„Gorek ist mein Freund!“

Ring frei für die Völkerverständigung im Sportverein! Boxen ist international und zählt schon lange zu den populärsten Sportarten weltweit. Da verwundert es kaum, dass in der Erfurter Thüringenhalle drei Mal in der Woche ein „interner Länderkampf“ stattfindet. Beim Kindertraining des PSV Erfurt boxt Armenien mit Italien und Mosambik tritt gegen Aserbaidschan in den Ring. Mittendrin das deutsche Team.

Für die kleinen Sportler mit den riesigen Boxhandschuhen zählt das alles nicht. „Wir sind Freunde!“, bringt es der zehnjährige Leonard Hunstock auf den Punkt. Mit hochroten Köpfen und vor Anstrengung pochenden Herzen stimmen ihm die anderen elf Faustkämpfer zu. Sie haben gerade ein intensives Intervalltraining am Sandsack hinter sich und warten gespannt auf die nächste Trainingsrunde. Die kurze Pause nutzt Luigi Durante aus Sizilien, um die 2,50 Meter langen Bandagen unter seinen Handschuhen noch einmal ordentlich zu wickeln. Schließlich steht gleich Sparring auf dem Programm. Nur die verschiedenen Nationalfarben der Fußballtrikots, welche viele von ihnen tragen, verdeutlichen dann das internationale „Starterfeld“. Der schmale und hochgewachsene Luigi ist 13 Jahre alt und lebt seit acht Jahren mit seiner Familie in Deutschland. In den vier Monaten Boxtraining hat er schon so einiges gelernt. Der erste Kampf ist bereits gewonnen. Motiviert ist hier jeder. Einige Meter entfernt tobt sich Gorek Gvorkian am Sandsack aus. Der neunjährige Armenier ist hinter dem großen Trainingsgerät kaum zu sehen. Angefeuert wird er von Leonard. „Schneller, rechte Gerade, du schaffst das!“ Die beiden üben an ihren Schlägen, Seitwärts- und Aufwärtshaken. Bei dem schweißtreibenden Training helfen sie sich gegenseitig, ihre Herkunft nicht nur in diesem Moment völlig belanglos. Nach zwei Minuten wechseln sie die Position und der vor Erschöpfung nach Luft schnaufende Gorek hält nun den Boxsack. Dann gibt Trainer Michael Heinze endlich das Kommando: „Ring frei“. Der ist schnell umringt von zehn kleinen Zuschauern, die ihren Freunden lautstark Tipps geben. Nach einer Niederlage und dem Abgang mit hängenden Schultern gibt es Aufbauhilfe von allen Seiten. So tröstet in der rechten Ecke Italien gerade Deutschland. „Beim nächsten Mal klappt die Deckung besser.“, muntert Luigi seinen Freund auf.


Für Abteilungsleiter Frank Nordmann ist dieser Umgang zwischen den Sportlern völlig selbstverständlich. „Bei uns finden sie durch den Sport zusammen, eine Ausnahme von dieser Regel gibt es nicht.“ Seit mehr als zehn Jahren funktioniert diese sportliche Integration im PSV Erfurt bestens. So verfolgt die Abteilung Boxen hauptsächlich zwei Ziele. „Neben dem sportlichen Aspekt, der Grundlagenvermittlung des Boxsports und die Förderung der Leistungsträger, ist dies die uneingeschränkte und vorbehaltlose Integration ausländischer Sportler in das Vereinsleben.“ Auch Jürgen Floß, 1. Vizepräsident des PSV Erfurt, ist stolz auf diese Arbeit. Der Verband, offizieller Stützpunktverein des Programms „Integration durch Sport“ in Thüringen, legt großen Wert auf die präventive soziale Arbeit insbesondere im Kinder- und Jugendbereich.
 

„Sport vermittelt Werte, Fairness und Teamgeist.“, bestätigt Jürgen Floß die Erfahrung, dass die Akzeptanz von Kindern und Erwachsenen mit Migrationshintergrund im Sportverein oftmals schneller geht, als in anderen gesellschaftlichen Bereichen. „Bei uns sind sie alle Mitglieder und keine Ausländer“.
 

Und den 1.200 Mitgliedern bietet der PSV so einiges. Außer den Trainingsmöglichkeiten in den 17 Abteilungen gibt es verschiedene Ferien- und Bildungsangebote, Projekte mit dem Erfurter Migrationszentrum, die pädagogische Betreuung von straffälligen Jugendlichen und sportartenübergreifende Feiern. Beim PSV Erfurt geht es also schon bald in die nächste Integrationsrunde – nicht nur im Boxen.   
Silvia Otto

(Foto: LSB Thüringen)