte(n) im Präsidium inklusive. Ganz im Sinne der langfristigen Ziele, zu denen das „Verinnerlichen“ einer offenen Haltung auf allen Ebenen zählt. 

Die Integrations-Serie - alle 2 Wochen

Von Rügen bis Reutlingen, von Kiel bis Nürnberg. Von Basketball über Gorodki bis Tanztheater. Von der kulturellen Öffnung Einzelner bis zu jener von Großvereinen. Et cetera, denn Vielfalt ist das Stichwort, wenn das Programm „Integration durch Sport“ ab sofort und an dieser Stelle zeigt, wie es eigentlich funktioniert, so ganz genau und rein praktisch. Das folgende Projektporträt ist der Beginn einer Serie auf www.integration-durch-sport.de: Alle zwei Wochen stellen wir insgesamt 16 Initiativen vor, für jedes Bundesland eines: Geschichten, von denen keine der anderen ähnelt und die doch ein großes Ganzes ergeben. Nämlich ein Mosaik von Möglichkeiten, wie der Sport Verbindungen zwischen Kulturen schaffen und wachsen lassen kann.

 

Wer so weit kommen will, braucht langen Atem. Der Verein wie das Programm IdS nehmen an einem Rahmenprojekt teil: „Elan2: Dabei sein – für alle!“ wird von der Reutlinger Bruderhaus-Diakonie verantwortet und aus dem Europäischen Integrationsfonds gefördert; im Schwerpunkt Sport geht es (bis April 2015) um die interkulturelle Öffnung der TSG.

Der Verein ist weder bei null gestartet noch viel weiter vorn. Sozial engagiert, bezog er „Integration“ früher eher auf seine Behindertensportabteilung. Interkulturalität? Zwar hatte der Verein 2011 eine extern entstandene integrative Kickbox-Gruppe aufgenommen und bot Schwimmen oder Gymnastik für Migrantinnen an.

Aber: In Reutlingen haben 34 Prozent der 112.000 Einwohner Zuwanderungsgeschichte, im Stadtgebiet Ringelbach sind es 36 Prozent – die wenigsten gehören der dort heimischen TSG mit ihren 4500 Mitgliedern und 20 Abteilungen an. Darunter nur ein paar Übungsleiter, keine Funktionäre oder Hauptamtlichen.

Vor Beginn des Prozesses wollte es die Vereinsführung genau wissen. Eine Umfrage unter Ab-teilungs- und Übungsleitern bestätigte, dass Integration bis dato „eher nebenbei als gezielt“ stattfand, so der erste Vorsitzende Tom Bader. Dann ging's los: Im September 2012 veranstaltete die TSG ein interkulturelles Vereinsfest mit 2000 Gästen. An der Planung waren mehrere Migran-tenorganisationen beteiligt, Auftakt einer eng und enger werdenden Partnerschaft, deren Zwischenergebnisse den raschen Fortschritt des Projekts verdeutlichen – Stichwort K wie Kooperation.

So zählte die TSG schon nach einem Jahr sieben Übungsleiter-Tandems, bestehend aus je einem Trainer und einem Mitglied von Migrantenvertretungen. Im von Verein und IdS erdachten Ausbildungskonzept machen sie den Anfang; am Ende sollen die Zugewanderten eigene Gruppen leiten und zu Multiplikatoren der Integration werden. Wobei das auch auf direktem Weg geht: Die Gymnastiktrainerin einer Migrantenvertretung hat das Trockentraining im TSG-Eiskunstlauf übernommen, eine in Kamerun ausgebildete Sportlehrerin arbeitet in Fitness-und in Gesundheitsgruppen mit. Was die Aktiven angeht: Einige Frauen interessierten sich für den Schwimmkurs, Bader freut sich zudem über neue Mitglieder (und Erfolge) in der Kickbox-Abteilung.

Interkulturelle Öffnung ist ein Reinlassen und Rausgehen. Zumindest in diesem Projekt, das lokale und regionale Politik als modellhaft gelobt haben: Sportgruppen der Partnerorganisationen nutzen die TSG-Halle, während der Verein und IdS das im September 2013 gestartete Modul „Bewegung und Gesundheit“ im „Bildungszentrum in Migrantenhand“ umsetzen. Es geht darin um A wie Abbau von Hemmschwellen durch K wie Kommunikation – beziehungsweise um die Frage, warum man eigentlich Sport treiben soll.

(Quelle: DOSB-Presse, Ausgabe 36)


  • "Interkulturelle Öffnung" ist für „Integration durch Sport“ (IdS) unverzichtbar. Foto :Ali Jahraus
    "Interkulturelle Öffnung" ist für „Integration durch Sport“ (IdS) unverzichtbar. Foto :Ali Jahraus