„Wie ein Künstler auf der Matte“

Juri Stadnikov von der TuS Gaarden wurde unter Köpfe, Clubs, Ideen im SportForum des LSV vorgestellt.

Kiel – Die Kaiserhalle ist in Kiel so etwas wie das Epizentrum des Ringens. Ein Status, den ihr vielleicht nur einer streitig machen kann: Juri Stadnikov. Dienstagabend, es ist Training in der Halle der TuS Gaarden, und der 45-Jährige sorgt auf der Matte erst einmal für klare Ansagen. Nicht laut, nur klar, begleitet von einer imposanten Ausstrahlung. Der gebürtige Kirgise ist auch Übungsleiter beim LSV-Programm „Integration durch Sport“. Ein Slogan, für den kaum jemand besser stehen könnte als – Stadnikov selbst.

Es ist gar nicht so einfach, in einem kurzen Gespräch herauszufinden, wer Juri Stadnikov eigentlich ist. Zu allererst einmal, weil es nicht bei einem kurzen Gespräch bleibt, und weil es witzig und lehrreich und sehr kurzweilig ist, sich mit dem ringenden Tausendsassa zu unterhalten. Vielleicht macht es Sinn, ein paar Sätze vorweg zu schicken, die den Kirgisen mit dem deutschen Pass, der sich als Russe versteht, charakterisieren.

Stadnikov sagt: „Ringen ist Kreativität und Improvisation. Man ist wie ein Künstler auf der Matte, muss die Schwächen des anderen identifizieren und hat nicht einmal viel Zeit dafür.“ Oder: „Du musst als guter Ringer nicht nur ein guter Sportler, sondern auch ein guter Mensch sein.“ Stadnikov sagt auch: „Der Sport ist ein sozialer Fahrstuhl – der nur nach oben fährt“ und „Sport spricht alle Sprachen“. Stadnikov spricht jedenfalls Deutsch, gut noch dazu. 1998 kommt der mehrmalige kirgisische Jugend- und Juniorenmeister mit seiner deutschen Frau aus Bischkek, der Hauptstadt Kirgisistans, nach Deutschland.

Schnell trifft der Diplom-Sportlehrer und ehemalige Nationalmannschafts-Ringer in Kiel Georges Papaspyratos, der ihn zur TuS Gaarden lotst, landet durch Karsten Lübbe (Programmleiter „Integration durch Sport“) auch beim LSV. Es folgen 18 spannende Jahre, in denen Stadnikov 2005 Programm-Übungsleiter wird, später selbst im Rahmen des Bundesprogrammes „Soziale Stadt“ das Projekt „Ringen an Kieler Ostuferschulen“ als Diplomsportlehrer betreut (2011-2013).

Seit 2014 ist Stadnikov Sportlehrer am Regionalen Berufsbildungszentrum Technik in Kiel. „Das war ein langer Weg. Juri ist ein wichtiger Mitarbeiter, der mittlerweile auch den Fokus auf die Arbeit mit Flüchtlingen lenkt“, sagt Karsten Lübbe. „Er ist auch eine wichtige Schnittstelle zwischen Schule und Verein.“ In der Schule am Rondeel stand Stadnikov bisher einmal wöchentlich für den LSV auf der Matte, ab Februar findet das Training in der christlichen Schule statt.

In der Kaiserhalle hat sich indes in den vergangenen Jahren eine echte Medaillenschmiede entwickelt. Seit Stadnikov da ist, gewannen die Gaardener Ringer nahezu 50 Medaillen bei norddeutschen Meisterschaften, die Mannschaft wurde zweimal Sieger in der Oberliga Nord, stieg in die Regionalliga auf, und Stadnikov selbst geht noch immer bei den deutschen Meisterschaften der „Veteranen“ an den Start. Ende Mai holte er dabei in Freising Gold in der Gewichtsklasse bis 130 Kilogramm.

Kein Wunder, dass Gaardens „Mr. Ringen“ Georges Papaspyratos, der auch Erster Vorsitzender des Landesverbandes ist, seinen Trainer der Junioren und Erwachsenen nicht missen möchte: „Juri verkörpert auch deutsche Werte: Fairness, Toleranz, Ehrgeiz“, sagt Papaspyratos. „Er ist ein tolles Beispiel eines ehrgeizigen Migranten, der es mit Hilfe der TuS Gaarden und des LSV geschafft hat, eingebürgert zu werden“. Versteht sich von selbst, dass Stadnikovs Sohn Anton (22) auch ringt, schon Landesmeister wurde. In der Kaiserhalle tummeln sich im Training elf Nationen auf der Matte: Afghanen, Syrer, Iraker, Türken … Deutsche natürlich. Und eine Frau. Die 17-jährige Anastasia Letucheva kam vor zweieinhalb Jahren aus Russland, wurde Hamburger Meisterin, jetzt Zweite bei den Nord-Titelkämpfen. „Ich fühle mich auch unter den vielen Männern hier sehr wohl“, sagt sie und lacht. Zimperlich darf sie nicht sein. Wenn Stadnikov einen Achselwurf erklärt oder am besten den „Suplex“, den wohl berühmtesten Überwurf beim Ringen gleich vormacht, geht’s schnell über Kopf und knallt laut auf der Matte.

„Es sind verschiedene Länder, verschiedene Mentalitäten, aber es gibt keine Probleme“, sagt der 45-Jährige voller Gelassenheit. Seine Regeln sind klar, sie führen zum Erfolg, wie beim jungen Armenier Karem Margariam, der bei den norddeutschen Meisterschaften als bester Techniker in der A-Jugend gekürt wurde. Und am Ende war doch alles nur Zufall. Stadnikov lacht, wenn er erzählt: „Ich war Zehnkämpfer, damals in meiner Heimat.“ Zufällig lief er dem Trainer der Ringer an seiner Sporthochschule über den Weg. Der Rest ist Geschichte im Kieler Epizentrum des Ringens. Von Tamo Schwarz


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