Zweites BLSV-Forum „Vielfalt im Sport“ in Nürnberg

Potenziale der Migrantinnen für den Sport besser nutzen

Kareen Manz präsentiert Regensburger Fahrradprojekt
Kareen Manz präsentiert Regensburger Fahrradprojekt

Das historisch bedeutsame Gebäude des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge in Nürnberg bot einen eindrucksvollen Rahmen für das zweite BLSV Forum „Vielfalt im Sport“. Die alten Mauern der einstigen Kaserne zeigten ungeahnte Vorteile. An diesem sommerlich heißen 29. Juni empfingen sie die Forumsgäste mit angenehm frischen Raumtemperaturen. Das Thema des Abends „Migrantinnen im Sport – ungenutzte Potenziale“ führte ca. 100 Interessierte aus Vereinen, Verbänden, Kommunen und Migrantenorganisationen zusammen.

Zunächst versuchten sich Mark Sauerborn und Thomas Baus - Mitarbeiter des Programms „Integration durch Sport“ – dem Thema zu nähern und landeten prompt in der Sackgasse der klassischen Vorurteile.  Bei plakativen Aussagen wie „Frauen würden sich nur von einem Schuhgeschäft zum nächsten und wieder zurück bewegen“ war den Zuhörern aber schnell klar: Die meinen es nicht so ganz ernst. Dennoch schickte die Moderatorin Tabea Gutschmidt ihre Kollegen galant von der Bühne, um allein damit demonstrativ zu signalisieren: Heute sind die Frauen dran!

Diversität und Chancengleichheit im Sport

Sie übergab dann aber doch wieder einem Mann das Wort. Der Präsident des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge, Dr. Manfred Schmidt, sprach zunächst allgemein über die Herausforderungen im Hinblick auf die Integrationsleistungen in einem Einwanderungsland. Jahrelang wurde hier einfach kaum etwas getan und nun bestehe durch ein verändertes Integrationsverständnis in der Bundesrepublik ein gewisser Nachholbedarf. Dem Sport kommt nach Schmidts Auffassung eine große Bedeutung zu, da hier an Gewohnheiten und Bedürfnisse der Menschen nach Bewegung und körperlichem Ausgleich angeknüpft werden kann. Er unterstrich noch einmal deutlich, dass Integration nur als Prozess der Annäherung gelingen kann, indem Einheimische und Zuwanderer gemeinsame Wege suchen und auch gehen. Dr. Schmidt skizzierte damit in groben Zügen den Gedanken der interkulturellen Öffnung als Grundlage zur gleichberechtigten Teilhabe aller in einer vielfältigen Gesellschaft.

Kompetenzen stärken und Barrieren abbauen

Otto Marchner, Vizepräsident des BLSV, stellte die Bedeutung von Frauen für den organisierten Sport in den Vordergrund. Er betonte ausdrücklich, dass der Bayer. Landes-Sportverband sich mit der deutlich geringeren Beteiligung von Frauen in bayerischen Vereinen nicht zufrieden gibt. Daher wird in Zukunft vermehrt auf eine stärkere Einbindung von Frauen als Sportvereinsmitglieder und Verantwortungsträgerinnen hin gearbeitet. Dabei hob Marchner auch hervor, dass es keine Unterschiede zwischen einheimischen Frauen und Frauen mit Zuwanderungsgeschichte geben darf. Der Sport bietet allen Frauen ein attraktives Angebot zum Mitmachen und Mitgestalten.

Angebote nach Maß  mit, von und für Frauen

Und genau das war dann in den nachfolgenden Praxisbeispielen deutlich nachzuvollziehen. Wie es erfolgreich gelingen kann, Frauen mit unterschiedlichem kulturellem Hintergrund für den Sport zu gewinnen, zeigten zehn Frauen und Mädchen, die jeweils für einzelne Projekte und deren besonderen Charme standen.

Erfolgreiche „Sportassistentinnen interkulturell“:

Da berichtete Meryem Karabel über ihren Werdegang als „fränkische Türkin“, wie sie sich selbst bezeichnete. Gestartet als Teilnehmerin eines Bewegungsangebots für Frauen entwickelte sie sich weiter zur „Sportassistentin interkulturell“ und schließlich auch zur Übungsleiterin und Trainerin für Nordic-Walking. Inzwischen ist sie fest beim ATSV Erlangen engagiert als Leiterin des Kinderturnens. Neben all der sportlichen Arbeit übernahm sie schließlich auch die Funktion der Integrationsbeauftragten im Verein. Ihre Tochter, Eda Karabel hat der Motivation ihrer Mutter folgend auch die Übungsleiter C-Lizenz absolviert und unterstützt das Training mit den Kindern, das später gern eigenverantwortlich übernehmen möchte.

Katerina Bekker stammt aus Kasachstan. Die Tänzerin fand in der neuen Heimat wieder Zugang zum Sport über die Ausbildung zur „Sportassistentin interkulturell“.  Als Übungsleiterin leitet sie inzwischen eine Kick-Box-Fitness-Gruppe in Zusammenarbeit mit dem Programm „Integration durch Sport“.

Auch Müzzeyyen Yaya gelangte über die Qualifikation zur Sportassistentin interkulturell zur ihrem vielfältigen Engagement im Sport als Leiterin einer Gymnastikgruppe und bei der Gestaltung interkultureller Stunden in der Grundschule.

Als Hausbesucherin ist Buket Barlas Waechter in München aktiv. Ihr half die Ausbildung zur Sportassistentin interkulturell vor allem als Anregung für sportliche Methoden, die Kinder auch beim Lernen unterstützen. Seit sie auch die Übungsleiter C-Lizenz noch absolvierte leitet Frau Waechter ihren Kurs „Gymnastik und Musik für Frauen aus aller Welt“.

Und dann stand plötzlich Kareen Manz mit einem Fahrrad vor den Forumsgästen. Sie engagiert sich in Regensburg, wo sie Frauen das Radfahren beibringt, die überwiegend aus dem arabischen Raum stammen. Für die Frauen bedeutet das Erlernen des Fahrradfahrens einen großen Schritt in Richtung neuer Mobilität und stärkerem Selbstbewusstsein.

Minitrainer mit Maximotivation

Aus der Dominikanischen Republik stammt Christobalina Gonzalez-Sanchez. Sie ist Mutter zweier Töchter, die sie gern sportlich aktiv in einer Gymnastik- oder Tanzgruppe gesehen hätte. Catherines Leidenschaft aber ist der Fußball, den sie im Kicktreff der Erlanger Mönauschule für sich entdeckt hat. Über das Programm „Integration durch Sport“ wurde sie dann auch noch zur Minitrainerin ausgebildet und assistiert heute beim Fußballtraining im Kicktreff, wo inzwischen auch ihre Schwester Carla am liebsten dem Anfang ihrer Profikarriere im Fußball entgegen fiebert. Bei Mutter Christobalina hat sich Skepsis in Stolz verwandelt. Sie freut sich über die Fußballleidenschaft ihrer Töchter.

In Ingolstadt ist Anna Hoffart als Integrationslotsin aktiv. Und nicht nur das. Sie sprudelte fast über, wenn sie von ihren zahllosen sozialen Projekten im Sport erzählte, die sie ehrenamtlich betreut. Ihre Angebotspalette reicht von Aerobic und Tanz über Schwimmen mit muslimischen Frauen bis zu Volleyball und Yoga.

Kreative Potenziale

Diese geballte Ladung an Frauenpower dürfte Kloty Schmöller ebenso beeindruckt haben wie das Publikum. Die Vorsitzende des Frauenbeirates des BLSV beschrieb kurz ihren Handlungsspielraum im Verband. Sie zeigte sich zuversichtlich und gut gerüstet, dass das Thema „Frauen im Sport“ unabhängig von der Herkunft eine zunehmende Bedeutung erfährt.  Hinsichtlich der bereits laufenden erfolgreichen Arbeit verwies Kloty Schmöller insbesondere auf die Vernetzung verschiedener sportlicher Akteure in ganz Bayern. Man könne miteinander viel erreichen und von den Ideen untereinander profitieren. Dazu bedarf es guter Informationsstrukturen im Verband und eines regelmäßigen Austausches. Der Frauenbeirat hat sich bereits mehrmals interkulturellen Fragen gewidmet und dazu in verschiedenen Gesprächsrunden speziell die Thematik „Migrantinnen im Sport“ beleuchtet. Kloty Schmöller sieht einen guten und wichtigen Weg darin, besonders auch diese Frauen durch geeignete Angebote und Qualifizierungsmaßnahmen für die Vereine zu gewinnen.

Ein starkes Profil - Veränderung braucht selbstbewusste Frauen

Ihre persönlich und sportlich interessante Lebensgeschichte umriss anschließend Ebru Shikh-Ahmad. Die Integrationsbotschafterin des DOSB startete als Kind im Schwimmbecken. Ihr modernes traditionsbewusstes Elternhaus bremste mit Beginn der Pubertät eine mögliche Karriere als Schwimmerin jedoch aus. „Ich brauchte einen Sport mit langen Hosen und Jacke. Also habe ich mit Karate angefangen.“ Dieser Satz geht Ebru Shikh Ahmad so leicht über die Lippen, dass niemand daran zweifelte, dass auch scheinbar unlösbare Probleme von dieser Frau geknackt werden. In der Tat wird sie mehrfache deutsche und europäische Karate-Meisterin, baut mit ihrem Mann eine Karateschule in der Nähe von Nürnberg auf und schafft heute dort unter anderem Sportangebote für Mädchen, die vor den gleichen Hürden stehen wie einst sie selbst. Und darauf hat Ebru Shikh-Ahmad eben keine negative Sichtweise, sie müsse kein Defizit ausgleichen, sondern handelt nach ihrer Devise: „Wenn man etwas wirklich will, gibt es immer einen Weg.“

Qualifizierung im Sport - ein Schlüssel zur Integration

Obwohl die Ausrichtung des Programms „Integration durch Sport“ erst seit wenigen Jahren speziell auch auf die Zielgruppe der Migrantinnen fokussiert ist, gibt es bereits erste erfolgversprechende Ergebnisse. Diese präsentierte Conny Baumann, Leiterin des Bundesprogramms „Integration durch Sport“ in Bayern, und konnte dadurch den Beweis antreten, dass die Bemühungen um diese spezielle Zielgruppe nicht nur „schlummernde Potenziale“ weckt, sondern bereits Erfolge verbuchen kann. Für Vereine kann dies also eine Herausforderung und Chance für die Zukunft sein. Sie können damit nicht nur neue Mitglieder, sondern gleichzeitig auch aktive und engagierte Ehrenamtliche gewinnen. Engagierte Migrantinnen, die als Übungsleiterin im Verein aktiv sind, wirken wie ein Magnet und Türöffner für andere Frauen mit Migrationshintergrund. Sie können eine Schlüsselfunktion einnehmen und unsere Sportlandschaft vielfältig bereichern.

Konkrete Ergebnisse aus der Integrationsarbeit

An den 100 Projektstandorten des Programms „Integration durch Sport“ in Bayern wurden im Jahr 2011 insgesamt 473 integrative Sportgruppen gefördert. Von diesen waren 22 Prozent (106) spezielle Angebote für Frauen und Mädchen. Somit waren 18 Prozent der Teilnehmenden in diesen Sportgruppen Migrantinnen! Verglichen mit den gerade einmal 3 Prozent im Vereinsdurchschnitt ist dies eine bemerkenswerte Entwicklung.

Aber auch im Bereich der Teilhabe zeigte sich der Erfolg: Von den Übungsleiter/innen dieser integrativen Sportgruppen waren 49 Prozent aus der Zielgruppe. Bemerkenswerte 11 Prozent davon waren weiblich!

Qualifizierung im Sport kann auch ein Schlüssel zur Integration sein, wenn man diese passgenau an die Bedürfnisse der Frauen anpasst. Dies belegen die Zahlen ganz eindeutig. So waren 85 Prozent der 212 Teilnehmerinnen an der Ausbildung zur „Sportassistentin interkulturell“ Migrantinnen. Dass hierdurch nachhaltige Integration auf den Weg gebracht wird, ist speziell in Erlangen nachweislich gelungen. Dort sind 75% dieser Frauen, die als Sportassistentinnen den Einstieg in ihre sportliche Karriere gewagt haben, inzwischen als Übungsleiterinnen im Verein angekommen.

Ähnlich sieht es bei den Minitrainerinnen aus, die an Mittel- und Realschulen rekrutiert werden. Nach einer dreitägigen Ausbildung können sie für Sport-AGs und Vereinsgruppen als Co-Trainer eingesetzt werden. Von den 193 ausgebildeten Minitrainer/innen in 2011 und 2012 waren 50 Prozent Mädchen, davon knapp die Hälfte mit Migrationshintergrund.

www.sportintegration.de

 


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