Berlin: Vereinsporträt 01/2018 - KSV Reinickendorf Ringen e.V.

Im Rahmen des Förderjahres 2018 möchten wir einigen unserer Stützpunktvereine die Möglichkeit geben, sich und ihre Arbeit im Sport vorzustellen. Für das erste Quartal beginnen wir mit einem Verein, der 2018 das erste mal einen Antrag an "Integration durch Sport" Berlin gestellt hat: KSV Reinickendorf Ringen e.V.

Der KSV Reinickendorf Ringen e.V. hat seinen Haupttrainingssitz in einer kleinen Sporthalle in der Grundschule am Schäfersee in Berlin. Unter Leitung von Sinan Hanli und seinem Bruder Semsi findet hier fast jeden Tag in der Woche eines der unterschiedlichen Trainings statt, die der Verein seit 2016 anbietet. Sinan Hanli hat sich während einer dieser Veranstaltungen die Zeit genommen, um Interessierten einen Eindruck von den Bemühungen seines Vereins zu geben.

Was ist der KSV Reinickendorf und was bietet ihr an?

Sinan, selbst ehemaliger Weltmeister und Bronzemedaillengewinner im Ringen, erzählt mir bereitwillig, wie es dazu kam, dass der Verein 2015 gegründet wurde. Eigentlich hätte er nie einen eigenen Verein gründen wollen, aber als er selbst Vater wurde und seine Kinder das erste Mal in einen der umliegenden Sportvereine brachte, änderte sich seine Meinung. „Der Trainer in diesem Verein hat einfach kein gutes Training gegeben. Er hat die Kinder angeschrien, einzelne Kinder aufgrund ihres Gewichtes vor den anderen Teilnehmern lächerlich gemacht und meine Kritik, seinen Umgang mit den Kindern betreffend, weitestgehend ignoriert“. Ein anderer, besserer Verein musste her und was lag da näher, als an der eigenen Grundschule eine AG anzubieten? Schnell wurden der Zuspruch und die Nachfrage nach Angeboten größer und Sinan beschloss den KSV Reinickendorf Ringen e.V. zu gründen. Nach einigen Anlaufschwierigkeiten konnten Sponsoren für eine erste Ringermatte gefunden und das Training sukzessive um weitere Gruppen erweitert werden. So gibt es derzeit eine „Krabbelgruppe“, Anfängergruppen für Jungen und Mädchen, eine Fortgeschrittenengruppe mit Leistungsschwerpunkt, eine Gruppe für ältere Interessierte sowie anlaufend auch eine Gruppe für Frauen und Mütter der Teilnehmer/-innen. Um den eigenen, hohen Qualitätsansprüchen an das Training gerecht werden zu können, bildete sich Sinan in den vergangenen Jahren intensiv weiter. So legte er kurz nach Vereinsgründung bereits die Prüfung zum C-Lizenz Trainer ab und erweiterte in diesem Jahr seine Qualifikationen um einen zertifizierten Kurs zum Bewegungspädagogen/Talentcoach an der Hochschule für Sport und Gesundheit in Berlin. Sinan, selbst Kind türkischer Zuwanderer, weiß, welchen großen Stellenwert der Sport bei der Entfaltung der eigenen Persönlichkeit und der individuellen Integration haben kann. Er möchte die Kinder und Jugendlichen auf ihrem Weg nicht nur begleiten, sondern auch eine Bezugsperson und Ansprechpartner für seine Schützlinge sein. Derzeit trainieren über 80 Personen im KSV Reinickendorf Ringen e.V. , Tendenz steigend. „Wir stehen noch am Anfang, aber wir haben schon viel erreicht“! Mit einem selbstbewussten Lächeln im Gesicht sagt Sinan. „Sicherlich nicht jetzt sofort, aber ich bin mir sicher, dass wir Kinder hier bald so weit entwickeln können, dass sie den Weg in die Nationalmannschaft schaffen können“.

In unserem Vereinsalltag und Training ist uns besonders wichtig, dass ….

Sinan unterbricht unser Gespräch und begrüßt die Mutter eines Kindes. Freude strahlend drückt sie ihm einen Kaffee in die Hand. „Uns ist es wichtig, dass die Atmosphäre im Verein gut ist. Es ist wie eine große Familie für mich geworden. Ich habe die Kinder und Eltern ins Herz geschlossen und sie auch uns. Wir legen besonderen Wert auf Respekt und Freundlichkeit“. Tatsächlich herrscht eine warme, sehr herzliche Stimmung in der Halle. Im Training des KSV wird Disziplin groß geschrieben. Allerdings keine militärische Disziplin ohne Beteiligung oder Mitspracherecht. Die Kinder sollen lernen, sich in vorgegebenen Grenzen zu bewegen, sich gegenseitig zu achten und zu respektieren. Es geht nicht darum, die Techniken aus der Halle hinein in Konflikte auf dem Schulhof zu tragen. „Im Gegenteil“, betont Sinan. Die Kinder sollen ihre aufgestauten Energien und Aggressionen hier loswerden und kontrollieren lernen. Besonders Kampfsport bietet eine einmalige Gelegenheit, sich mit dem eigenen Körper und seinem Selbst auseinanderzusetzen. Der Umgangston ist freundlich und während mein Blick über die beiden Ringermatten schweifen, fällt mir direkt die nächste Besonderheit des Trainings auf. „Besonders die Jungs aus der größeren Gruppe kommen gern her und helfen. Wir möchten auf die individuellen Stärken und Schwächen jedes Kindes eingehen. Das schaffen wir nicht mit nur einem Trainer auf der Matte. Deshalb haben wir bei vielen Trainings, so wie heute, 4 Trainer da, die die knapp 25 Kinder betreuen“. Sinan will sicherstellen, dass nicht nur die Technik stimmt, sondern jedes Kind das Gefühl hat, ausreichend Aufmerksamkeit zu bekommen. Die älteren Vereinsmitglieder und teilweise auch Eltern helfen gern, indem sie sich mit auf die Matte stellen, sichern, lehren und anweisen.

Vielfalt bedeutet für uns …..

„Das ist eine schwierige Frage...“ sagt Sinan. Vielfalt bedeutet für ihn, dass viele Nationalitäten, ihre Stärken und Schwächen zusammenbringen und friedlich zusammenleben. Der Verein hat selbst einen Anteil von Menschen mit Migrationshintergrund von über 90%. Menschen mit Wurzeln aus den verschiedensten Regionen und Ländern kommen hier zusammen und widmen sich dem gemeinsamen Sport treiben. „Vielfalt bedeutet auch aufeinander zuzugehen, sich an Regeln halten und Andersartigkeit akzeptieren“. Niemand wird gezwungen, sich zu assimilieren, im Gegenteil: Der KSV will jedes Kind und jeden Menschen so akzeptieren wie er ist. Einzig bei der Sprache auf der Matte herrscht eine klare Regel. „Es ist sehr wichtig, die Sprache gut zu beherrschen. Ich habe selbst viel Zeit investiert, Wörterbücher durchgeblättert und an mir gearbeitet. Es ist ungeheuer wichtig, dass die Kinder die deutsche Sprache beherrschen. Deshalb reden wir auf der Matte ausschließlich deutsch“. Da sich der Verein früh mit diesen Thema auseinandersetzen musste, kam man schnell auf den Landessportbund Berlin und das Programm „Integration durch Sport“. „Ich denke wir machen hier tolle Arbeit mit den Kindern. Wir brauchen aber auch Unterstützung bei unserer Arbeit. Also habe ich angefangen zu recherchieren. Ich hatte von dem Programm schon einmal gehört und bin dann über den LSB Berlin darauf gestoßen“. Vor allem im Bereich Jugendförderung möchte der KSV in Zukunft noch weiter wachsen und sich breiter aufstellen.

Bei unserer Arbeit begeistert uns besonders…

Es gibt viele Dinge, die Sinan und die anderen Trainer/-innen jeden Tag motivieren in die Halle zu kommen und Training zu geben, Organisation zu übernehmen und Gespräche mit den Eltern zu führen. Zum einen die Liebe zum Ringersport, den sie alle an die junge Generation weitergeben wollen. In ihren Augen birgt der Sport eine Vielzahl an Möglichkeiten sich physisch, psychisch und auch sozial weiterzuentwickeln. Gemeinsam kreieren sie als Team die bestmöglichen Voraussetzungen dafür, dass jedes einzelne Kind etwas lernt und in der nächsten Woche wiederkommen will. „Außerdem ist es für mich wundervoll mit den Kindern zu arbeiten. Die leuchtenden Augen, wenn sie voller Vorfreude in die Halle kommen. Oft sind sie viel zu früh zum Training da und ich muss sie bitten, draußen noch ein wenig abzuwarten bis die andere Gruppe fertig ist“. Sinan lächelt und zeigt mir die neuen Logos, die der Verein für die Vereins-Shirts hat machen lassen. „Die Kinder finden das klasse. Wir versuchen immer wieder etwas Neues zu machen. Das macht alles viel Spaß. Bei guten Leistungen zeichnen wir die Kinder mit dem „Ringer des Monats“ aus“. Zusammen mit seinem Bruder hat sich Sinan ein System überlegt, um die Techniken des Ringens möglichst leicht an die Kinder weiterzugeben. „S1 steht zum Beispiel für die erste Technik im Stand. So können sich die Kinder das viel leichter merken“. Es braucht keinen Sportpsychologen, um zu erkennen, mit wie viel Herzblut die Trainer/-innen und vor allem Sinan bei der Sache sind. Der Verein nimmt schon nach 2 Jahren einen Großteil ihrer Freizeit ein, die sie aber nirgendwo anders lieber verbringen würden.

Was uns außerdem besonders ausmacht sind …..

In anderen Kampfsportarten wie Karate oder Judo gibt es traditionell ein Gürtelsystem, das nach außen die Erfahrung der Kämpfer/-innen anzeigt. Ein ähnliches System hat auch der KSV für seine Sportler/-innen etabliert. Bei großen Prüfungsterminen erhalten die Kinder nach bestandener Technik- und Wissensdemonstration ein Shirt in der Farbe der neuen Erfahrungsstufe und arbeiten sich so wie in anderen Kampfsportarten nach oben. Eine Sache, die den Verein von anderen unterscheidet ist die ausdrückliche Orientierung des Vereins. „Es geht uns nicht darum, möglichst schnell, möglichst viele Kinder zu Wettkämpfen zu bringen. Wir wollen, dass alle so Sport machen wie sie es gut finden. Man muss mich eher dazu zwingen, damit ich ein Kind zum Wettkampf anmelde“. Die Kinder sollen kontinuierlich aufgebaut werden. Jedes in seiner eigenen Geschwindigkeit. So ergibt sich auch, dass der Verein erst im Juni, nach fast 2 Jahren Training für einige, den ersten öffentlichen Wettkampf in Berlin bestreitet. Stattdessen sollen Persönlichkeit und Bewegungsdrang der Kinder geschult und entwickelt werden. „Wir suchen nach dem Schatz in jedem Kind!“. Dabei nimmt sich der KSV vor allem Kindern an, die in anderen Vereinen keinen Fuß fassen konnten oder im Alltag immer wieder mit delinquentem Verhalten aufgefallen sind. Gerade in diese Kinder wird viel Zeit und Mühe investiert. Mit großem Erfolg, denn sie alle kommen Woche um Woche wieder in die kleine Halle am Schäfersee und arbeiten an sich und ihren ringerischen Fertigkeiten. „Man muss einer Blume Zeit geben, um sich zu entfalten. Wir interessieren uns nicht für das Ego des Vereins. Ich brauche keine Erfolge mit denen wir uns schmücken können“. Noch während der Verabschiedung lädt mich Sinan zum nächsten Prüfungstermin für die Kinder ein und unterstreicht ein weiteres Mal an diesem Tag die familiäre Beziehung, die im Verein gepflegt wird.

Wir freuen uns, den KSV Reinickendorf Ringen e.V. das erste Mal in diesem Jahr in unserem Förderprogramm als Stützpunktverein begrüßen zu dürfen und hoffen auf erfolgreiche Jahre der Zusammenarbeit!