Bei der Sprache fängt es an

Über das Verständnis von Vielfalt im Verein: Nachgefragt bei drei Schwergewichten des diversen Vereinssports...

Vielfalt im Verein - Copyright: LSB_NRW_Bowinkelmann
Vielfalt im Verein - Copyright: LSB_NRW_Bowinkelmann

Diese Woche, am 23. Mai, wird der Deutsche Diversitätstag begangen. Aus diesem Anlass haben wir für eine kleine, unvollständige und nicht repräsentative Umfrage drei Sportvereine ausgewählt, die sich seit Langem und auf sehr unterschiedliche Weise der Diversitätsförderung verschrieben haben: Pfeffersport e. V. und FC Internationale e. V. aus Berlin sowie FC Ente Bagdad aus Mainz.

Es sind Stützpunktvereine oder programmnahe Vereine von „Integration durch Sport“, alle bereits vielfach für ihr gesellschaftliches Engagement ausgezeichnet, auch beim wichtigsten deutschen Vereinswettbewerb, den „Sternen des Sports“. Die Antworten spiegeln viel Erfahrung bezüglich Vielfalt und Sport wider sowie ein teils diverses Verständnis und eine unterschiedliche Einschätzung zur gesellschaftlichen Entwicklung.

Was verstehen Sie unter Diversity?

Jörg Zwirn, Geschäftsführer von Pfeffersport e. V.

Unter Diversity verstehe ich Vielfalt beziehungsweise Heterogenität. Als Haltung der Kolleg*innen in meiner Organisation wünsche ich mir die Lust auf den und die Neugier im Umgang mit Menschen, unabhängig davon, welchen Kategorien man sie zuordnen könnte. 

Stefan Schirmer, Medienverantwortlicher des FC Ente Bagdad

Bei uns ist immer von Vielfalt die Rede und die lebt und praktiziert der FC Ente Bagdad seit seiner Gründung 1973, sie ist Teil der „Enten-DNA“, unseres Wertekanons. Die Diversität der Individuen, der Nationalitäten, Kulturen und Religionen ist uns bewusst, sie bereichert uns als Club genauso wie die gesamte Gesellschaft. Wir verstehen sie als bunte Mischung, die die Menschheit ausmacht und uns die Möglichkeit gibt, voneinander zu profitieren und zu lernen.

Gerd Thomas, 1. Vorsitzender FC Internationale e. V.

Bei Sprache fängt das Thema ja an, deshalb sprechen wir eher von Vielfalt, da wir es wichtig finden, Begriffe zu nutzen, die alle einordnen können. Wir sehen den Fußball als Spiegelbild der Gesellschaft, haben bei uns über 70 Nationalitäten im Verein, was aber keine komplette Vielfalt ausmacht. Wir sind aber einigermaßen zufrieden. Das Wichtigste ist uns aber, dass wir kein Verein für Besserverdienende werden, wir versuchen, ein Verein für alle zu sein. Leider bremsen Politik und Verwaltung sowie die katastrophale Berliner Sportstättensituation unsere Bemühungen für noch mehr Vielfalt aus. Hier werden durch Ressentiments und mangelnde personelle wie finanzielle Ausstattung große Chancen liegen gelassen.

Ist eine Vielfaltsdimension gerade besonders dominant?

Gerd Thomas, 1. Vorsitzender FC Internationale e. V.

Es gelingt uns, über neue Themen wie zum Beispiel Nachhaltigkeit und Antidiskriminierung auch junge Menschen ins Ehrenamt zu kriegen. Wir erleben Vielfalt daher als Bereicherung, nicht als Problem. Im Grunde sind wir in Teilen ein Spiegelbild der multikulturellen Hauptstadt Berlin, Vielfalt ist insofern nichts Exotisches, sondern die Normalität. 

Jörg Zwirn, Geschäftsführer von Pfeffersport e. V.

Generell erscheint mir die Unterteilung der Welt in die klassischen sieben Vielfaltsdimensionen als problematisch, zumal es dem inklusiven Gedanken widerspricht, die Menschen zunächst Kategorien zuzuordnen, um sie dann im zweiten Schritt zu integrieren. Auf unserem Antrag auf Mitgliedschaft gibt es keine Spalte zur sexuellen Orientierung oder die Abfrage einer eventuellen Behinderung. Bei Pfeffersport treiben aus historischen Gründen besonders viele Rollstuhlfahrer*innen Sport, arbeiten als Dozent*innen in unserer Akademie „Mission Inklusion“ oder engagieren sich anderweitig für den Verein.  Wir empfinden das als große Bereicherung. Generell kommt Inklusion in der öffentlichen Debatte zwar nicht zu kurz, wird aber unzulässig verkürzt und mit der Integration von Menschen mit Behinderung gleichgesetzt, etwa im organisierten Sport, oder auf Barrierefreiheit reduziert und verordnet, ohne zum Beispiel in Schulen die strukturellen Voraussetzungen für ein Gelingen zu schaffen.

Stefan Schirmer, Medienverantwortlicher des FC Ente Bagdad

Sehr dominant ist die Vielfalt der mittlerweile 25 Nationalitäten, die bei uns vertreten ist. Damit einher geht auch eine Diversität der Kulturen und Religionen. Wir wissen von dem einen oder anderen Menschen in unseren Reihen mit von der Heteronormativität abweichender sexueller Orientierung. Natürlich gibt es generell hie und da Konfliktpotenzial, aber das räumen wir im Rahmen der „Enten-Familie“ direkt und schnell in persönlichen Gesprächen aus.

Wie erleben Sie die gesellschaftliche Haltung zum Thema Diversity?

Stefan Schirmer, Medienverantwortlicher des FC Ente Bagdad

Die „neuen Deutschen“, wie wir sie bezeichnen, waren in den 1970er-Jahren „die Ausländer“, später „die Migranten“ und sind heute „die Geflüchteten“. Insofern ist schon eine Entwicklung in der Benennung und damit auch die Versprachlichung einer Vorstellung von diesen Menschen zu beobachten. Sowohl die Ablehnung als auch die Unterstützung dieser Menschen hat sich gewandelt und ist leider sehr oft mit ihrer Hautfarbe verbunden. Ausländer und Migranten sind in der Regel aus wirtschaftlichen Gründen nach Deutschland gekommen, Geflüchtete sind nicht freiwillig hier, wollen sich aber genauso eine Zukunft bei uns aufbauen. Die große Ausnahme bei Letzteren sind die Ukrainer*innen, die lieber heute als morgen in ihre Heimat zurückkehren möchten.

Jörg Zwirn, Geschäftsführer von Pfeffersport e. V.

Das gesellschaftliche Klima hat sich in den letzten Jahrzehnten sehr zum Positiven gewandelt. 

Gerd Thomas, 1. Vorsitzender FC Internationale e. V.

Bei uns im Verein gibt es seit Jahren einen unausgesprochenen Konsens, dass die verschiedenen Gruppen zusammenleben müssen und wollen. Leute, die Ressentiments gegenüber anderen aufgrund von Aussehen, Herkunft, Alter oder Geschlecht haben, sind bei uns nicht willkommen, was nicht heißt, dass es bei uns keinen Streit gibt. Wir spielen mit dem Slogan „NO RACISM“ auf der Brust. Der ist bei uns vollkommen akzeptiert und gilt als Synonym für ein vielfältiges und respektvolles Miteinander. Wir merken aber auch, dass eben dieses selbstbewusste Auftreten von anderen Teams oft so interpretiert wird, dass wir uns besser als sie selbst benehmen sollten. Insgesamt ist festzustellen, dass die Segregationstendenzen wieder zunehmen, auch im Sport. Es gibt Teams, da sind nur Namen einer Herkunft oder Ethnie, ob nun deutscher oder anderer Provenienz. Unser Weg ist ein anderer. Wir glauben, Vielfalt kann vor allem dann gelingen, wenn sie auch offensiv gelebt wird.

Spiegelt sich Vielfalt auch in der Repräsentanz innerhalb des Vereins wider?

Gerd Thomas, 1. Vorsitzender FC Internationale e. V.

Im Ehrenamt und Vorstand geht es auch bei uns vorwiegend weiß und männlich zu, immerhin gibt es ein paar wenige Ausnahmen. Wir wünschen uns zwar einen diverseren Vorstand, aber es ist nicht so leicht, junge Menschen oder solche mit Zuwanderungshintergrund zur Mitarbeit zu bewegen. Bei jungen Menschen fällt auf, dass sie weniger Zeit als früher haben. Hier spielen die gestiegenen Lebenshaltungskosten, gerade auf dem Wohnungsmarkt, eine Rolle. Wären die Menschen in unserer reichen Republik solidarischer, wäre vieles leichter. Wenn nur noch gut situierte Rentner sich ein Ehrenamt leisten können, haben wir ein Problem. Das Thema Arm und Reich wird in der Debatte viel zu wenig beachtet, weil diese in erster Linie von der gehobenen weißen Mittelschicht geführt wird. Das gilt es abzustellen. Hieran sollten auch die Unternehmen ein Interesse haben, sie brauchen ja Fachkräfte, die künftig aber nur durch mehr Vielfalt zu bekommen sind. Zudem braucht es finanzielle Mittel, um in den Vereinen eine diversere Ehrenamtsausrichtung vorzunehmen. Darum muss man sich speziell kümmern, wie um Fundraising oder Jugendarbeit. Die Krise des Ehrenamts ist auch eine der fehlenden Diversität, aber die Debatte wird stets in beschönigender Form geführt.  

Jörg Zwirn, Geschäftsführer von Pfeffersport e. V.

Ja, wobei wir aber nicht zwanghaft versuchen, einen Menschen mit Zuwanderungsgeschichte als Vorstand zu wählen, wenn sich das nicht aus dem Vereinsleben heraus ergibt. Es geht uns um die Menschen, nicht um Attribute. Außerdem haben wir auch ein Herz für alte, weiße cis-Männer! 

Halten Sie den Begriff „Integration“ für zeitgemäß?

Gerd Thomas, 1. Vorsitzender FC Internationale e. V.

Nein. Es geht vielmehr um Teilhabe, Solidarität, Austausch, Miteinander. Gleichwohl warne ich davor, mit neuen Modebegriffen zu kommen, die vor allem einer hochgebildeten Fünf- oder Zehn-Prozent-Blase geläufig sind. Wichtiger als Begriffe ist die ehrliche Diskussion und das Entgegentreten gegenüber Rassismus oder anderen Diskriminierungen. Es braucht endlich ein Bekenntnis zur Vielfalt und das intellektuelle Vermögen zu begreifen, dass wir ohne Diversität und Zuwanderung ein riesiges Problem kriegen. Das kann ich in großen Teilen der politischen Debatte nicht erkennen. Es reicht nicht, einmal im Jahr ein Plakat hochzuhalten und ein Foto davon zu machen. So lange „Integration“ als Problem ausgemacht wird, kriegen wir keine Verbesserung hin. Übrigens sollte man auch über die Bezeichnung „Integration durch Sport“ nachdenken.

Umsetzung: Marcus Meyer


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