„Vorbilder zur Identifikation sind wichtig“

SportKultur-Veranstaltung in Hamburg: Filmvorstellung und Paneltalk im Haus des Sports beim HSB.

 

Der Anteil von Frauen mit Migrationsgeschichte in den Hamburger Sportvereinen ist zu gering. Die Diskussionsveranstaltung „Mehr von uns – Frauen mit Migrationsgeschichte in Sportvereinen“ beim Hamburger Sportbund zeigte nun Wege auf, um das zu ändern.

Mehr von Uns - Frauen mit Migrationsgeschichte in Sportvereinen (im Haus des Sports, Hamburg)
Mehr von Uns - Frauen mit Migrationsgeschichte in Sportvereinen (im Haus des Sports, Hamburg)

Ein treffenderes Statement zum Abschluss hätte Stephanie Gonçalves Norberto nicht sprechen können. „Kampagnen von Sportvereinen nach außen“, sagte die Deutsch-Portugiesin, „sind reinste Symbolpolitik, wenn die Vereine intern nicht wissen, wie sie sie umsetzen können. Vergesst also erstmal eure Kampagnen! Schaut euch vorher an, wie ihr eure Vereinsstrukturen verbessern könnt.“

Der Aufruf von Gonçalves Norberto, Gründerin der Plattform „The League“ für Frauen* und nicht binäre Personen in der Sportbranche, fand Anklang beim Publikum im Haus des Sports. Dieses hatte zuvor bei der vom Hamburger Sportbund (HSB, Programm „Integration durch Sport“) und dem Magazin kohero ausgerichteten öffentlichen Veranstaltung „Mehr von uns – Frauen mit Migrationsgeschichte in Sportvereinen“ die intensive Diskussion der Frage nach Zugehörigkeit und Teilhabe gespannt verfolgt. Der HSB engagiert sich schon seit vielen Jahren für dieses Thema. Vor allem mit der Umsetzung des bundesweiten Programms „Integration durch Sport“, welches gezielt die Integrationsarbeit von Vereinen finanziell und durch Beratungs- und Qualifizierungsangebote unterstützt.

Als Diskutantinnen zusammen mit Gonçalves Norberto zum Paneltalk eingeladen waren die Deutsch-Kubanerin und ehemalige Volleyballerin Cefina Gomez, Autorin des kohero-Newsletters „Hamburg in Bewegung“, die in Hamburg geborene frühere afghanische Fußball-Nationalspielerin und „Girl Power“-Gründerin Shabnam Ruhin und die Deutsch-Türkin Fadime Karakuş, Abteilungsleiterin, Boxtrainerin und Stadtteilbotschafterin beim TV Fischbek.

Als Inspiration für die Diskussion diente der mit einem Oscar prämierte Dokumentarkurzfilm „Learning to Skateboard in a Warzone (If You`re A Girl)“ über die Skateschule „Skateistan“ für junge Mädchen in der afghanischen Hauptstadt Kabul im Jahr 2019. Auf berührende Weise porträtiert der Film nicht nur die Sehnsüchte der kleinen Protagonistinnen und die Bedeutung des Rechts auf Schulbildung, sondern auch ihr stetig steigendes Selbstvertrauen. Zum einen durch das Erlernen des Skatens. Zum anderen durch ihre Lehrerinnen, die für die Schülerinnen Vorbilder für starke Frauen sind. Weiteren wichtigen statistischen Input lieferte danach Dorothee Korda, Referentin für Geschlechtergerechtigkeit und Vielfalt beim HSB, die die entscheidenden Zahlen aus dem aktuellen HSB-Gleichstellungsbericht vortrug. „In den Sportvereinen des HSB befinden sich nur ein Drittel weibliche Mitglieder. In der Funktionsebene der Vereine sind nur 27 Prozent Frauen tätig, in Führungspositionen nur 19 Prozent. Die Zahl der Mädchen und Frauen mit Migrationsgeschichte wurde nicht erhoben, liegt aber nach unserer jahrelangen Erfahrung noch wesentlich niedriger“, sagte Kodra.

Was also, so die Frage an das starke Diskussions-Quintett, können die Vereine tun? „Vor allem das Selbstvertrauen von jungen Mädchen mit Migrationsgeschichte so früh wie möglich fördern“, erklärte Ruhin. Bei „Girl Power“ trainiert sie ein Fußballteam junger Mädchen aus Einwandererfamilien. Sie bringt ihnen bei: Fußball ist eben kein Sport nur für Jungen. Ruhin berichtete von den unterschiedlich motivierten Sorgen mancher Eltern, die den fußballspielenden Töchtern mit Skepsis gegenüberstünden. Ihr Rezept: Offenheit! „Wir lassen die Eltern bei uns zuschauen, wenn sie das möchten, beantworten ihnen gerne jede Frage. Auch auf Infoveranstaltungen. Wir wünschen uns, dass sie sich einbezogen fühlen.“

Eine weitere Erkenntnis des Abends: Frauen mit Migrationsgeschichte möchten gezielt auch durch Menschen, mit denen sie kulturelle Erfahrungen verbinden, angesprochen werden! „Es ist sehr wichtig, Menschen mit Flucht- und Integrationsgeschichten in Vereinen in wichtigen Funktionen einzusetzen“, sagte Gomez. Anschaulich berichtete sie von ihren Erfahrungen als einzige Frau mit Migrationsgeschichte im Volleyballteam in einer bayerischen Kleinstadt. „Ich hatte große Probleme, mich in diesem Team wohlzufühlen. Vorbilder zur Identifikation sind wichtig. Aber weder der Trainer noch eine der Spielerinnen hatten Ähnliches erlebt wie ich.“

Eben jene angesprochene Vorbildfunktion übt Boxtrainerin, Abteilungsleiterin und Stadtteilbotschafterin Karakuş beim TV Fischbek aus. Sie schilderte an ihrem Beispiel, wie Vereine praktisch vorgehen können. „Der Abteilungsleiter vor mir war ein älterer Mann namens Rainer. Er hat mich in alles eingearbeitet und mir dann gesagt ,Ich möchte kürzer treten. Du kannst das‘“, erinnerte sie sich. „Ich bin ihm sehr dankbar und habe gemerkt: Ich kann es wirklich.“ 

Sehr wichtig, so merkte wiederum Gonçalves Norberto an, sei in den Vereinen präventive Reflexion. „Wenn ein Verein mehr Mädchen und Frauen mit Migrationsgeschichte ansprechen möchte, sollte er sich überlegen, was er in bestimmten Fällen tun wird. Da gibt es viele Fragen, die sich in Workshops klären lassen. Wie kommunizieren wir als Verein ohne kulturelle Klischees? Was tun wir, wenn Konflikte auftreten? Oder gar Diskriminierungen wie Rassismus? Wie handeln wir dann? Solche und ähnliche Fragen im Vorhinein zu klären kostet Kraft und Energie, ist aber sehr gewinnbringend.“

Hilfestellungen, um sich mit derartigen Fragen auseinanderzusetzen und sich mit den Themen Diskriminierung und Diversität intensiver zu beschäftigen, sind für die Vereine übrigens ebenfalls beim HSB zu erhalten. Unter anderem im Rahmen der Qualifizierungsoffensive „Fit für die Vielfalt – Diversität im Sportverein“.

So bot der Abend beim HSB den Vereinen viele Anregungen, wie sie sich gezielt um Mädchen und Frauen mit Migrationsgeschichte bemühen können. Viel zu tun, so das Fazit, sei auf alle Fälle noch. Aber die Wege, um es zu tun, gibt es eben auch.

 

Text: Mirko Schneider


  • Mehr von Uns - Frauen mit Migrationsgeschichte in Sportvereinen (im Haus des Sports, Hamburg)
  • Vor dem Paneltalk gab es großes Kino mit dem Film: „Learning to Skateboard in a Warzone (If You`re A Girl)“
  • Die fünf Panel-Gäste (von links nach rechts): Stephanie Gonçalves Norberto, Shafia Khawaja, Shabnam Ruhin, Fadime Karakus,Cefina Gomez