Mit Rosenkranz und Sport zur Fitness im Alter

GeniAl: Aufsuchende Bewegungsarbeit in Solingen

Wer ein Projekt GeniAl nennt, „Gemeinsam bewegen – Gesund leben im Alter“, hat was vor. Aber was in Solingen entstanden ist, kann sich mit Recht ein Lichtblick in Zeiten von Krisen, Krieg und Katastrophen nennen. Gemeinsam mit einem bestens funktionierenden Netzwerk hat der Stadtsportbund ein Angebot geschaffen, das Migrant*in-nen der ersten und zweiten Generation das deutsche Gesundheits- und Pflegesystem näherbringt und sie gleich-zeitig zu Sport und Bewegung motiviert. Mit Erfolg.

Stefana Cuzumano lässt es sich nicht nehmen: Auch mit 91 Jahren bleibt die gebürtige Italienerin am Ball
Stefana Cuzumano lässt es sich nicht nehmen: Auch mit 91 Jahren bleibt die gebürtige Italienerin am Ball

talienische Popmusik ertönt aus einem kleinen Lautsprecher, 15 ältere Frauen mit italienischen Wurzeln bewegen sich nach Anweisung von Francesca Papallo, ihrer italienischsprachi-gen Bewegungslotsin. Stefana Cuzumano (Foto) sitzt auf einem Stuhl und macht mit, so gut es geht. Sie darf das, sie wird im Mai 91 Jahre alt. Hauptsache dabei sein … Sport und Bewegung sind dabei nicht das Einzige, was bei den Damen heute auf dem Programm steht. Zuvor haben sie sich getrof-fen, um gemeinsam den Rosenkranz zu beten. Erst danach ging es in den Gymnastikraum.

MUTTERSPRACHLICHE „BEWEGUNGSLOTS*INNEN“ SIND TÜRÖFFNER IN DEN COMMUNITIES

So läuft es bei allen Maßnahmen des Pilotprojekts GeniAl, einem Paradebeispiel für aufsuchende Bewegungsarbeit: Die Menschen in ihren Communities für Sport und Bewegung im Alter begeistern. Ausgeschrieben wurde „Gemeinsam be-wegen – Gesund leben im Alter“ vom DOSB, der bundesweit fünf Organisationen – darunter den Landessportbund NRW  – ausgewählt hat, um spezielle Maßnahmen für ältere Men-schen mit Migrationshintergrund zu erproben. Ausführendes Organ ist der Solinger Sportbund. „Die Herausforderung war, Kontakt zu möglichst vielen Menschen aus dieser heteroge-nen Zielgruppe aufzunehmen. Mit Aufrufen und Flyern wären wir nicht weit gekommen“, erklärt Mirella Kuhl. Die Mitarbei-terin im Kompetenzzentrum Integration und Inklusion des LSB ist im Solinger Sportbund hauptverantwortlich für die Umsetzung des Projektes. Zwei Dinge seien für dessen Erfolg maßgeblich gewesen, sagt sie. Ein perfekt funktionierendes Netzwerk und neue Ideen, wie die Schaffung einer neuen Wei-terbildungsform: „Bewegungslots*in“.
Dass das Netzwerk so gut funktioniert, liegt vor allem am strategischen Vorgehen und dem gegenseitigen Wohlwollen aller Beteiligten: In Solingen arbeiten SSB, Sportvereine, LSB, Migrantenorganisationen, das Kommunale Integrationszent-rum, die Stadt, der Paritätische Wohlfahrtsverband Solingen und der Internationale Bund eng zusammen. Solingen ist mit 163.000 Einwohnern zwar groß, aber immer noch so über-schaubar, dass die meisten Akteur*innen sich untereinander kennen. Dieses Netzwerk geht mit einem ganzheitlichen Pro-gramm auf die Gruppen zu. „Der Türöffner für den Kontakt sind unsere Bewegungslots*innen“, erklärt Projektmitarbei-terin Yoneiry Torres De Jesus, die das Projekt auch in ihrer Bachelorarbeit aufnehmen will. „Muttersprachler*innen, die selbst schon zu den ‚Älteren‘ gehören, werden zu Übungs-leiter*innen ausgebildet und gehen als Bewegungslots*innen dorthin, wo die Gruppen – wie heute der italienische Rosen-kranzzirkel – sich treffen.“

„STUDIEN ZEIGEN; DASS INSBESONDERE DIE ÜBER-55-JÄHRIGEN MIT MIGRATIONSHINTERGRUND SELTEN MITGLIED IN EINEM SPORTVEREIN SIND ODER GESUNDHEITS- ODER REHA-ANGEBOTE WAHRNEHMEN.“ MIRELLA KUHL (Referentin im Kompetenzzentrum Integration und Inklusion des Landessportbundes NRW

Aber nicht nur das. Zusammen mit dem städtischen Projekt „ Guter Lebensabend NRW“ bietet GeniAl den teilnehmen-den Gruppen eine Dialogreihe, in der ihnen das deutsche Al-tenhilfesystem nahegebracht wird. Die Italienerinnen zum Beispiel besuchten eine Altenpflegeeinrichtung, das Rathaus und Sportvereine – begleitet von Bewegungslotsin Francesca. „ Viele Migrant*innen der ersten und zweiten Generation sprechen kein oder kaum Deutsch“, erklärt Mirella Kuhl.
„Es wurden zu dieser Zeit kaum Sprachkurse angeboten,  Integrationskurse schon gar nicht.“ Warum auch? Die meis-ten wollten nach ein paar Jahren zurück in ihr Heimatland. So wie Marianna Rubuano. Sie hat in ihrem Leben noch nie Sport gemacht, Arbeit und Familie, das war ihr Leben. 1980 kam sie nach Solingen und wollte mit ihrem Mann maximal 15 Jahre bleiben. Daraus wurden 43 Jahre und sie will nicht mehr zurück. Solingen ist ihre Stadt. Zusammen mit Guter Lebensabend NRW will GeniAl erreichen, dass sie und die an-deren ihrer Community sich in Solingen noch wohler fühlen.  „Studien zeigen, dass insbesondere die Über-55-Jährigen mit Migrationshintergrund selten Mitglied in einem Sportverein sind oder Gesundheits- oder Reha-Angebote wahrnehmen“, erklärt Mirella Kuhl. Dass soll sich mit GeniAl nun ändern.
„Wir haben bereits eine spanisch-portugiesische, eine  syrisch-afghanische und eine türkische Gruppe gewinnen können“, freut sich Chrysanthi Stratopoulou vom Projekt Guter Lebensabend. „Zu ihnen kommen die Bewegungs-lots*innen, die ihre Sprache sprechen. Ganz neu ist auch die Einbindung von geflüchteten Menschen aus der Ukraine oder Syrien in den Pool der „Bewegungslots*innen“, berichtet sie. Der Erfolg hat den LSB dazu veranlasst, das Prinzip der Bewe-gungslots*innen von Solingen auf ganz Nordrhein-Westfalen zu übertragen. Vielleicht liegt es ja wirklich am Namen: Wer sich GeniAl nennt, hat die Messlatte hoch gehängt und den Ehrgeiz, sein Ziel zu erreichen. Nomen est Omen.


  • Stefana Cuzumano lässt es sich nicht nehmen: Auch mit 91 Jahren bleibt die gebürtige Italienerin am Ball
    Stefana Cuzumano lässt es sich nicht nehmen: Auch mit 91 Jahren bleibt die gebürtige Italienerin am Ball