Die Zusammenarbeit des Programms „Integration durch Sport“ und des Bund-Länder-Programms „Soziale Stadt“

Gesellschaftliche Wandlungsprozesse haben auch den Sport und seine Organisationen verändert. Mit diesen Entwicklungen steht der Vereinssport weiterhin im Zentrum des Sportgeschehens in Deutschland, nicht zuletzt deshalb, weil es ihm gelungen ist, neue Bevölkerungsgruppen an den organisierten Sport zu binden. Chancengleichheit und ein ungehinderter Zugang der Menschen mit Migrationshintergrund zum Sport entsprechen dem Selbstverständnis der Sportorganisationen, da sie die Voraussetzungen für die Wirksamkeit des Sports als sozialintegrative Kraft bieten.Menschen mit Migrationshintergrund sind ein fester Bestandteil der deutschen Gesellschaft. Sie leben in der Bundesrepublik, werden ausgebildet, bilden selber aus, sind Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber, Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, setzen sich für soziale Belange in eigenen Kulturvereinen, religiösen Gemeinschaften, aber auch in Wohlfahrtsorganisationen, Parteien, Gewerkschaften ein. Sie gestalten ihre Freizeit und engagieren sich unter anderem auch im Sportverein. Das flächendeckende System von Sportvereinen ermöglicht eine optimale Wirksamkeit in Ansiedlungsschwerpunkten und sozialen Brennpunkten von Integrationsprozessen, denn Sportvereine verfügen über ein hohes soziales Potenzial und vielfältige Erfahrungen in integrativer und pädagogischer Arbeit. Sie haben häufig umfangreiche Vernetzungen mit lokalen Organisationen aufgebaut und leisten einen wesentlichen Beitrag zur sozialraumorientierten und lebensweltbezogenen Sozialarbeit.

Damit sind aber noch nicht die unterschiedlichen Zugangsvoraussetzungen zu den verschiedenen gesellschaftlichen Bereichen (z.B. Sport) aufgehoben, denn Einbürgerung ist nicht identisch mit Integration. Der Sport bietet große Integrations- und Partizipationschancen. Seit den 70erJahren setzt die „soziale Offensive des Sports“ bei diesem Integrationspotenzial an. Die positiven Erfahrungen und Erfolge der Kampagne „Sport für Alle“ sind unbestritten.

Integration bedeutet die Erfahrung, dass verschiedene Lebensarten und Traditionen nicht im Widerspruch zur gleichberechtigten Teilhabe an gesellschaftlichen Prozessen stehen. Integration kann und darf daher nicht Assimilierung bedeuten, sondern meint eine permanente Verständigung über gemeinsame Grundlagen und Regeln des Zusammenlebens in einem Gemeinwesen.

Nach dem zuvor definierten Integrationsverständnis ist Integration ein gesellschaftlicher Prozess, der nicht irgendwann abgeschlossen ist, sondern immer neu gefördert werden muss. Integration richtet sich damit auch nicht allein an die Menschen mit Migrationshintergrund, sie erfordert auch eine aktive Mitwirkung der Aufnahmegesellschaft.  

Das Bundesprogramm „Integration durch Sport“

Der Deutsche Olympische Sportbund (DOSB) stellt sich unter anderem mit dem Programm „Integration durch Sport“ der gesellschaftlichen Aufgabe. Das Programm ist eine Initiative der Bundesregierung, deren Steuerung und Gesamtkoordination dem DOSB obliegt. Seit 1989 wird das Programm vom Bundesministerium des Innern gefördert und vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge begleitet. Die Umsetzung des Programms erfolgt eigenverantwortlich auf der Ebene der Landessportbünde bzw. Landessportjugenden und unter Berücksichtigung der regionalen Besonderheiten.

Der Deutsche Olympische Sportbund setzt die Integrationsarbeit im Programm „Integration durch Sport“ mit seinen Mitgliedsorganisationen mit einer Vielzahl von Integrationsmaßnahmen um. Das Programm „Integration durch Sport“ versteht sich bei der Umsetzung als Ansprechpartner, Ideen-und Impulsgeber der sportorientierten Projekte, die immer unter nachhaltigen Aspekten konzipiert werden. Die Integrationsarbeit umfasst sowohl die Begleitung und Unterstützung der mehr als 500 Stützpunktvereine, aber auch die offenen Sportangebote, Turniere, Informationsveranstaltungen und vieles mehr. Motor und Katalysator dieser Maßnahmen sind unter anderem die 800 ehrenamtlichen Helferinnen und Helfer, von denen nahezu die Hälfte selbst einen Migrationshintergrund aufweist.

Ziel des Programms „Integration durch Sport“ ist die Integration von Menschen mit Migrationshintergrund in die Aufnahmegesellschaft mit den Mitteln des organisierten Sports. Sport ist freiwillig, verfügt über ein ausgeprägtes und international anerkanntes Regelsystem und knüpft auf dieser Basis an Gemeinsamkeiten von einheimischer und ausländischer Bevölkerung gleichermaßen an. Die aktive Teilhabe am Sport ist voraussetzungslos, d.h. weitgehend unabhängig von sozialer Herkunft, Bildung und Sprachvermögen. Zudem bietet der Sport durchweg positiv besetzte Anknüpfungspunkte einer gemeinsamen kulturellen Sinnstiftung für alle sportlich Interessierten, unabhängig von ihrer jeweiligen Herkunft.

Aufgabe des Programms ist die Schaffung und Förderung langfristiger Integrationsstrukturen des organisierten Sports und der Ausbau von assoziierten Netzwerken auf allen Ebenen. Damit die Integration der Menschen mit Migrationshintergrund gefordert und gefördert wird, werden die Strukturen des organisierten Sports genutzt. Das Programm „Integration durch Sport“ folgt dem Ansatz eines modernen Integrationsverständnisses, das sowohl die Aufnahmegesellschaft als auch die Communities der Migrantinnen und Migranten einschließt.

Das besondere Bundesinteresse des Programms liegt in der Möglichkeit des organisierten Sports, eine bundesweite Plattform mit einem flächendeckenden Netzwerk von Sportvereinen, -verbänden und Kooperationspartnern, die unter anderem auch in sozialen Brennpunkten aktiv sind, für die nachhaltige Umsetzung der Programmziele zu nutzen. Es bringt die speziellen Integrationskonzepte in lokal angepasste, netzwerkbezogene Gesamtprojekte ein und verfügt über erprobte Bausteine, die es ermöglichen, vorhandene Ressourcen vor Ort zu trägerübergreifenden Projekten in kommunalen Netzwerken zu bündeln. Das Programm ist die Basis dieser Projekte und kann sowohl die einzelnen Partner als auch das Projekt vor Ort im Ganzen stärken. Aufgrund der Verankerung in Netzwerken können Sportvereine die Konzeption des Bundesprogramms „Integration durch Sport“ entsprechend den lokalen Gegebenheiten auf die Bedürfnisse der Zielgruppe ausgerichtet umsetzen und Handlungsstrategien entwickeln sowie die vorhandenen Ressourcen optimieren. Einer der Netzwerkpartner ist das Bund-Länder-Programm „Soziale Stadt“ des Bundesministeriums für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung. Zur Einführung wird zunächst das Programm „Integration durch Sport“ mit seinen Handlungsfeldern kurz vorgestellt. 

Qualifizierung von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern 

Durch die gewachsene gesellschaftliche Sensibilität für das Thema „Integration von Menschen mit Migrationshintergrund“ und die verstärkte Öffentlichkeitsarbeit des Programms ist das Interesse an der Arbeit des Programms „Integration durch Sport“ deutlich gewachsen. Mit unterschiedlichen Maßnahmen wird die Öffentlichkeit auf die vielfältigen Aktivitäten und Veranstaltungen aufmerksam gemacht.

Integration ist eine dauerhafte gesellschaftliche Aufgabe mit vielen Facetten. Für den DOSB mit all seinen Vereinen bedeutet die Integrationsarbeit auch eine Öffnung zum interkulturellen Dialog. Auf diese Bedarfslage müssen die Vereine vorbereitet und sensibilisiert werden und sich weiter als bisher für partnerschaftliche Strukturen öffnen. Toleranz und soziale Integration, wie sie das Leitbild des deutschen Sports gegenüber Menschen anderer Herkunft und Sprache fordert, sind auch im Sport immer wieder zu trainierende und zu überprüfende Faktoren. Interkulturelle Handlungskompetenzen sind bei allen Beteiligten, insbesondere der Gruppe der Übungsleiterinnen und -leiter, aufzubauen und zu schulen. Die Qualifizierungsmaßnahme „Sport interkulturell“ bildet unter anderem die teilnehmenden Übungsleiterinnen und -leiter, Starthelferinnen und -helfer im Programm „Integration durch Sport“ sowie Funktionsträgerinnen und -träger in den Vereinen und Verbänden auf vielfältige Weise fort. Beispielsweise bekommen die Übungsleiterinnen und -leiter neue Ideen für eine Trainingsdidaktik, die sensibilisiert ist für Fragen nach der interkulturellen Vielfalt. Die Qualifizierungsmaßnahme „Sport interkulturell“ wurde bereits in einer ersten Phase von der Universität Koblenz-Landau evaluiert.

Migrantinnen in den Sport

Ein großes Defizit besteht nach wie vor in der aktiven sportlichen wie gesellschaftlichen Integration von Mädchen und Frauen mit Migrationshintergrund. Eine vom DOSB in Auftrag gegebene Expertise belegte die Präferenz dieser Zielgruppe für ganz bestimmte Sportarten, wie z.B. Gymnastik, Tanz und Kampfsportarten ohne Körperkontakt. Der DOSB hat in den Fachgebieten „Gender Mainstreaming“ und „Integration durch Sport“ ein Netzwerkprojekt „Bewegung und Gesundheit: Mehr Migrantinnen in den Sport“ entwickelt. Ziel des Netzwerkprojektes ist es, über eine Anschubfinanzierung insbesondere die Spitzenverbände im DOSB in die Lage zu versetzen, ihre Angebotsstruktur stärker an den Interessen der Mädchen und Frauen mit Migrationshintergrund zu orientieren und ihre Vereine zu unterstützen.

Integration setzt eine gleichberechtigte Teilhabe in allen wichtigen gesellschaftlichen Bereichen voraus, auch und gerade im Gesundheitswesen. Doch der unterschiedslose Zugang zur gesundheitlichen Versorgung ist für Migrantinnen und Migranten in Deutschland bis heute keine Selbstverständlichkeit.

Die Zahl der älteren Migranteninnen und Migranten nimmt seit einigen Jahren kontinuierlich zu. Es sind in der Regel „Gastarbeiterinnen“ und „Gastarbeiter“ der ersten Stunde, die in die Bundesrepublik Deutschland kamen. Für diese Generation gestaltet sich die Integration schwieriger als für nachwachsende Generationen. Sprachliche Zugangsbarrieren und Misstrauen gegenüber offiziellen Stellen schließen sie oft vom regulären Altenhilfesystem in Deutschland aus. Im Alter kommen Rückzugstendenzen zur eigenen ethnischen Bezugsgruppe hinzu. Um bedarfsgerechte Sportaktivitäten anzubieten, hat der DOSB in einem ersten Arbeitsschritt das Thema „Demografischer Wandel“ grundsätzlich aufgearbeitet und in einer Broschüre Materialien, Analysen und Positionen hierzu zusammengefasst. Das Programm „Integration durch Sport“ bietet bereits in einigen Bundesländern zielgruppen- und altersspezifische Projekte an.  

 

Im Folgenden wird die Zusammenarbeit der beiden Programme in der Praxis an zwei ausgewählten Projekten beschrieben.

Das Gallus-Projekt im Herzen Frankfurts

Das „Gallus“, wie das Viertel von den dort lebenden Menschen genannt wird, liegt zwischen Messegelände, dem Hauptbahnhof nebst Bahngleisen, der Autobahn A 5 und dem noch leeren Gelände des ehemaligen Güterbahnhofs Frankfurt am Main; zentral, aber irgendwie vergessen, zumindest für viele Jahre. Seit einiger Zeit aber tut sich was im „Gallus“, dem Viertel, welches Heimat für rund 26 000 Menschen aus fast allen Ländern der Erde ist. Es befindet sich im Auf- und Umbruch, maßgeblich dabei unterstützt unter anderem von den Programmen „Integration durch Sport“ und „Soziale Stadt“.

Seit 2005 versuchen der Sportkreis Frankfurt und die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Programms „Integration durch Sport“ mit der „Sozialen Stadt“ und anderen Partnern sowie Projekten gemeinsam über die Sportart Fußball den Kindern und Jugendlichen Hilfestellungen an die Hand zu geben. Begonnen hat es damit, das Gallus als das internationale WM-Viertel zur Fußball-Weltmeisterschaft 2006 aufzustellen. Das Ziel „Internationales Stadtviertel“ wurde maßgeblich mit dem Sport als Transportmittel erreicht. Gemeinsam wurden Einzelprojekte entwickelt, die ihren Ursprung im Sport hatten wie beispielsweise die „Kids WM der 32 Gallus-Phantasie-Länder“, so der offizielle Titel.

Die Kinder aus dem Gallus waren aufgerufen, anlässlich der WM 2006 32 Nationen „zu erfinden“. Die Kinder dachten sich die Nationen nicht nur aus und gaben ihnen einen Namen. Sie haben sie auch selbst gestaltet. Großer Höhepunkt war schließlich Pfingsten 2006 die Kids-WM eben dieser 32 Nationen. Rund 800 Kinder wurden alleine mit dieser Maßnahme erreicht.

An der Organisation der Kids-WM waren 30 Institutionen und Initiativen des Stadtteils beteiligt. Zu den Spielen des dreitägigen Turniers kamen 2000 Zuschauer. Ein Großteil der 40 ehrenamtlich an der Gestaltung und Durchführung des Turniers tätigen Jugendlichen und Erwachsenen hatten einen Migrationshintergrund.

Angeregt von diesem Erfolg initiierten der Sportkreis Frankfurt, „Integration durch Sport“ und „Soziale Stadt“ weitere Projekte. 2007 wurde der „Gallus Kodex gegen Rassismus“ entworfen und verabschiedet. Zuvor wurde von den Netzwerkpartnern zusammengetragen, welche Sportangebote es im Gallus gibt, welche Sportarten gefragt sind sowie Vernetzungen und Partnerschaften zwischen Vereinen, Schulen, Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe und Straßeninitiativen.

Mittlerweile liegt der Schwerpunkt der Arbeit der Netzwerker im Gallus in der Vermittlung von Jugendlichen in Lehrstellen und Praktika. Dazu veranstalten sie mit anderen Netzwerkpartnern wie Industrie- und Handelskammer, Handwerkskammer Frankfurt sowie dem Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung Beratungstage, bei denen die Firmen im Gallus und die Jugendlichen einander kennenlernen. 2005/2006 konnte 15 Jugendlichen ein Ausbildungsplatz vermittelt werden. In 2007 konnte die Zahl der vermittelten Jugendlichen bereits verdoppelt werden, dazu kamen weitere 50 Beratungsgespräche und rund 30 neue Firmenkontakte. Für das Jahr 2008 soll die Zahl noch einmal steigen, für eine friedliche, internationale Zukunft des Gallus in Frankfurt am Main.


Von der „Problem-Platte“ zum Vorzeige-Stadtteil

Mueßer Holz und Neu Zippendorf sind zwei ineinander übergehende Plattenbausiedlungen am südöstlichen Rand von Schwerin, der Landeshauptstadt von Mecklenburg-Vorpommern. Wie so viele solcher Stadtteile litten auch Mueßer Holz und Neu Zippendorf in den vergangenen Jahren unter einer großen Fluktuation in der Bevölkerung. Verwahrlosung und erste Anzeichen einer Ghettoisierung durch den Zuzug von vornehmlich Zuwanderern waren die Folge. Seit rund acht Jahren wird diesem Trend erfolgreich entgegengearbeitet, seit 2005 auch in Kooperation zwischen „Integration durch Sport“ und „Sozialer Stadt“.

Gemeinsam mit dem Kultur- und Integrationszentrum wurden mehrere Sportgruppen mittlerweile in den organisierten Sport übernommen. In Absprache mit „Soziale Stadt“ und dem Kultur- und Integrationszentrum wurde 2005 ein Gorodki-Sportclub mit zunächst zehn Mitgliedern gegründet. Gorodki ist eine in Russland sehr populäre Sportart. Dabei gilt es, aus einer bestimmten Entfernung mit einem Stab verschiedene Figuren aus Holzklötzen mit möglichst wenigen Würfen von ihrem Platz zu schlagen.

Gemeinsam mit der Stadt Schwerin haben „Integration durch Sport“ und „Soziale Stadt“ eine turnierfähige Gorodki-Anlage mit acht Plätzen und einer Halle nebst Sanitärtrakt gebaut. Die Unterstützung durch das Programm „Integration durch Sport“ bezieht sich vor allem auf die Finanzierung des Projektleiters und eines Schulprojektes. Der Verein will die Sportart an drei Schulen in Schwerin bekannter machen, eine Schulmeisterschaft einführen und die Schülerinnen und Schüler an den organisierten Sport heranführen. Der Gorodki-Verein, der das ganze Jahr über regelmäßige offene Sportangebote organisiert, heißt seit Ende 2007 NTS Schwerin und ist mit seinen mittlerweile 70 Mitgliedern, von denen der überwiegende Teil Zuwanderer sind, Mitglied im Stadtsportbund Schwerin und im Landessportbund Mecklenburg-Vorpommern.